Keine Kompromiss-Kultur

Von Martin Peter Houscht · · 2006/06

In Bangladesch zeigen die verfeindeten Lager der beiden Parteiführerinnen Dialogbereitschaft. Doch die Bevölkerung ist weiterhin skeptisch und sieht darin eher Manöver für die bevorstehenden Wahlen.

Im März kam es im ganzen Land zu spontanen Freudenausbrüchen. Die Elitetruppen der „Rapid Action Bataillon“ (RAB) hatten „Bangla Bhai“, einen der führenden islamistischen Terroristen des Landes, festgenommen. Der Mann, der früher gleichsam unter Polizeischutz Reden gegen den säkularen Staat halten konnte und Menschen, die er als Kriminelle oder maoistische Rebellen einschätzte, auf brutale Weise umbringen ließ, war dingfest gemacht worden. Damit war binnen kurzer Zeit neben Abdur Rahman der zweite große Anführer der „Jamaat-ul-Mujahideen Bangladesh“ (JMB) gefasst worden.
Noch im Februar 2005 hatte die Regierung, in der auch zwei islamische Parteien vertreten sind, die Existenz radikal-islamistischer Gruppierungen im Land als Erfindung der Medien bezeichnet. Wenige Tage später wurde, in einer völligen Kehrtwendung, das angeblich mediale Gespenst in Gestalt der JMB und der „Jagrata Muslim Janata Bangladesh“ („Muslimische Wächter“) verboten. An der äußerst prekären Sicherheitssituation im Land änderte sich dadurch gleichwohl nichts. Im Gegenteil: Die islamistischen Terrorgruppen führten, offenbar mit Unterstützung führender Regierungspolitiker, blutige Anschläge aus. Am 17. August 2005 explodierten landesweit innerhalb einer Stunde über 400 Sprengsätze. Es folgten weitere Anschläge und die in der Geschichte des Landes ersten Selbstmordattentate. Die „Explosion des Terrors“ schien auf eine unfähige oder unwillige Regierung zu treffen, den kriminellen Banden wie Bangla Bhais „Muslimischen Wächtern“ das Handwerk zu legen. Dann kam die Wende.

Für politische BeobachterInnen kam das plötzliche Durchgreifen der Regierung allerdings nicht überraschend. Nicht Überzeugung, sondern starker innen- und außenpolitischer Druck zwangen sie zu einer Kurskorrektur. Dazu kommt eine beispiellose Energiekrise im Land. Wütende Bäuerinnen und Bauern, denen die Ernte wegen der Dieselengpässe zu verfaulen droht oder Unternehmen, die unter Produktionsausfällen leiden, sind nicht das, was man im Jahr vor den Wahlen braucht.
Zur Entlastung der Regierung scheint nun beim zweiten großen innenpolitischen Thema, den Parlamentswahlen im Jänner 2007, eine Verständigung mit der Opposition möglich. Nachdem die seit 2001 wieder in der Opposition befindliche „Awami League“ (AL) das Land jahrelang mit Streikwellen überzogen und das Parlament boykottiert hatte, kehrte sie Anfang des Jahres wieder in das Abgeordnetenhaus zurück. Regierungschefin Khaleda Zia von der „Bangladesh Nationalist Party“ (BNP) reagierte darauf mit selten gehörten freundlichen Worten und einer Einladung zum Gespräch. In einem paritätisch besetzten zehnköpfigen Ausschuss soll über alle strittigen Fragen gesprochen werden. Zum Beispiel über die Besetzung und die Aufgaben der neutralen Übergangsregierung, über die Wahlkommission und andere Wahlmodalitäten.
Skeptiker wie Ali Zulfiqar von der Universität Dhaka sind pessimistisch. „Die Regierung versucht, Zeit zu gewinnen, um die Weichen für den Wahlerfolg zu stellen. Die Opposition wird bald aus dem Ausschuss austreten. Die Falken in der Regierung und in der Opposition werden sich durchsetzen.“ Die Optimisten verweisen auf den Druck, der auf Regierung und Opposition lastet, freie und faire Wahlen abzuhalten bzw. zur Wahl anzutreten. Skepsis ist mit Blick auf die Geschichte des Landes allerdings angebracht.

Regierung und Opposition geben sich in Bangladesch traditionell unnachgiebig. Eine Kompromisskultur gibt es nicht. Bereits eine angedeutete Verhandlungsposition wird als Schwäche ausgelegt – von politischen Gegnern, den WählerInnen und selbst von Parteifreunden. Stärke nach innen wie nach außen zu demonstrieren ist ein Persönlichkeitsattribut, auf das politische Führungskräfte nicht verzichten können. Der unerbittliche Machtanspruch hat im Land eine „Alles oder Nichts“-Haltung hervorgebracht, die seit der Wiedereinsetzung der zumindest auf dem Papier demokratischen Ordnung im Jahr 1991 zu einer De facto-Blockade des parlamentarischen Betriebes geführt hat. In rund der Hälfte der vergangenen 15 Jahren blieb die Opposition dem Parlament fern und zog das Duell auf den Straßen der Debatte in der Volksvertretung vor.
Die jeweilige Opposition war und ist nicht bereit, im Parlament das Pro und Kontra einer politischen Sachfrage zu diskutieren und einer Mehrheit zur Entscheidung zu überlassen. Sie verlagert stattdessen die Diskussion auf die Straße, sucht die Konfrontation, mobilisiert ihre AnhängerInnen und zwingt die Gesellschaft in die Defensive, indem sie so genannte Hartals ausruft. Bei diesen Streiks blockiert die Opposition die Straßenverbindungen und legt das öffentliche Leben lahm. Was als Jahrzehnte altes demokratisches Recht in der Auseinandersetzung gegen Briten, Westpakistanis und späteren autoritären Herrschern wie Ershad gerechtfertigt erschien, erweist sich nunmehr als kontraproduktiv, denn Hartals können nur zerstören und nicht aufbauen oder eine demokratische Ordnung weiterentwickeln. Sie dienen nach Überzeugung vieler Menschen im Land dem eigennützigen Anliegen einer politischen Führungsclique, die über ein komplexes Patronagesystem Tausende von AnhängerInnen vor ihr Fuhrwerk spannt.

Die seltenen Treffen zwischen politischen FührerInnen der beiden Parteien, die seit vielen Jahren von Khaleda Zia (BNP, gegenwärtige Premierministerin) und Sheikh Hasina Wajed (AL) geleitet werden, entpuppen sich immer wieder als politischer Kampf mit verbalen Mitteln. Maximalforderungen werden erhoben, ohne nach dem Preis für ihre Durchsetzung zu fragen. Nicht der politische Ausgleich wird gesucht, sondern die Auseinandersetzung. Der Gegner soll vorgeführt und schließlich an die Wand gedrückt werden. „Warum soll das dieses Mal anders sein?“, fragt sich auch Rabiul Monju, Menschenrechtsaktivist in Dhaka. Resignierend fügt er hinzu: „Die Regierung möchte ein neues Wahlverzeichnis erstellen lassen, damit die Oppositionswähler erst gar nicht zum Zuge kommen. Ich erwarte nicht, meinen Namen im Wahlverzeichnis zu finden!“
Monju möchte schon jetzt internationale Wahlbeobachter, damit die Manipulationen vor den Wahlen aufhören. Für die AnhängerInnen der „fair election“-Bewegung ist klar, dass die Regierung bereits jetzt die Weichen für ihren Wahlerfolg stellen will. In der Verwaltung werden nur noch regierungsloyale Kräfte eingestellt, und auf die Zusammensetzung der eigentlich neutralen Übergangsregierung wird in einer Weise Einfluss genommen, die das Attribut „neutral“ als unpassend erscheinen lässt. Ob Druck der internationalen Gebergemeinschaft Eindruck auf die Regierung machen wird, ist nach Meinung von BeobachterInnen fraglich. Doch auch sie sehen darin zumindest eine Möglichkeit, den mühevollen Dialog zwischen Opposition und Regierung in Gang zu setzen und in eine konstruktive Richtung zu drängen.

Die Regierung hat indessen einen denkbar kleinen Spielraum. Die Jamaat-e-Islami als Juniorpartner der BNP deckt offenkundig radikal-islamistische Gruppierungen. Die Partei, deren Fernziel eine islamische Republik Bangladesch ist, wird von der BNP für ihre Regierungsfähigkeit gebraucht. Denn unter den Bedingungen des Mehrheitswahlrechts sind Wahlabsprachen ein Garant für den Sieg. Ohne sie haben BNP und die Jamaat-e-Islami nach Meinung politischer BeobachterInnen kaum Erfolgschancen. Die BNP muss also Rücksicht nehmen. Figuren wie Bangla Bhai können wohl ohne Angst vor einem Koalitionsbruch festgenommen werden, doch wird die BNP kaum versuchen, Licht in die Machenschaften und die Finanzierung der zahlreichen unregistrierten Koranschulen des Landes zu bringen. „Wir sagen nicht, dass alle Koranschulen schlecht sind, aber wir wollen wissen, was dort passiert und wer hinter ihnen steht“, heißt es aus dem Kreis ehemaliger Vorkämpfer der Unabhängigkeitsbewegung. Diese haben 1971 gegen die Jamaat-e-Islami für die Unabhängigkeit des Landes gekämpft. Sie sehen die Grundpfeiler des Staates durch die Regierungsbeteiligung dieser Partei gefährdet und beobachten jeden Schritt der Jamaat und den erstarkten islamischen Fundamentalismus im Land mit großem Misstrauen.
Niemand wagt im Moment eine Prognose über die weitere innenpolitische Entwicklung. Klar ist, dass taktiert wird und sich jede Seite in eine gute Ausgangsposition bringen will. Ob bei offiziellen Gesprächsrunden oder mittels unerlaubt hoher Wahlausgaben oder im Einzelfall auch durch Erpressungen, es geht nur um eines: um die Macht.

AutorenInfo:
Martin Peter Houscht ist Projektreferent bei einer deutschen Entwicklungsorganisation, Journalist und Gutachter sowie Autor des Buches „Entwicklungspolitik und Entwicklungszusammenarbeit im interkulturellen Kontakt und Konflikt – Fallstudie Bangladesch“ (wvt, Trier 1999).

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