Herr Rajasingham ist mit seiner Frau Yoga und den drei Söhnen innerhalb eines Jahres schon das zweite Mal in seine alte Heimat gereist. Dieser Tage trifft man die deutsche Familie regelmäßig am frühen Abend im „Nallur Tempel“, dem wichtigsten Hindu-Heiligtum in der Tamilenhochburg Jaffna im Norden Sri Lankas. Hunderte Gläubige haben sich hier zur Puja eingefunden, dem hinduistischen Gottesdienst.
Beim Flanieren durch die Stadt hebt sich Familie Rajasingham optisch von den anderen PassantInnen ab. Die Fünf sind anders gekleidet als einheimische Tamilen. Frau Yoga hat einen Fotoapparat um den Hals. Die Kinder nehmen oft etwas ängstlich das rege Treiben auf den Straßen wahr. Etliche neue Geschäfte sind jüngst in Jaffna eröffnet worden, die Stadt wird mit Waren aus der Hauptstadt Colombo geradezu überflutet. Coca Cola an jeder Ecke, Lebensmittelläden und Textilgeschäfte mit reichhaltigem Angebot, Gaskocher, Waschmaschinen und Kühlschränke haben in einem Gebiet Einzug gehalten, wo es bis vor kurzem keine Stromversorgung gab und Kerzen oder Batterien auf dem Schwarzmarkt gehandelt wurden.
Busse, LKWs, motorisierte Rikschas, Motorräder und zahllose Fahrräder machen es den FußgängerInnen nicht leicht, unbeschadet über die Straßen zu kommen.
Aber das geschäftige Treiben täuscht. So richtig voran geht es weder in Jaffna, noch in den anderen Gebieten im Nordosten, wo 20 Jahre lang Bürgerkrieg herrschte. Mindestens 80.000 Menschen haben während dieser Zeit ihr Leben gelassen und Hunderttausende wurden zu Flüchtlingen. So wie Rajasingham, der vor 15 Jahren Sri Lanka verließ und mit seiner Familie nach Deutschland zog.
„Als der Friedensprozess vor eineinhalb Jahren begann, da waren wir sehr optimistisch, dass die zerstörte Wirtschaft unserer Region mit Unterstützung der Geschäftsleute aus dem Süden wieder angekurbelt werden könnte“, erzählt Markadu Ramadasan, Präsident der Industrie- und Handelskammer Jaffnas. Zahlreiche Wirtschaftsdelegationen aus dem Süden, meist Angehörige der singhalesischen Mehrheitsbevölkerung, seien nach Jaffna gereist. Investiert habe aber bisher niemand von ihnen.
Die Wirtschaft reflektiere die politische Lage. Die sei noch zu unübersichtlich, alle scheuten das Risiko, Investitionen durch einen erneuten Kriegsausbruch „in den Sand zu setzen“. Auch der Wiederaufbau der zerstörten Zement-, Glas-, Aluminium- und chemischen Industrie sowie der in Jaffna in Vorkriegszeiten florierenden Handwebereien lässt auf sich warten.
Mit Handel allein können die Wirtschaftsprobleme nicht gelöst werden. Der bringt der Bevölkerung und den vielen aus anderen Landesteilen zurückkehrenden Flüchtlingen keine dauerhaften Vorteile und schafft nur wenige neue Arbeitsplätze, die so wichtig wären. „Die Menschen in Jaffna warten sehnsüchtig auf eine Friedensdividende“, meint S. Balakrishnan, Direktor des „National Peace Councils“. Der nationale Friedensrat wurde als unabhängige Organisation gegründet, um Lösungen im Konflikt zwischen Tamilen und Singhalesen, zu finden. Balakrishnan sieht Gefahren für den politischen Verhandlungsprozess, wenn es mit der Wirtschaft in den gebeutelten Tamilengebieten nicht bald spürbar bergauf gehe.
Obwohl mittlerweile 20 Monate vergangen sind, seit Ende Februar 2002 ein Waffenstillstand zwischen der Regierung und den Rebellen der LTTE (Liberation Tigers of Tamil Eelam) geschlossen wurde, hat sich die wirtschaftliche und soziale Lage der meisten Menschen in den ehemaligen Konfliktgebieten nicht spürbar verändert. 4,5 Milliarden US-Dollar wurden dem Land im Juni dieses Jahres von der internationalen Gebergemeinschaft für den Wiederaufbau zugesagt.
Einerseits fehlen die Strukturen für die sinnvolle Nutzung der Gelder, andererseits ist der Friedensprozess selbst seit April unterbrochen, weil die LTTE „vorübergehend“ ausgestiegen ist und sich die Verhandlungspartner seitdem nicht mehr zusammengefunden haben. Zuvor hatten sechs Verhandlungsrunden zwischen Regierung und LTTE auf neutralem Boden in Bangkok, Oslo und Berlin hohe Erwartungen aufkommen lassen.
Reiseerleichterungen, die Aufhebung der Wirtschaftsblockade über weite Teile des Nordostens sowie der Abbau von Kontrollen wurden zwar beschlossen – der große politische Durchbruch konnte indes nicht erzielt werden. Seit dem die LTTE ihre Teilnahme an den bilateralen Gesprächen ausgesetzt hat, haben sich Gangart und Ton zwischen beiden Parteien verschärft.
In den letzten Wochen hat sich wieder einmal die singhalesisch-radikale „Janatha Vimukti Peramuna“ (JVP) formiert, die immerhin über 16 Sitze im Parlament verfügt. Unterstützt von ihrem vorwiegend jugendlichen Anhang wird Stimmung gegen Zugeständnisse gemacht. Eine Verwaltung in LTTE-Hand sei der Anfang vom Ende des Einheitsstaates Sri Lanka und ein entscheidender Schritt auf dem Weg zur Teilung der Insel, dem eigentlichen Ziel der „Tamil Tigers“. Bei dieser Art von Protest wird schlichtweg unterschlagen, dass die LTTE schon vor etlichen Monaten ihre Forderung nach einem eigenen Tamilenstaat aufgegeben hat.
Die Regierung von Premier Ranil Wickremesinghe, der sich zudem noch mit einer Exekutiv-Präsidentin auseinandersetzen muss, die den Friedensprozess gerne anders gestalten würde, steht heftig unter Druck. Seine Regierung, die nach wie vor den Frieden will, sieht sich einerseits den Forderungen der LTTE gegenüber gestellt und weiß, dass nur ein weiteres Nachgeben in deren Richtung eine Wiederaufnahme der Verhandlungen ermöglicht. Andererseits ist dem Premier klar, dass weitere Zugeständnisse an die LTTE die singhalesisch-radikalen Parteien und Gruppierungen dazu motivieren, den mehrheitlich singhalesischen Süden mit Protesten zu überziehen. Bisher hat Wickremesinghe die Aktionen seiner politischen GegnerInnen ignoriert und die Flucht nach vorne angetreten, obwohl es ihm die LTTE dabei nicht leicht macht. Die „Tigers“ nutzen anscheinend die derzeit unübersichtliche Lage, um mit politischen GegnerInnen der Vergangenheit abzurechnen. So wird ihnen vorgeworfen, während der vergangenen Wochen mehrere dutzend Personen, überwiegend Tamilen und Muslime, ermordet zu haben. Solche Vorfälle sind Wasser auf den Mühlen von Hardlinern, die in der LTTE nach wie vor nichts anderes sehen als eine Terrorgruppe.
Noch spielt die Regierung solche Ereignisse in auffälliger Weise herunter. Premier Wickremesinghe hat das alles nicht davon abgehalten, den tamilischen Rebellen mehrere Angebote zu unterbreiten, wie man sich ihre stärkere Einbindung in die Verwaltung der Nordost-Gebiete vorstellt. Bisher ohne positives Ergebnis.
BeobachterInnen gehen davon aus, dass es sich bei den zu erwartenden Vorschlägen um so weitgefasste Autonomievorstellungen handeln wird, dass diese von Colombo nur schwer akzeptiert werden können. Eine Wiederaufnahme des Verhandlungsprozesses würde dadurch weiter hinausgezögert. Die zugesagten Milliarden, die nur dann fließen, wenn die Geber wieder Vertrauen in den Verhandlungsprozess bekommen, würden blockiert werden.
Ein Teufelskreis, der den vor gut eineinhalb Jahren mit so viel Hoffnung begonnenen Friedensprozess weiter gefährdet.
Einige BeobachterInnen sprechen schon wieder vom unvermeidlichen Ausbruch neuer Kriegshandlungen, andere sind gelassener, sehen die aktuellen Probleme im Verhandlungsprozess dieses lange als unlösbar geltenden Konfliktes als „normal“ an und verweisen auf den Druck des Auslands – vor allem den der USA, Japans und Indiens. Keine der beiden Parteien könne sich angesichts der zunehmenden Internationalisierung des Konfliktes einen neuen Kriegsgang leisten, meint S. Balakrishnan vom „National Peace Council“.
Die Familie Rajasingham wird das weitere Schicksal der ehemaligen Heimat in den deutschen Medien weiter verfolgen. Sie verlässt in ein paar Tagen das Land und kehrt nach Düsseldorf zurück. Auch bei seinem diesjährigen Besuch hat es Herr Rajasingham aufgrund der unsicheren innenpolitischen Lage nicht geschafft, sein elterliches Haus aufzusuchen. Er will es nächstes Jahr erneut versuchen – aber nur, wenn dann immer noch Frieden sei, fügt er hinzu.