Jahrbuch Lateinamerika 30
Analysen und Berichte. Verlag Westfälisches Dampfboot, Münster 2006.
195 Seiten, € 24,90
Der 30. Band des bei Lateinamerika-Interessierten seit langem hochgeschätzten Jahrbuches befasst sich mit dem Thema Sicherheit. Anders als bei den Regierungen, die gerne mit der Berufung auf Sicherheitsinteressen Bürger- und Menschenrechte einschränken, geht es dem Herausgeberkreis des Jahrbuchs um die subjektive Sicherheit der Individuen. Die Autoren und Autorinnen nähern sich dem Problem von verschiedenen Seiten. Angefangen von der staatlich tolerierten Beteiligung von Polizei und Behörden an Gewaltverbrechen über die Jugendbanden, die in Zentralamerika ganze Städte terrorisieren, die Serie von Frauenmorden in mexikanischen Städten, den Paramilitarismus in Kolumbien bis zu Erscheinungen von Lynchjustiz im Angesicht staatlichen Versagens bei der Verbrechensbekämpfung. Die Wohlhabenden schließen sich in eingezäunten Vierteln, bewacht von privaten Sicherheitskräften, ein, die Armen sind kriminellen Banden und korrupten Polizisten ausgesetzt.
Anne Huffschmid analysiert die Frauenmorde in Nordmexiko nicht vom feministischen Standpunkt, sondern sieht hinter den Bluttaten und der völligen Straflosigkeit der Täter mächtige Netzwerke von Drogenbossen, Politikern und Teilen der notorisch korrupten Sicherheitskräfte. Raul Zelik teilt die auch im Südwind-Magazin bereits wiederholt vertretene Meinung, dass der so genannte Friedensprozess mit den Paramilitärs in Kolumbien letztlich nur der Straflosigkeit und der Aufstellung neuer krimineller Banden dient.
Am Beispiel der Polizei von Buenos Aires legt die Politikwissenschaftlerin Ruth Stanley dar, wie die Polizeiarbeit einerseits von Inszenierungen geprägt ist, andererseits routinemäßig der Aufbesserung der bescheidenen Löhne dient. In den Elendsvierteln, wo ihr Einsatz aber besonders gefragt wäre, ist sie kaum präsent.
In diesem Jahrbuch wird erstmals davon abgegangen, dem Analyseteil eine Anzahl von aktuellen Länderberichten anzuhängen. Doch auch so zeichnet sich der jüngste Band wieder durch große politische Treffsicherheit und vorurteilsfreien Zugang zu den Problemen der Zeit aus.