König der Schuhsohlen

Von Friedrich Ofner · · 2004/11

In einem von der Österreichischen Entwicklungszusammenarbeit unterstützten Projekt stellt ein findiger Unternehmer Schuhsohlen aus Recyclingmaterialien her.

Alfred Muwonge ist der ungekrönte König der Schuhsohlenmacher Ugandas. In Kampala, der pulsierenden Hauptstadt des Landes, entwickelte er vor einigen Jahren eine durchschlagende Geschäftsidee: die Herstellung robuster Schuhsohlen. Die Produktforscher multinationaler Schuhkonzerne schwören bei der Herstellung ihrer Sohlen auf hoch entwickelte Maschinen und teure Rohstoffe. Beides gehört nicht unbedingt zur Grundausstattung ugandischer Unternehmen. Deshalb ist die Werkstätte des einfallsreichen Erfinders ein wundersames Antiquariat alter und zweckentfremdeter Maschinen, die emsig ihrer neuen Aufgabe nachkommen: dem Recycling von Schuhsohlen.
In Konzernen arbeiten ganze Abteilungen für Entwicklung, Marketing und Qualitätssicherung von Schuhsohlen. Nicht so bei Alfred Muwonge. Er ist Erfinder, Geschäftsmann und Mechaniker in einer Person. Aus diversen, altertümlich anmutenden Maschinen baute er eine komplizierte Produktionsvorrichtung. Weggeworfene Schuhsohlen und Sandalen aus PVC werden händisch zerhackt, eingestampft, zu Granulat verarbeitet, geschmolzen. Besonders wichtig sind Gussformen, in denen das geschmolzene PVC in die neue Form gepresst wird. Diese werden derzeit noch aus Österreich importiert. Kürzlich wurde Alfred jedoch bei einer oberösterreichischen Firma in alle Geheimnisse der industriellen Schuhsohlenproduktion eingewiesen.

Das größte Talent dieses leidenschaftlichen Bastlers ist die Gabe, ausrangierte Maschinen wieder zu beleben, um sie danach für eigene Zwecke zu nutzen. Zum Einstampfen der alten Schuhsohlen etwa dient eine Maschine aus dem ersten Weltkrieg. Ursprünglich wurde sie in England für die Waffenproduktion verwendet. Über indische Händler gelangte die Maschine nach Ostafrika und über Alfred Muwonges Großvater in den Familienbesitz. Nun hat die Maschine ihre endgültige Bestimmung gefunden: ugandischen Füßen Profil zu verleihen.
Weggeworfene Sohlen und Sandalen werden von AbfallhändlerInnen im ganzen Land gesammelt und zum Kilopreis von 500 Uganda Shilling (ca. 25 Cent) angekauft. Die Zulieferbranche boomt. Wegen der gestiegenen Nachfrage werden alte Schuhsohlen mittlerweile sogar aus Ruanda und Kongo importiert. Für viele AbfallsammlerInnen ist dies ein lohnendes und willkommenes Geschäft. Die von weit her angereisten AbfallhändlerInnen tauschen einen Teil ihres Ertrags direkt in Sandalen um und verkaufen diese gewinnbringend weiter.
Zwischen den dröhnenden und stampfenden Maschinen bewegen sich eifrig staubige Gestalten, deren Gesichter hinter Tüchern versteckt sind: Alfreds MitarbeiterInnen. Mittlerweile werden über 20 Menschen beschäftigt. In der lauten und düsteren Produktionshalle arbeiten die Männer, im Lager und Verkauf die Frauen. Angezogen vom Erfindergeist kommen Menschen von weither. „Meinen Lehrerberuf hab ich an den Nagel gehängt. Hier kann ich viel über Maschinen lernen“, erzählt Francis. Auch bei Studierenden technischer Universitäten sind Sommerjobs in Alfreds Werkstatt begehrt. Denn er legt Wert darauf, sein Wissen weiterzugeben. Die MitarbeiterInnen sind zufrieden. Obwohl ihr Chef noch nie von Corporate Social Responsibility (sozialer Unternehmensverantwortung; siehe auch Artikel Seite 24; Anm.d.Red.) gehört hat, übernimmt er soziale Verantwortung gegenüber seinen Angestellten. Mit den Erträgen der Firma baut er nicht nur ein Haus für sich, seine zwei Ehefrauen und elf Kinder, sondern auch ein Wohnheim für seine Angestellten in unmittelbarer Nähe zur Werkstatt.

Nicht nur in Uganda stehen und gehen die Menschen auf Muwonges Sandalen. Nun erobern sie auch die Märkte Kenias und Burundis. In Ruanda und Kongo sind sie bereits ein Verkaufsschlager. Gelobt werden ihre Robustheit und der niedrige Preis. Ein Paar Flip-Flops aus der Produktion Alfred Muwonges kostet 800 Uganda Shilling (ca. 40 Cent). Der Preis ist selbst für ugandische Kleinbauern und -bäuerinnen günstig. Dem Modebewusstsein der Kundschaft wird Rechnung getragen: Die bislang nur in schwarz erhältlichen Flip-Flops werden künftig auch in den Modefarben rot und gelb verfügbar sein.
Die Österreichische Entwicklungszusammenarbeit unterstützt die Schuhindustrie Ugandas. In Kampalas Industrieviertel gibt es bereits ein Ausbildungszentrum für angehende SchuhmacherInnen. Woher bezieht dieses Zentrum seine Schuhsohlen? Von Alfred Muwonge natürlich.

Der Autor hat Kommunikationswissenschaften und Ethnologie studiert und bereiste kürzlich Uganda.

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