Korruption war lange Zeit ein Tabu-Wort in der Weltbank und ist es heute noch beim Internationalen Währungsfonds (IWF). Ein erstaunlicher Tatbestand, beanspruchen doch IWF und Weltbank für sich, die globalen Gralshüter des guten Wirtschaftens zu sein. Die Rechtsabteilung der Weltbank wandte sich sogar gegen „Integritätspakte“, bei denen sich Unternehmen verpflichten, keine korrupten Praktiken anzuwenden. Ihre ExpertInnen behaupteten, diese Verhaltensübereinkommen seien „wettbewerbsverzerrend“ – eine durchsichtige Argumentation, denn der Wettbewerb wird gerade durch Bestechung ausgeschaltet. Wenn sich sogar in den obersten globalen Wirtschaftinstanzen eine Position eingenistet hat, die Korruption als „Wettbewerb“ befürwortet, verwundert es nicht, dass das Jahrtausende alte Übel der Wirtschaft heute ein globales Risiko geworden ist.
In den Anfangszeiten der Entwicklungspolitik wurde die Position vertreten, Korruption sei ein Problem armer Länder, das mit der wirtschaftlichen Entwicklung verschwinden würde. Ein solcher Zusammenhang ist jedoch nicht zwangsläufig, wie die vergangenen 40 Jahre gezeigt haben. Vor allem die „große Korruption“, die im Zusammenhang der Entscheidung über öffentliche Projekte auftritt, ist in armen wie reichen Ländern verbreitet.
Auch Länder, die sich wie die „asiatischen Tiger“ in jüngster Zeit rasch entwickelt haben, sind mit Ausnahme von Singapur durch ein hohes Maß an Korruption gekennzeichnet.
Am Ende der Skala des Korruptionsindex CPI (siehe Grafik Seite 32) von Transparency International (TI) mit den höchsten Korruptionswerten häufen sich die ärmsten Länder Afrikas. TI beobachtet Korruption weltweit. Allerdings sind hier inzwischen auch die Länder, die aus der ehemaligen Sowjetunion entstanden sind, zu finden. Die Korruption in Russland wird so hoch eingeschätzt wie in Mosambik. Unter den dreißig Ländern mit der höchsten Korruption befinden sich elf ehemalige kommunistische Länder. Die Ursachen hoher Korruption haben offensichtlich mit schwachen Rechtssystemen zu tun, die in armen Staaten auch kaum stark sein können, aber eben nicht nur dort.
Ein weiterer Grund sind traditionell patrimoniale Clan- und Gesellschaftsstrukturen, die gegenüber staatlichen Überstrukturen zu Klientelismus führen. Das typische Beispiel ist der Minister, der seine Familienangehörigen „versorgen“ muss. Aber das Beispiel von Somalia, wo es – abgesehen von Somaliland – schon über zehn Jahre keinen funktionierenden Staat mehr gibt, zeigt, dass in einer solchen Situation patrimoniale Clanstrukturen nicht nur soziale Aufgaben des Staats, sondern auch beträchtliche Entwicklungsleistungen vollbringen können.
Eins ist jedoch gewiss: „Arme leben teuer“, wie das Sprichwort sagt. Die „kleine Korruption“ von BeamtInnen, die ihre „Monopolsituation“ etwa als Polizisten, Richter oder Verteiler von Anti-Baby-Pillen zu ihrer Bereicherung missbrauchen, wirkt wie eine Umsatzsteuer, die arme Menschen stärker trifft als reiche. In Kambodscha wurde ermittelt (Weltbankstudie vom Mai 2000), dass arme Haushalte 2,3 Prozent ihres Einkommens für Bestechungsgelder aufbringen müssen, reichere Haushalte dagegen nur 0,9 Prozent. In Südafrika stellte eine Untersuchung (UNDP/Weltbank) 1997 fest, dass rund zehn Prozent des öffentlichen Sozialhaushalts in korrupten Kanälen versickern. Die Tendenz ist steigend.
Auf internationaler Ebene sieht es nicht besser aus. Es wird geschätzt, dass in den 90er Jahren die Schmiergeldzahlungen bei internationalen Wirtschaftsgeschäften auf durchschnittlich 10 bis 20 Prozent des Auftragsvolumens gestiegen sind – gegenüber 5 bis 10 Prozent in den 80er Jahren. Die Summe der Korruptionszahlungen in den hochverschuldeten Ländern liegt etwa so hoch wie deren Verschuldung. Eine Studie in den Philippinen ermittelte, dass dort in den vergangenen 20 Jahren Korruptionsverluste in Höhe von 48 Mrd. US-Dollar die Wirtschaft belastet haben, bei Auslandsschulden von insgesamt 41 Mrd. Dollar.
Korruption ist ein gefährliches globales Risiko geworden, und zwar aus folgenden Gründen: Zum einen breitet sich eine Kultur der Korruption aus, die schon längst einem Krebsgeschwür gleich überall in der Welt in allen gesellschaftlichen Bereichen ihre Metastasen gebildet hat. Herausragende Beispiele dafür, dass Korruption nicht mehr nur zwischen Staat und Privaten, sondern auch innerhalb von Wirtschaftsunternehmen grassiert, sind die milliardenschweren Finanzskandale um den amerikanischen Energieriesen Enron und den italienischen Milchkonzern Parmalat. Dagegen nimmt sich der Millionen-Raub der Verantwortlichen im Mannesmann/Vodafone-Skandal wie „Peanuts“ aus.
Zum andern haben Untersuchungen gezeigt, dass in erster Linie die großen transnationalen Konzerne (TNK) sich korrupter Geschäftspraktiken bedienen, während kleine und mittelständische Unternehmen noch vergleichsweise sauber wirtschaften. Das heißt, die TNKs halten es für notwendig, ihre ohnehin schon dominierende Position auf den internationalen Märkten noch durch Korruption auszubauen.
Wichtige Stützpfeiler der globalisierten Korruption sind die Steueroasen und Fluchtburgen des Kapitals, das die Öffentlichkeit wegen Steuerhinterziehung und zum Zweck der Geldwäsche scheut. Zu einem großen Teil wird es aus organisierter Kriminalität vor allem im Drogen-, Prostitutions- und Waffenhandel gespeist.
Im Duden stehen für Korruption noch zwei getrennte Begriffe: Bestechung und Verfall der Sitten. In der globalisierten Korruption sind heute die zwei Bedeutungen zusammengewachsen: Bestechung ist Teil eines allgemeinen Sittenverfalls geworden. Deshalb trifft die unter GlobalisierungskritikerInnen derzeit populäre Meinung, das Problem des Neo-Liberalismus sei die Privatisierung bislang staatlicher Produktion „öffentlicher Güter“, nicht dessen Kern. Denn Korruption, wenn sie durch Entsolidarisierung der Gesellschaft allgemein geworden ist, „privatisiert“ die im Staat idealtypisch zusammengefassten gesamtgesellschaftlichen Interessen zugunsten Einzelner oder von Gruppen. Viel wichtiger als der Kampf gegen die Privatisierung der Produktion „öffentlicher Güter“ (Bildungseinrichtungen, Gesundheitsvorsorge, Wasser, Abwasser- und Müllentsorgung, Elektrizität, öffentlicher Transport) ist es also, die weitere Entsolidarisierung der Gesellschaft zu verhindern und eine zentrale Aufgabe des Staats darin zu sehen und zu stärken, die soziale Nutzung – nicht notwendigerweise Produktion – „öffentlicher Güter“ zu garantieren.
Positiv ist zu sehen, dass es in der Korruptionsbekämpfung auch Fortschritte gibt. Die etwa in der Weltbank verbreitete korrupte Grundhaltung veranlasste Peter Eigen, der Bank, der er jahrelang als leitender Mitarbeiter gedient hatte, den Rücken zu kehren und 1993 TI zu gründen (siehe Kasten Seite 34). TI entwickelte sich rasch zur weltweit wichtigsten Institution der Korruptionsbekämpfung. Als James Wolfensohn 1995 an die Spitze der Weltbank berufen wurde, engagierte er unter anderem Eigen als Anti-Korruptionsberater. Bald darauf erklärte der Weltbankpräsident den Kampf gegen die Korruption zu einer seiner vordringlichsten Aufgaben. Nicht verfolgt wurden allerdings Weltbank-Korruptionsfälle, wie die Unterstützung der US-Kupferkonzerne gegenüber den chilenischen Kupferminen, von denen Eigen berichtet.
Seitdem hat der weltweite Kampf gegen die Korruption an Fahrt gewonnen. Verbreitert und geschärft hat sich das Problembewusstsein. 1994 verabschiedete die interamerikanische Gipfelkonferenz eine Anti-Bestechungskonvention, 1997 folgte der Dachverband der Industriestaaten, die OECD. Die im Dezember unterzeichnete UN-Konvention gegen Korruption (siehe auch Seite 35) enthält das bisher umfassendste Programm von Standards und Maßnahmen der Korruptionsbekämpfung. Vieles deckt auch diese Konvention nicht ab.
Noch fehlen internationale Vorschriften für die zwischenstaatliche rechtliche Unterstützung. Das erschwert die Verfolgung und Bestrafung der Verantwortlichen wie zum Beispiel bei dem französischen Ölkonzern Elf Aquitaine, der in zahlreiche Korruptionsskandale verwickelt ist (etwa in den Leuna-Skandal in Ostdeutschland) und für den Bürgerkrieg in Kongo-Brazzaville Mitverantwortung trägt. Es gibt auch keine bindenden Regeln, wann und wie Gelder re-transferiert werden müssen, die korrupte BeamtInnen und PolitikerInnen wie die ehemaligen Staatspräsidenten Abacha, Fujimori, Mobutu, Suharto oder Taylor aus ihren jeweiligen Ländern geschafft haben.
Auch in Afrika hat die Korruptionsbekämpfung Fortschritte gemacht. Die neue, demokratisch gewählte Regierung Kenias unternimmt ernsthafte Anstrengungen, Korruption aufzudecken und zu bestrafen (siehe SWM 1-2/2004). Erste Erfolge einer öffentlichen Kampagne waren der Rücktritt des Obersten Richters, des Zentralbankchefs und des Leiters des Zollamts. „Wistleblowers“ (Verpfeifer), die Korruption von innen aufdecken, sollen jetzt nicht nur staatlichen Schutz erhalten, sondern auch ermutigt werden, auszupacken. Staatspräsident Mwai Kibaki gab eine Erklärung über seine Eigentumsverhältnisse ab. Ihm folgte der kongolesische Staatspräsident Joseph Kabila. In der „Neuen Partnerschaft für Afrikas Entwicklung“ (NEPAD) hat „gute Regierungsführung“, zu der Korruptionsbekämpfung zählt, nicht nur eine hohe Priorität erhalten. Sie soll auch im Rahmen von gegenseitigen Überprüfungen in die Tat umgesetzt werden. Von Bedeutung ist auch, ob der Aufruf an internationale Unternehmen Erfolg haben wird, ihre Geldtransaktionen in Afrika zu veröffentlichen. Alle guten Absichten und auch gesetzlichen Regelungen werden sich erst durchsetzen, wenn eine frei Presse gewährleistet ist und eine starke Zivilgesellschaft existiert.