Ein wesentliches Standbein nachhaltiger Entwicklung ist die Rückkehr zu kleinräumigen Gemeinwesen. Ist dieses neue politische Leitbild das geeignete Instrument einer globalen Kurskorrektur zur Rettung der Zukunft oder eher Ausdruck einer konservativ-roman
Vor allem das „schwarze Gold“ ist das Doping unseres Wirtschaftssystems, der Lebenssaft nicht nachhaltiger Strukturen. In Jahrmillionen verdichtetes Sonnenenergiekonzentrat (fossile Pflanzen und Tiere) wird in Sekundenschnelle verfeuert und speist eine gigantische Technosphäre aus Kraftwerken, Autobahnen, Wolkenkratzern, Fabriken, Monokulturen und Müllhalden.
Industriegesellschaften sind strukturell nicht nachhaltig. Mechanische Landwirtschaft, motorisierter Individualverkehr, fossile Energieversorgung, lineare Materialflüsse und zentrale Massenproduktion sind in ihrer Essenz nicht zukunftsfähig.
Erkannt wurde diese evolutionäre Sackgasse schon zur Jahrhundertwende, beispielsweise von dem Innsbrucker Physiker Leopold Pfaundler. Doch der erste „nachhaltige“ Warnruf erschallte erst 1972 aus dem Mund von Dennis Meadows, der den ersten Bericht des Club of Rome verfaßte („Die Grenzen des Wachstums“). Wenn wir weiter so mit Rohstoffen praßten, würde bald nichts mehr übrigbleiben, meinte er damals.
1987 wurde das politische Prinzip der Nachhaltigkeit aus der Taufe gehoben – von der UN-Weltkommission für Umwelt und Entwicklung: Die aktuelle Generation müsse ihre Bedürfnisse so befriedigen, daß die Möglichkeiten der kommenden Generationen, ihre Bedürfnisse zu befriedigen, nicht geschmälert würden, hieß es.
Mit der ersten globalen Konferenz für Umwelt und Entwicklung 1992 in Rio de Janeiro änderte sich der Blickwinkel etwas: Die Hauptsorge verschob sich weg von der Verknappung der Ressourcen hin zu den Konsequenzen ihrer Rückgabe in die Natur in Form flüssiger, gasförmiger und fester Emissionen.
Außerdem hat sich zur Idee der intergenerationalen Gerechtigkeit die der internationalen gesellt: Kein Land sollte über seine Verhältnisse leben beziehungsweise mehr Natur verbrauchen oder in Anspruch nehmen, als ihm aufgrund seiner Bevölkerungszahl zusteht.
Die USA konsumieren nach dieser Rechnung ein Vielfaches des ihnen gebührenden Kontingents an Fläche, Energie und Rohstoffen. Europa verpraßt zwar nur halb soviel, liegt aber immer noch um das Vier- bis Fünffache über der Nachhaltigkeitsgrenze.
Beispielsweise steht laut UNO jedem Erdenbürger ein Jahresbudget von 1,7 Tonnen CO2-Emissionen zu. Der durchschnittliche Österreicher bläst mit seinem Mobiltäts-, Konsum-, und Wohnverhalten das Vierfache, sieben Tonnen, in die Atmosphäre.
Vor diesem Hintergrund haben sich besorgte WissenschaftlerInnen und Organisationen, unter anderem die Friends of the Earth, daran gemacht, Nachhaltigkeitsprogramme für ganze Länder zu erstellen und „Umwelträume“ zu berechnen. Umwelträume sind Pro-Kopf-Budgets für erneuerbare Ressourcen (Ackerland, Holz, Wasser) oder Naturdienstleistungen (CO2-Absorption).
Die erste Studie wurde für Holland angefertigt („Action Plan Sustainable Netherlands“), es folgten ähnliche für Europa, Deutschland und auch Österreich („Auf dem Weg zu einer nachhaltigen Entwicklung in Österreich“). Die Bundesregierung hat 1997 mit einem Nationalen Umweltplan (NUP) nachgezogen, der etwa zwanzigmal so dick, aber nicht unbedingt ambitionierter ist als die NRO-Studie.
Wie soll nun ein ökologisch, ökonomisch und sozial nachhaltiges Gemeinwesen für Österreich aussehen? Mittlerweile sind folgende Kriterien als Grundpfeiler der Nachhaltigkeit für die Industriestaaten anerkannt:
Eine flächendeckende biologische Landwirtschaft erhält die Artenvielfalt, sichert die Qualität des Grundwassers und die langfristige Fruchtbarkeit der Böden; zudem liefert sie ein organisches Landschaftsbild und erhält feingliedrige Siedlungsstrukturen. Saatgut wird lokal gewonnen, die Fleischproduktion geht drastisch zurück, auf Futtermittelimporte wird verzichtet (in Brasilien besetzt allein Exportsoja ein Fünftel der fruchtbaren Ackerfläche).
In diesem Punkt besteht Hoffnung: Österreich ist mit 10% Biobauernanteil internationaler Spitzenreiter.
Der Gesamtenergieverbrauch wird durch Effizienz, Suffizienz, Dezentralisierung und Raumordnung der kurzen Wege auf ein Viertel des heutigen Niveaus gesenkt und ausschließlich mit erneuerbaren Energien gedeckt (aktive und passive Sonnenenergie, Erdwärme, Wind, Kleinwasserkraft, Biogas, Holz, Stroh und Raps).
Die Erhöhung des Raumwiderstandes ist vermutlich das vordringlichste Teilziel, um Industriegesellschaften auf den Pfad der Nachhaltigkeit einzuschwenken. Die Natur – nach dem Münchner Biokybernetiker Frederic Vester „jenes Unternehmen, das seit vier Milliarden Jahren nicht pleite gemacht hat“ – verzichtet fast vollständig auf horizontale Mobilität. Der meiste Transport findet vertikal statt, durch Gravitation, Sonnenenergie und Haarröhrchenwirkung; lediglich ein Prozent der Biomasse, die Fauna, bewegt sich horizontal, allerdings mit hohem Energieverschleiß, deshalb ist sie auch nur ein Prozent.
Die Analogie zu sozialen Systemen liefert der Wuppertaler Verkehrsökologe Rudof Petersen: Der Güterfernverkehr solle bloß „das Salz“ in der lokalen Suppe der Mikro- oder Kreislaufmobilität sein. (Derzeit sind 30% „Salz“ in der Suppe.)
Das Straßensystem wird durch ein modernes Bahnnetz ersetzt. Seit 1970 ist das EU-Autobahnnetz um 308% gewachsen, das Eisenbahnnetz um 9% geschrumpft; diesen Trend gilt es bloß umzudrehen. Individuelle motorisierte Mobilität ist weder sozial noch ökologisch nachhaltig.
Das im Moment meistgebrachte Argument ist der Klimawandel: Mit 10 bis 15 Autokilometern hat man sein persönliches Tagesbudget an CO2-Emissionen verbraucht. Da bleibt nichts für Heizen, Kochen und Elektrizität. Pkw sind nur mehr als Park&Ride-Mittel in dünnbesiedelten Regionen denkbar. In den autobefreiten Städten vervielfachen sich die Bewegungsflächen für Fußgänger und Radfahrerinnen, das Leistungsangebot des öffentlichen Verkehrs wird je nach Bedarf verdoppelt, verdrei- oder vervierfacht.
Das Pendlerdilemma (allein nach Wien kommen täglich 70.000 Berufstätige in 60.000 Privatautos) wird primär durch integrierte Regionalentwicklung (Arbeitsplätze vor Ort schaffen) und erst sekundär mit entsprechenden Verbesserungen des öffentlichen Verkehrs gelöst. Der Erkenntnis zufolge, daß Autobahnen Regionen nicht mit Wohlstand füllen, sondern um Menschen entleeren und Strukturen zerstören, wird die „Außenorientierung“ von Kommunen und Regionen durch eine Innenorientierung eingetauscht: integrierte Raumplanung oder eben nachhaltige Entwicklung.
Die Menschen arbeiten, wo sie leben und konsumieren, was sie selbst herstellen. Landwirtschaft und Lebensmittelveredelung, Gastronomie und Tourismus, gewerbliche und industrielle Kleinbetriebe, Handwerk und Reparaturdienstleister werden in einem regionalen Konzert von höchster Effizienz und Qualität integriert.
Die Ressourcen kommen aus der Region und bleiben in der Region, der Produktionskreislauf wird geschlossen; toxische Substanzen – chlorchemische Produkte, Pestizide, Lösungsmittel – werden erst gar nicht eingelassen. In der Wegwerfgesellschaft sind die Materialflüsse linear: Große Mengen Rohstoff werden entnommen, zu kurzlebigen Produkten verarbeitet, schnell verbraucht und auf Müllhalden deponiert; was fehlt, ist ein drittes Glied zu Produzenten und Verbrauchern: die Zerleger oder Abfallverwerter, die aus Reststoffen Rohstoffe machen und durch die Schließung der Kreisläufe die Probleme Rohstoffverknappung und Müllakkumulation mit einem Schlag lösen. Effizienz und Suffizienz verringern die Stofflüsse mindestens um das Zehnfache.
Forschungsakzente liegen in nachhaltigen Gemeinwesen nicht auf Rüstung, Raumfahrt, Gentechnologie oder Kernenergie, sondern auf erneuerbaren Energien, nachhaltigen Landbaumethoden, Kreislauftechnologien, Pflanzenkläranlagen, biologisch abbaubaren Verpackungsmaterialien, ungiftigen Farben, Lacken, Holzschutz- und Reinigungsmitteln, Naturwerk- und Baustoffen, Pflanzentextilien, Naturmedizin.
Die Steuern werden zu gleichen Teilen von den Produktionsfaktoren Natur, Arbeit und Kapital eingehoben. (Derzeit ist die Natur so gut wie gratis, Arbeit steuerlich heillos überfrachtet und das Kapital wird geschont.)
Arbeit, Einkommen und Vermögen (Grundbesitz) werden so verteilt, daß sich Ungleichheiten in einem gesellschaftlich akkordierten Rahmen bewegen (zum Beispiel Faktor fünf zwischen den Reichsten und Ärmsten) und vor allem tendentiell nicht verschlechtern.
Die Globalisierung soll sich auf nichtmaterielle Aspekte wie Information, Gastfreundschaft oder Kunst beschränken. Jede Region verfügt über eine Gästeinfrastruktur, in der Menschen aus aller Welt für längere Zeit in die regionale Gemeinschaft aufgenommen werden, um Sprache und Kultur kennenzulernen und sich gegenseitig zu befruchten.
Gegenwärtig läuft die Globalisierung genau in den falschen Bereichen ab: Waren und Finanzen. Vernetzungen und Ströme in diesen Bereichen bringen Abhängigkeiten (Erdöl, Saatgut, Rohstoffe, Schulden), Ungleichgewichte und permanente Instabilität. Finanzkrisen, Ressourcenkriege und Massenmigrationen sind die Folge. Dauerhafte Stabilität können nur eigenständige Regionen sichern, die sich mit Energie und Nahrung selbst versorgen und ihre Waren und Finanzen im Kreis führen.
Soweit die Theorie. In der österreichischen Realität sind zwei gegenläufige Tendenzen festzustellen: Während auf der nationalen (und internationalen) Ebene alle wichtigen Entscheidungen immer noch gegen eine nachhaltige Entwicklung gefällt werden (nach wie vor werden Autobahnen gebaut; Energie- und Materialverbrauch steigen weiter an), wächst vor allem auf kommunaler Ebene die Zahl der Nachhaltigkeitsinitiativen.
Ein paar Beispiele: An der Wiener Universität für Bodenkultur wird bald ein Professor für Nachhaltige Entwicklung dozieren; die Bundesländer Steiermark, Oberösterreich und Tirol haben Landesumweltprogramme unter dem Leitbild nachhaltiger Entwicklung beschlossen; schon über 200 Gemeinden und Städte sind dem Klimabündnis beigetreten; im Wissenschaftsministerium läuft ein Forschungsprogramm zur Untersuchung heimischer Wälder, Moore und Almwiesen.
Der Verkehrsclub Österreich (VCÖ) denkt darüber nach, wie man auch ohne Auto vorwärtskommt; der Verein zur Verzögerung der Zeit möchte die allgemeine Hektik einbremsen; der Distelverein setzt sich für Hecken, Raine und Gehölze ein; die Arche Noah (NÖ) züchtet alte Obstbaumsorten. Das südsteirische Kernberg-Institut und das Bildungshaus SPES in Schlierbach (OÖ) bringen ländliche Regionen auf Nachhaltigkeitskurs; die Gemeinde Kautzen in Niederösterreich und das Kärnter Lesachtal sind bereits unterwegs, und die Modellgemeinde Steinbach (OÖ) gilt gar als europäisches Vorbild.
All das ist erst ein Anfang. Es besteht jedoch die berechtigte Hoffnung, daß nachhaltige Entwicklungsmodelle in Anbetracht der sozialen und ökologischen Verheerungen globalisierter Waren- und Finanzströme zunehmend an Bedeutung gewinnen werden.
Christian Felber lebte von 1995 bis 1997 in Madrid und schrieb ein Buch über
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