Stella Kawelama ist erst 21, aber sie hat einen der erniedrigendsten medizinischen Albträume durchgemacht, den eine Frau erleben kann. Ein Jahr lang konnte sie aufgrund einer Komplikation namens Scheidenfistel ihre Körperausscheidungen nicht kontrollieren – weder die von Urin noch von Stuhl. Die Fistel entwickelte sich, nachdem sie am 14. Oktober 2007 ein Baby tot auf die Welt gebracht hatte – ihr erstes Kind, wie Kawelama erzählt. Die Geburtswehen hatten bereits drei Tage lang gedauert, bis ihre Mutter sie in das Balaka Health Centre brachte. Dort erfuhr sie, dass sie zu spät gekommen war und daher bereits Komplikationen eingetreten waren.
„Frauen in meiner Gegend gebären in der Regel zuhause, vor allem weil es ziemlich weit bis ins Gesundheitszentrum ist. Es dauert ca. vier Stunden, bis wir medizinische Hilfe in Anspruch nehmen können“, erklärt Kawelama. „Dass man mich in die Klinik brachte, war der letzte Ausweg.“
Nach Regierungsangaben müssen Menschen in Malawi im Schnitt 20 Kilometer bis zum nächsten Gesundheitszentrum zurücklegen. Die Straßen in ländlichen Gebieten sind meist nicht asphaltiert und können nicht mit Autos befahren werden. 65 Prozent der 13,1 Millionen EinwohnerInnen leben nach internationaler Einstufung in extremer Armut.
In der Klinik konnte man Kawelama nicht helfen. „Sie überwiesen mich in ein Krankenhaus, aber wir brauchten fast zwei Stunden bis dorthin. Im Krankenhaus machten sie einen Kaiserschnitt, aber da war das Baby bereits tot“, erzählt Kawelama traurig. Das Problem mit der Inkontinenz begann bald danach. Aber auch im Krankenhaus hieß es, man könne nichts tun, da keine SpezialistInnen verfügbar wären. „Der Zustand war mir nicht so unbekannt, weil meine Großmutter es auch nicht schafft, die Ausscheidung von Urin und Stuhl zu kontrollieren“, erzählt Kawelama. Ihre Großmutter leidet seit 35 Jahren an einer Scheidenfistel. Sie bekam das Problem, als sie mit 40 ein Kind zur Welt brachte – auch eine Totgeburt.
Eine Scheidenfistel kann sich entwickeln, wenn die Geburt sehr lange dauert, erklärt Dorothy Lazaro vom UN-Bevölkerungsfonds (UNFPA) in Malawi, selbst Krankenpflegerin und Hebamme. Sie entstehe durch den lang andauernden Druck, den der Kopf des Kindes auf das Gewebe im Becken der Mutter ausübe. „Das weiche Gewebe stirbt schließlich ab, weil es nicht mehr mit Blut versorgt wird, und es bildet sich eine Öffnung, entweder zwischen Mastdarm und Vagina oder zwischen der Blase und der Vagina. Deswegen verlieren Frauen die Kontrolle über die Ausscheidung von Urin oder Stuhl, manchmal über beides“, erläutert Lazaro.
Was Lazaro hier erklärt, ist den meisten Menschen in Malawi unbekannt. Kawelama dachte am Anfang an Hexerei: „Alle Leute in meiner Gegend sagen, meine Großmutter sei verhext worden, und ich dachte, bei mir wäre es ebenso.“ Rund 40 Prozent der Erwachsenen in Malawi sind AnalphabetInnen, und der Glaube an Hexerei ist verbreitet.
Was ist eine Scheidenfistel?
Zur Entwicklung einer Scheidenfistel kommt es, wenn der Druck des Babykopfs bei einem Geburtsstillstand die Blutversorgung von Gewebebereichen im Geburtskanal verhindert; das Gewebe kann absterben, worauf sich nach der Geburt Öffnungen bilden. Derart können Urin bzw. Stuhl aus der Blase bzw. dem Mastdarm unkontrollierbar in die Vagina gelangen. Jährlich bildet sich bei schätzungsweise 75.000 Frauen eine solche Fistel, und die meisten werden nicht behandelt.
Mindestens zwei Millionen Frauen leben derzeit mit dieser gravierenden Beeinträchtigung, die oft dazu führt, dass sie von ihren Ehemännern und Gemeinschaften verstoßen werden.
Eine verbreitete Tradition in Malawi begünstigt noch dazu die Entwicklung von Scheidenfisteln: Die Entscheidung, wann eine Frau bei der Geburt medizinische Hilfe suchen sollte, obliegt ihrem Onkel, der als Oberhaupt des Clans betrachtet wird. Ist der Onkel nicht in der Nähe, sind keine anderen Familienangehörigen, nicht einmal der Ehemann der schwangeren Frau, berechtigt, sie ins Krankenhaus zu schicken. Dadurch wird es wahrscheinlicher, dass Geburten lange dauern oder Frauen dabei sterben.
In der Heimatregion von Kawelama und in vielen anderen Regionen ist es auch Tradition, die jeweils ersten Kinder zuhause zu gebären, damit die Familienangehörigen, inklusive Schwager und Schwägerinnen, sich vergewissern können, dass tatsächlich der Ehemann und kein anderer das Kind gezeugt hat. Liegt eine Frau in den Wehen, wird sie von den Anwesenden wiederholt aufgefordert, den wirklichen Vater des Kindes zu nennen. Kommt es zu Komplikationen, wird angenommen, dass die Frau außereheliche Beziehungen gehabt hat. Daher ist es nicht überraschend, dass Frauen mit Scheidenfisteln oft von ihren Gemeinschaften verstoßen werden und ins Elend geraten; viele werden aus ihren Heimen und Dörfern verjagt.
Seit Kawelama die Scheidenfistel hatte, lebte sie mit ihrer Großmutter am Rand des Dorfes. „Meine Großmutter war seit 1973, als sie die Fistel bekam, eine Ausgestoßene“, erzählt sie. „Niemand wollte ihr nahe kommen, weil sie nach Urin stank, und auch weil man sie verdächtigte, untreu gewesen zu sein.“ Kawelamas Großvater ließ sich bald danach von seiner Frau scheiden und verwies sie des Hauses. Der Geruch, den Kawelama nun dauernd ausströmte, und ähnliche Verdächtigungen wie jene gegen ihre Großmutter bewogen auch ihren Mann, sie zu verlassen. „Er jagte mich aus dem Haus, und mir blieb nichts anderes übrig, als zu meiner Großmutter zu gehen. Sogar meine Eltern und meine Geschwister wollten nichts mehr von mir wissen.“
Allein in der Gegend Kawelamas wurden 138 Frauen mit Scheidenfisteln identifiziert, was laut Lazaro auf die lokale Neigung zu frühen Heiraten zurückzuführen ist. „Frühe Heiraten führen dazu, dass junge Mädchen Kinder gebären, bevor ihre Körper fähig sind, die Strapazen von Schwangerschaft und Geburt auszuhalten. Wir trafen auf 13-jährige schwangere Mädchen, und die haben ein hohes Risiko, eine Scheidenfistel zu entwickeln.“
„Die meisten Menschen wissen nicht, dass eine Scheidenfistel beseitigt werden kann, aber gleichzeitig können nur sehr wenige Krankenhäuser diese Eingriffe anbieten“, erläutert Lazaro. „Es ist auch schwierig, die Betroffenen zu identifizieren. Wir führen aber in Kooperation mit dem Gesundheitsministerium Aufklärungskampagnen durch, besonders in ländlichen Gebieten.“
Die Erlösung für Kawelama kam im vergangenen Oktober. Damals startete das malawische Gesundheitsministerium mit finanzieller Hilfe von UNFPA eine Aufklärungskampagne zu Scheidenfisteln, um die Bevölkerung darüber zu informieren, dass es sich um ein heilbares Problem handelt und etwas gegen den verbreiteten schädlichen Aberglauben zu unternehmen. Im Rahmen einer „Fistula Week“ im Zomba Central Hospital, einem von nur vier größeren Krankenhäusern des Landes, erhielten Frauen mit Scheidenfisteln medizinische Hilfe und konnten sie kostenlos operativ beseitigen lassen.
„Ich packte die Gelegenheit beim Schopf, aber meine Oma lachte nur und meinte, es sei unmöglich, wieder normal zu werden“, sagt Kawelama. „Ich ging während der Fistula Week ins Krankenhaus, um mich operieren zu lassen, aber ich musste zwei Wochen warten, weil so viele Frauen die Operation machen lassen wollten.“ UNFPA hatte zwei Spezialisten aus den Niederlanden und Kenia organisiert, um die Operationen vorzunehmen. Sie wurden von elf Fachkräften der Klinik unterstützt, die derart gleichzeitig ausgebildet wurden. Die Fistula Week dauerte schließlich zwei Wochen lang, da immer mehr Frauen auftauchten, um sich operieren zu lassen.
Bis zur Fistula Week hatte es in Malawi laut Lazaro nur einen Arzt und vier medizinische Fachkräfte gegeben, die diese Operation durchführen konnten. Nach Informationen des Gesundheitsministeriums verlassen jedes Jahr bis zu 100 registrierte Krankenschwestern das Land, auf der Suche nach besser bezahlten Jobs in den reichen Ländern. Auf 64.000 Menschen kommt nur ein Arzt/eine Ärztin.
Wie viele Frauen in Malawi an einer Scheidenfistel leiden, ist offiziell nicht bekannt, und die Regierung lässt das Ausmaß der Problematik derzeit im Rahmen einer Studie erheben. UNFPA empfiehlt, Programme zur Prävention von Scheidenfisteln in den Schulunterricht zu integrieren, und versucht dafür zu sorgen, dass Mädchen länger als bisher zur Schule gehen, um frühe Heiraten zu vermeiden. Die UN-Organisation hat auch einen Ausbau jugendfreundlicher Gesundheitsdienste versprochen, um verfrühten Schwangerschaften vorzubeugen.
Nach ihrer Operation ist Kawelama nun wieder in der Lage, ihre Körperausscheidungen zu kontrollieren. „Du kannst dir nicht vorstellen, wie glücklich ich bin“, strahlt Kawelama. „Ich kann es kaum erwarten, entlassen zu werden, meiner Großmutter von diesem Wunder zu erzählen und sie zu überzeugen, sich auch hier in Ordnung bringen zu lassen.“
Pilirani Semu-Banda ist Korrespondentin von Inter Press Service in Lilongwe, Malawi.
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