Wie soll man für die Kleinsten und die Jungen Weihnachtsgeschenke in Buchform aussuchen? Eine Antwort findet wie immer der Buchhändler unseres Vertrauens.
Kinder, die nur zu sogenannten „heiligen Zeiten“ Lektüre erhalten, sind stark gefährdet, nach einigen „Fehlgriffen“ ins große Lager der NichtleserInnen zu schlittern. Es gibt zwar „Faustregeln“, die bei der Auswahl helfen (können), aber seitdem sich meine Tochter Johanna (drei Jahre) immer öfter ihre Bücher selber aussucht, stellt sie mir manche dieser Regeln auf den Kopf.
Sie hat Lieblingsbücher, deren Illustrationen derart stilisiert und abstrakt sind, daß ich mich „vor ihr“ fragte, ob ein Kind damit etwas anfangen kann, und zu ihren Favoriten gehören natürlich auch solche, denen das Honigsüßlich-Durch-Die-Rosarote-Brille-Gemalte aus den Seiten tropft.
Ich gebe zu, daß ich, um letztere Kategorie in Grenzen zu halten, mit Johanna fast nur unsere zwei Südwind-Buchhandlungen aufsuche, da ich hier auch Fehlgriffe Richtung irgendwelcher politischen Unkorrektheiten weitestgehend ausschließen kann.
Für diesen Text hatte ich testweise Pascale Bougeaults „Wer regt sich hier so auf? Eine kleine Völkerkunde für Kinder.“ mitgenommen. Das Bilderbuch zeigt in kurzen Alltagsszenen bei irgendeiner Familie irgendwo auf der Welt einen Gebrauchsgegenstand. Auf der Folgeseite wird dann, z. B. ein Holzkamm aus dem Kongo einem Kamm aus Rentierhorn (Grönland) oder einem aus Holz und Kokosfasern (Pazifischer Raum) usw. gegenübergestellt. Die Kinder lernen in dem Buch Nackenstützen, Gefäße, Musikinstrumente u. a. m. kennen. Altersmäßig hätte ich es ab ca. 4 Jahre empfohlen, aber die sehr ansprechenden Illustrationen dürften auch Jüngere begeistern.
Anders ist es bei „Wie die Geschichten auf die Welt kamen“ von Gcina Mhlophe. Bei diesem großformatigen Bilderbuch fehlen Johanna bei den Illustrationen die Details und sie läßt sich die Geschichte erzählen, aber nicht vorlesen: Am Anfang saßen die Menschen stumm an ihren Lagerfeuern und schauten in den Sternenhimmel. Mazanendaba, der Frau des Bildhauers, wurde dieses Leben mit der Dauer zu langweilig. Sie machte sich auf den Weg, um etwas über Geschichten zu erfahren, aber auch die Tiere kannten keine und waaren außerdem zu sehr mit dem Überleben beschäftigt. Die letzte Hoffnung war der Adler, den sie auf Rat des Elefanten herbeirief. Und dieser brachte sie ans Meer zu den Delphinen und die wieder schwammen mit ihr zum Geistervolk. Der König und die Königin schenkten ihr eine große Muschel, die voller Geschichten war. Von nun an erzählte Mazanendaba Geschichten und die Leute erzählten sie weiter und wieder weiter… „Am Anfang war das Wort,/Das Wort gebar die Sprache,/Die Sprache gebar die Geschichte,/Und mit der Geschichte fing/Der Spaß erst richtig an!“
Viel Spaß werden Johanna in drei, vier Jahren die Geschichten aus Jamaika machen, die Peter-Paul Zahl unter dem Titel „Ananzi ist schuld“ gesammelt hat. Ananzi ist schuld, daß das Schwein einen Rüssel hat, daß die Affen ständig klettern und lachen, daß sich der Tiger im Dschungel versteckt, warum wir den Löwen nicht mehr König, sondern Raubtier nennen… Anzani hat durch den Gewinn einer Wette mit dem Löwen auch durchgesetzt, daß Eltern auf Jamaika keine Gutenacht-, sondern Ananzi-Geschichten erzählen. – Das sind lustige und nachdenkliche, freche und respektlose Volksmärchen und im vorliegenden Buch (mit s/w Zeichnungen von Barbara Nascimbeni) zum Vor- und Selberlesen für Kleine und Große geeignet.
Ein Märchenbuch der besonderen Art ist „Aladin“. Für Kinder ab 8 Jahren erzählt Rosalind Kerven die Geschichten nicht nur nach, sie kommentiert sie auch. Mit Hilfe von Fotos mit Bildunterschriften und den Illustrationen Nilesh Mistrys erklärt sie die Welt, in der die Geschichten handeln – ein „Sesam öffne dich!“ in das an Geschichte und Kultur so reiche Arabische Reich.
Ein Märchen für Große (ab 12 Jahren und für jeden Erwachsenen!) ist Roberto Piuminis „Eine Welt für Madurer“. Ein mächtiger Fürst im Orient engagiert für seinen todkranken Sohn Madurer den Maler Sakumat. Der soll seinem Sohn die Vielfalt des Lebens in seine Gemächer bringen. Beide verbindet schnell eine tiefe Vertrautheit und gemeinsam beginnen sie, die leeren Wände lebendig werden zu lassen. Ohne Kitsch und Sentimentalität erzählt der Roberto Piumini die Geschichte einer Freundschaft, voll Verständnis und Toleranz. – Ein Roman über ein Leben, das sich leider nur träumen läßt.
So einen Traum wollte Ernesto „Che“ Guevara für sich und alle verwirklichen. Seine Lebensgeschichte hat Frederik Hetmann nun zum zweiten Mal (nach der, vor beinahe dreißig Jahren erschienen und mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis gekrönten Biographie „Ich habe sieben Leben“) unter Berücksichtigung des in jüngster Zeit aufgetauchten Materials niedergeschrieben. Titelgebend ist wieder ein Ausspruch Ches: „Solidarität ist die Zärtlichkeit der Völker“.
Selbst Menschen, die kaum Näheres über das Leben Ches wissen, gilt sein Name als Symbol für die Sehnsucht nach einer gerechteren Welt (oder als leibhaftiger „Gott-sei-bei-uns“). Doch wieviel Verklärung steckt hinter dem Mythos, den Jean-Paul Sartre den „vollkommensten Menschen unserer Zeit“ nannte? Frederik Hetmann hatte, wie er im Vorwort schreibt, von Anfang an eine Skepsis gegen den Che-Kult, aber aus der Forderung Ches nach Taten („Immer nur verbale Empörung auf Partys und in Diskussionsrunden – das ist zu wenig.“ F. H.) zog er die Konsequenz: Aufklärung gegen Ausbeutung und Unterdrückung, aber nicht mit der Waffe, sondern schreibend. Frederik Hetmann unterscheidet in seinem Buch sorgsam zwischen Fakten und Legende. Trotzdem läßt er keinen Zweifel am Vorbildcharakter Ches für Jugendliche: „Seid realistisch, versucht das Unmögliche.“
Meiner Tochter werde ich es in etwa zehn Jahren in die Hand drücken. Ich denke, sie wird es mit Begeisterung lesen.
Pascale Bougeault: Wer regt sich hier so auf?
Moritz Verlag, Frankfurt am Main 1999, 68 Seiten, öS 277,-.
Gcina Mhlophe: Wie die Geschichten auf die Welt kamen.
Peter Hammer Verlag, Wuppertal 1998, 32 Seiten, öS 181,-.
Peter-Paul Zahl: Ananzi ist schuld.
Elefanten Press, Berlin 1999, 141 Seiten, öS 196,-.
Rosalind Kerven: Aladin.
Gerstenberg Verlag, Hildesheim 1999, 64 Seiten, öS 182,-.
Roberto Oiumini: Eine Welt für Madurer.
Hanser Verlag, München 1999, 103 Seiten, öS 161,-.
Frederik Hetmann: „Solidarität ist die Zärtlichkeit der Völker“.
Beltz & Gelberg, Weinheim 1999, 382 Seiten, öS 234,-.
Rudi Lindorfer ist Mitarbeiter der Buchhandlung Südwind-Buchwelt in Wien.
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