Wann kann man ein Herz als gebildet bezeichnen? PISA hat keinen sinnvollen Test dafür parat.
Die Wochenzeitschrift „Zeit“ lässt auf der letzten Seite jeder Ausgabe in der Rubrik „Mein Wort-Schatz“ LeserInnen Wörter erklären, die ihnen lieb sind, die sie für besonders treffend halten, stimmig, die aus der Zeit gefallen und verstaubt scheinen. „Habgier“ wurde kürzlich beschrieben, auch „Butterbrotpapier“ und „Chaiselongue“. „Verzärteln“ ist für mich so ein Wort.
Auch „Herzensbildung“. Meine Mutter verwendete dieses, wenn jemand hochmütig war, anmaßend oder egoistisch. „Der hat keine Herzensbildung“, sagte sie dann.
Vor einigen Wochen waren die „Gedanken zum Tag“ in Ö1 diesem Wort gewidmet. Der Erziehungswissenschaftler Rudolf Egger und der Schauspieler August Schmölzer drehten die Herzensbildung eine Woche lang täglich für ein paar Minuten gedanklich hin und her, sehr tiefsinnig und anregend. Für die beiden ist sie „die Kunst, sich im anderen wiederzuerkennen“.
PISA testet Bildung. Lesen wird geprüft, auch Mathematik. Österreich kommt dabei regelmäßig schlecht weg. Wie steht es bei uns mit der Herzensbildung? Wie kann man sie testen? Gar nicht mit Prüfungen, die auf dem Papier zu erledigen sind. Sie zeigt sich im respekt- und verantwortungsvollen Umgang miteinander. Menschen mit Herzensbildung stellen nicht die eigenen Interessen in den Mittelpunkt des Denkens, Fühlens und Handelns. Drei aktuelle Beispiele.
Der somalische Schriftsteller Nuruddin Farah, kürzlich Ehrengast des Festivals „Literatur im Nebel“, musste vor vielen Jahren seine Heimat verlassen, weil er sich gegen die Diktatur von Siad Barre stellte. Er lebt seither im Exil in Kapstadt, hat sich aber nicht in einen gemütlichen Elfenbeinturm zurückgezogen. Nuruddin Farah beobachtet und kommentiert die katastrophale Lage am Horn von Afrika, schreibt gegen Tyrannei und Ungerechtigkeit, besonders jene gegen Frauen an. „Hunger ist ein politisches Problem“, sagt er, und: „Demokratie produziert Lösungen“.
Eine der drei Friedensnobelpreisträgerinnen dieses Jahres ist die jemenitische Aktivistin Tawakul Karman. Sie organisiert bereits seit 2007 Demos gegen die staatliche Missachtung von Bürger- und Frauenrechten. Ohne Rücksicht auf persönliche negative Konsequenzen kämpft sie für die Anerkennung ihrer NGO „Journalistinnen ohne Ketten“ und an vorderster Front für einen friedlichen Sturz von Präsident Ali Abdallah Saleh.
Der streitbare Globalisierungskritiker Jean Ziegler sagt von sich: „Ich bin ein völlig unmoralischer Mensch.“ Ein schlechtes Gewissen würde nur das Hirn vernebeln. Der Kampf gegen die Missstände auf dieser Welt verlange aber einen klaren Kopf. Er argumentiert pointiert und faktenreich: Alle fünf Sekunden verhungert ein Kind. Der World Food Report der FAO zeigt auf, dass die Weltlandwirtschaft heute problemlos das Doppelte der Weltbevölkerung ernähren könnte. Jedes Kind, das an Hunger stirbt, wird folglich ermordet.
Herzensbildung trieft nicht vor Mitleid. Sie ist die Verbindung von wachem Interesse und Empathie. Soziales Engagement und solidarisches Handeln setzen Herzensbildung voraus.
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