Viele Entwicklungsländer befürchten, dass bei der WTO-Verhandlungsrunde in Cancún das vor Jahren
begrabene Multilaterale Investitionsabkommen eine Wiederauferstehung feiern könnte.
Und dies wäre alles andere als eine entwicklungspolitische Wohltat, meint Jan Ceyssens.
Zur Erinnerung: 1998 scheiterten die Verhandlungen zwischen den 29 in der OECD vertretenen, wirtschaftlich entwickelten Staaten über das sog. Multilaterale Investitionsabkommen (MAI) am Widerstand der Zivilgesellschaft und an den inneren Widersprüchen der beteiligten Staaten.
Ein multilaterales Abkommen über Investitionen – das ist jedoch einer der zentralen Bestandteile der vor knapp zwei Jahren eröffneten, von der WTO mit dem Namen „Doha Development Round“ versehenen neuen Welthandelsrunde. Ob allerdings tatsächlich bis zum 1.1.2005 unterschriftsreife WTO-Investitionsregeln vorliegen, das hängt davon ab, ob sich die WTO-Mitgliedstaaten auf ihrem Halbzeit-Gipfel im mexikanischen Badeort Cancún im September auf gemeinsame Verhandlungsmodalitäten und damit über die offizielle Aufnahme von Verhandlungen verständigen können. Droht dann ein neues MAI?
Nein, so tönt es aus den Genfer WTO-Büros ebenso wie aus dem Munde des EU-Handelskommissars Pascal Lamy, einem der stärksten Fürsprecher eines solchen Abkommens: Aus dem Scheitern des MAI habe man gelernt und viel „bescheidenere“ Vorschläge gemacht. Und weil WTO-Investitionsregeln auch für Entwicklungs- und Schwellenländer gelten, seien davon positive Anstöße für ausländische Investitionen und damit für die wirtschaftliche Entwicklung in diesen Ländern zu erwarten. Handelt es sich also, ganz im Sinne einer „Entwicklungsrunde“, gar um eine gute Tat der EU für diese Länder? Die diese offensichtlich nicht verstehen: Ein Großteil von ihnen, angeführt von Indien, gehört zu den vehementen Gegnern des Abkommens – mit Ausnahme einiger südostasiatischer Tigerstaaten.
Aber folgen wir einmal den Argumenten der Befürworter: Wenn ausländische Investitionen den WTO-Handelsprinzipien der Inländerbehandlung und der Meistbegünstigung unterliegen, der Markt für ausländische Investoren geöffnet wird und Mindeststandards für eine faire und transparente Behandlung von Investoren festgelegt werden, so soll dies Transparenz und Berechenbarkeit für Investoren erhöhen. Jedoch schon heute gibt es eine Vielzahl bilateraler Investitionsverträge mit vergleichbaren Regelungen – die übrigens auch weiterhin neben einem WTO-Abkommen bestehen werden. Diese Verträge haben jedoch bisher nicht zu einem verstärkten Zufluss ausländischer Direktinvestitionen geführt. Zu spüren bekamen die betroffenen Staaten stattdessen, dass mehr und mehr Investoren die in den Verträgen vorgesehenen Instrumente nutzten und vor internationalen Schiedsgerichten auf Schadensersatz wegen Vertragsverletzung klagten – allein gegen Argentinien sind wegen der Notmaßnahmen in der Währungskrise des vergangenen Jahres ein knappes dutzend Klagen meist westlicher Großkonzerne anhängig.
Zahlreiche Studien haben nachgewiesen, dass die langfristigen Entwicklungs-Impulse von ausländischen Direktinvestitionen sehr von den jeweiligen Umständen abhängen: Ein Joint Venture zur Errichtung einer neuen industriellen Fertigung unter Einbezug lokaler Zulieferer mag solche Effekte haben; anders sieht es jedoch beim Aufkauf und Betrieb eines örtlichen Unternehmens ohne zusätzliche Investitionen aus. Nötig ist also eine gewisse Steuerung der Investitionsflüsse. Gerade diese werden aber durch die vorgeschlagenen WTO-Investitionsregeln fast unmöglich gemacht: Screening-Verfahren (Prüfverfahren hinsichtlich der Auswirkungen) für ausländische Investoren, Auflagen zur Verwendung lokal hergestellter Vorprodukte oder die Pflicht zu Joint Ventures mit lokalen Unternehmen wären demnach unzulässig.
Gleiches gilt für Einschränkungen des Kapitalverkehrs in Zusammenhang mit ausländischen Investitionen, namentlich der freien Transferierbarkeit der Gewinne.
An der weitreichenden Einschränkung entwicklungspolitischer Handlungsspielräume ändert auch der von der EU vorgeschlagene Positivlisten-Ansatz nichts. Dieser sieht vor, Marktzugangsverpflichtungen – vergleichbar mit dem Dienstleistungsabkommen GATS – nur für die in einer von jedem Staat gesondert aufgestellten Liste aufgeführten Sektoren zu gewähren. Wie die Erfahrungen mit dem GATS zeigen, werden auch so in ihren Auswirkungen häufig nicht vorhersehbare, fast unwiderrufliche Festlegungen getroffen. Das Ziel ist und bleibt die fortschreitende Liberalisierung.
Und wo bleiben die Pflichten? Inländerbehandlung, Marktzugang, Meistbegünstigung … – da erhebt sich die Frage, wo angesichts dieser Rechte für Investoren deren Pflichten bleiben. Aber ein entsprechender Vorschlag mehrerer Entwicklungsländer wurde in der WTO-Arbeitsgruppe Handel & Investitionen mit der trockenen Antwort beschieden: Dafür ist die WTO nicht zuständig.
Fazit: Ein WTO-Investitionsabkommen ist alles andere als eine entwicklungspolitische Wohltat. Schon eher dürfte der Schluss nahe liegen, dass es um Marktzugang und neue Anlagemöglichkeiten für transnationale Unternehmen und Finanzfonds geht. Zu hoffen bleibt deshalb, dass die Mehrzahl der Entwicklungsländer ihren Widerstand auch in Cancún aufrechterhält und sich ihre Zustimmung nicht doch noch im letzten Moment als Zugeständnis für die Öffnung der Agrarmärkte abtrotzen lässt. Um dies zu verhindern, kommt es nicht zuletzt auf die hörbare Unterstützung zivilgesellschaftlicher Kräfte weltweit an.