Keine trojanischen Pferde, bitte!

Von Redaktion · · 2012/02

Die Europäische Union richtet ihre Entwicklungspolitik neu aus und präsentierte im Herbst vergangenen Jahres den zweiten entsprechenden Vorschlag. Petra Navara hat diese „Agenda for Change“ aus NGO-Sicht unter die Lupe genommen.

Das Positive vorweg. Die „Agenda for Change“ ist wesentlich konsistenter als der erste Vorschlag ein Jahr zuvor. Er beinhaltet auch Forderungen zivilgesellschaftlicher Organisationen wie Armutsorientierung, Bezug zu Menschenrechten sowie Relevanz guter Staats- und Regierungsführung der Empfängerländer.

Die Hauptkritikpunkte der NGOs bleiben jedoch aktuell: Die Abstimmung der verschiedenen Politikfelder im Interesse einer sozialen Entwicklung wird nur halbherzig abgehandelt. Die Klimaveränderung erhält nicht die ihr zukommende Bedeutung. Bagatellisiert wird auch die Tatsache, dass die Zivilgesellschaft in den Partnerländern viel zu wenig in Entscheidungsprozesse eingebunden ist.

Zwei Aspekte sollen laut EU-Vorschlag in Zukunft noch stärker als bisher im Zentrum entwicklungspolitischen Handelns stehen: das wirtschaftliche Wachstum und der Privatsektor. Über die Schiene Märkte – Privatunternehmen – Profite soll die Armutsbekämpfung gelingen, natürlich umweltschonend. Wer Marx gelesen oder die Entwicklung des Kapitalismus in den letzten 200 Jahren ansatzweise reflektiert hat, weiß, dass diese Rechnung aufgrund des ihr innewohnenden Zielkonflikts nicht aufgehen kann.

Das ist natürlich zynisch, aber die NGOs können ihre Skepsis begründen.

Stichwort „Verlorene Dekade“: Die 1960er Jahre mit ihrer Betonung von Wachstum, nachholender Entwicklung und industrieller Investitionen brachten für einen Großteil der Entwicklungsländer aus verschiedenen Gründen große Rückschläge. Zieht man heute nationale Wirtschaftsdaten als Referenz heran, so scheint Armut in einigen großen Ländern wie Brasilien, Indien oder China überwunden. Dennoch leben drei Viertel aller Armen gerade in Ländern mit mittlerem Einkommen.

Warum steht also das wirtschaftliche Wachstum in der nun vorgelegten „Agenda for Change“ wieder derart im Zentrum der Strategien?

1) Beiträge zur internationalen Entwicklungszusammenarbeit sinken, und Regierungen bringen den politischen Willen nicht auf, dagegen zu setzen. Frisches Geld wird gebraucht, das man sich vom Privatsektor erhofft.
2) Die Finanz- und Wirtschaftskrise ist in der heimischen Wirtschaft spürbar. Sie übt Druck auf die Regierungen aus, neue Geschäftsmöglichkeiten zu bieten.
3) China, Indien und Brasilien mischen das Entwicklungsgeschäft mit Angeboten auf, denen die Entwicklungsländer oft nicht widerstehen können: Sie werben „Kunden“ ab.

EU Agenda for Change

In der „Agenda for Change“ umreißt die Europäische Kommission ihre neuen politischen Prioritäten für die Entwicklungszusammenarbeit der Europäischen Union bis 2020. Die Agenda skizziert einen strategischen Ansatz zur Armutsreduzierung, indem sie ihre Leistungen auf wenige Sektoren und nur die bedürftigsten Länder beschränkt. Die EU folgt der umstrittenen Annahme, dass Wirtschaftswachstum zu weniger Armut führt. Dazu sieht sie die Notwendigkeit, stärker mit dem Privatsektor und lokalen Behörden zusammenzuarbeiten. Die „EU Agenda for Change“, die auf Grundlage des EU-Grünbuchs entwickelt wurde, fordert darum nicht überraschend die Stärkung des Privatsektors und setzt den derzeitigen Trend einer „Ökonomisierung“ von Entwicklungszusammenarbeit fort. Beim vierten High Level Meeting zur Wirksamkeit der Entwicklungszusammenarbeit in Busan Ende November wurde dies als neues Paradigma für die Nord-Süd-Beziehungen festgeschrieben. (Siehe auch Beitrag auf Seite 34.)

In den nächsten Monaten werden die Mitgliedsstaaten und das Europäische Parlament den Vorschlag diskutieren. Der Europäische Rat entscheidet darüber auf seiner Tagung im Mai 2012. P. N.

Näheres auf ec.europa.eu/europeaid/news/agenda_for_change_en.htm

Die Stärkung des Privatsektors zur Förderung des Wachstums mag logisch sein. Zivilgesellschaftliche Organisationen aus Entwicklungsländern sprechen sich jedoch deutlich gegen eine ungeregelte Einbeziehung des Privatsektors aus, er verfolge Einzelinteressen und sei nicht demokratisch legitimiert.

Indien beispielsweise baute im Zeichen des Wachstums und der Entwicklung durch Ernährungssicherung weit über 3.000 Staudämme, finanziert mit Entwicklungsgeldern. Die Getreideproduktion konnte dank Bewässerung vervierfacht werden. Den Staudämmen mussten 40 Millionen Menschen weichen – vertrieben, sozial entwurzelt, ohne Entschädigung, zu arm, um sich das produzierte Getreide leisten zu können.

Entwicklung braucht sehr wohl Wirtschaft und Wachstum und der Privatsektor kann einen relevanten Beitrag leisten. Voraussetzungen sind eine reflektierte Vorgangsweise und Regeln zur Vermeidung von Fehlentwicklungen. Europa blickt bei der Armutsbekämpfung auf 60 Jahre Erfahrung zurück und sollte den politischen Mut haben, im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung mit hohen Menschenrechts-, Arbeitsrechts- und Umweltstandards anzutreten, auch wenn es verschiedene neue Geberländer nicht tun.

Die Autorin ist Geschäftsführerin der AG Globale Verantwortung, der Arbeitsgemeinschaft für Entwicklung und Humanitäre Hilfe.

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