In fünf Jahren soll eine künstliche Wasserstraße in Nicaragua über ein Schleusensystem das karibische Meer mit dem Pazifik verbinden. Während manche darin einen Ausweg aus der Armut sehen, wittern andere ein ökologisches Desaster. Oder einen großen Bluff.
Kokospalmen säumen das Ufer, ein paar Kinder lachen vergnügt und ein dürrer Hund bellt zur Begrüßung. Dahinter Holzhäuschen auf Stelzen, die Dächer sind mit getrockneten Palmwedeln gedeckt. Bankukuk Taik sieht auf den ersten Blick aus wie viele andere Dörfchen im karibischen Nicaragua. Einzigartig macht es, dass es eine der letzten Siedlungen des indigenen Volkes der Rama ist, von denen es nur noch knapp tausend gibt.
Die Karibikregion – durch den geplanten Nicaragua-Kanal plötzlich ein Gebiet von internationalem Interesse – ist eigentlich ein einsamer Landstrich: fern der Hauptstadt Managua, seit eh und je ausgegrenzt, dünn besiedelt und nur schwer zu erreichen. Während die Wirtschaft am tonangebenden Pazifik langsam aber kontinuierlich wächst, stagniert der Osten in Armut. Viele leben hier von der Subsistenzwirtschaft, eng mit der Natur verbunden und doch von der Hand in den Mund.
Carlos Wilson, ein drahtiger Mann Mitte 40, ist der Dorfvorsteher von Bankukuk Taik: „Das ist unsere Heimat. Das ist alles was wir haben, seit Generationen", sagt er in breitem Kreol- Englisch. Seit der Nicaragua-Kanal beschlossene Sache ist, tauchen im Dorf immer wieder chinesische Ingenieure auf. Carlos Wilson runzelt die Stirn: „Jetzt soll dieses Ding kommen und alles kaputt machen.“
Das „Ding“ soll, einmal fertig gestellt, 300 Kilometer lang und 520 Meter breit sein. Die mit dem Bau beauftragte „Hong Kong Nicaragua Canal Development Corporation Limited“ – kurz HKND – spricht von 50.000 Arbeitsplätzen, die durch das Megaprojekt entstehen sollen. Nicaragua ist bis heute eines der ärmsten Länder der westlichen Hemisphäre, und Präsident Daniel Ortega wird nicht müde zu betonen, welch großer Segen der Kanal sei. Er verspricht „Wohlstand und Glück für alle“, das Bruttoinlandsprodukt werde von 10,5 Milliarden auf 24 Milliarden US-Dollar steigen.
Der ehemalige Revolutionsführer und seine First Lady Rosario Murillo haben Nicaragua fest im Griff. Die hart erkämpfte Demokratie ließen sie langsam aber sicher ausbluten, so der Vorwurf, auch von ehemaligen MitstreiterInnen. Dennoch stößt ihre Politik, eine Mischung aus kurzfristigen Hilfsleistungen und patriotischer Wohlfühl-Propaganda, auf breite Zustimmung. Für viele wiegt ein stabiler Preis für Reis und Bohnen schlicht mehr als ein tadelloser Rechtsstaat.
So winkte der Präsident 2013 das Gesetz zum Bau einer interozeanischen Wasserstraße innerhalb nur eines Tages durch. Eine Befragung der Bevölkerung – wie etwa in Panama vor der Erweiterung des Kanals – fand nicht statt. Ebenso wenig gab es eine Ausschreibung für das 50-Milliarden-Dollar- Projekt. Im Hintergrund wurde längst verhandelt, die Konzession schließlich an den Geschäftsmann Wang Jing aus Hong Kong vergeben.
Wangs Konsortium HKND hat das Recht, nach Ermessen Ressourcen zu nutzen und kann weitgehend außerhalb nationaler Gesetze agieren. Neben dem Kanal sind ein Flughafen, eine Pipeline, zwei Tiefseehäfen, eine Bahnverbindung, eine Freihandelszone und ein Tourismusressort geplant. Der nicaraguanische Staat soll mit 51 Prozent Mehrheitseigentümer werden.
Ortega und Wang haben einen Vertrag über fünfzig Jahre unterschrieben, verlängerbar um weitere fünf Dekaden. Die HKND-Group beauftragte sich selbst mit der Studie zur Umweltverträglichkeit, veröffentlicht wurde bis heute nichts. Veranschlagt ist eine Bauzeit von fünf Jahren, vielen ExpertInnen erscheint das angesichts der nie da gewesenen Dimensionen jedoch unmöglich. Zudem hat das Unternehmen keinerlei Referenzen vorzuweisen, die einem Infrastruktur-Projekt dieser Größenordnung auch nur annähernd entsprechen würden.
Victor Campos, Vizepräsident des renommierten Humboldt-Instituts in Managua, das sich auf Umweltstudien spezialisiert hat, meint: „Ich bin prinzipiell für den Kanal, Nicaragua braucht einen Stimulus, der das Land aus der Armut katapultiert. Aber es gibt einfach keine validen Daten, keine Studien, nichts! Mich stört vor allem, wie hier vorgegangen wird. Komplett im Alleingang, ohne irgendjemanden zu konsultieren. In zehn Tagen wurde eine Entscheidung getroffen, die das Land auf 100 Jahre verpflichtet.“
Für den Nicaraguakanal, dreimal so lang wie der Panamakanal, würden viel höhere Mautgebühren anfallen. Nicht nur deshalb stellt sich die Frage der Rentabilität. Als treibende Kraft hinter dem Projekt werden geostrategische Interessen Chinas, Russlands und der ALBA-Staaten angeführt. So mancher geht davon aus, dass das vermeintliche Monsterprojekt nur ein Bluff monströsen Ausmaßes ist.
Victor Campos mutmaßt etwa, dass lediglich gewisse Teile des Projekts realisiert werden, z.B. die Häfen und die lang ersehnte befestigte Straße zwischen Karibik- und Pazifikregion. Es geht um viel Land und so mancher einsame Fleck könnte in Zukunft touristisch überaus interessant werden. Zementfabriken, Freihandelszonen und ein neuer Flughafen wären in jedem Fall ein gutes Geschäft. Mit oder ohne Kanal.
Sollte der Kanal wirklich realisiert werden, würde ein Teil der Route durch den Cocibolca (zu Deutsch Nicaraguasee) verlaufen. Etwa fünfzehnmal so groß wie der Bodensee ist er die größte Süßwasserreserve Mittelamerikas. Die Bevölkerung in Nicaragua wächst schnell, in Zeiten des Klimawandels ist ein zukünftiger Wassermangel vorprogrammiert. Das Seewasser könnte eines Tages zu Trinkwasser aufbereitet oder zur Bewässerung von Anbauflächen verwendet werden. Ein versalzener oder gar toter See nützt freilich niemandem etwas.
Der Cocibolca ist mit einer durchschnittlichen Tiefe von dreizehn Metern sehr flach. Moderne Containerschiffe haben eine weit größere Tauchtiefe. Um den Weg frei zu machen, müssten Abermillionen Tonnen von Schlamm ausgebaggert werden. Wo genau all das Material landen soll, weiß niemand. Zudem würde durch die Containerschiffe Salzwasser in den See eingetragen werden.
Selbst unter normalen Umständen reagiert der Cocibolca sensibel auf kleinste Veränderungen. Bei schwachem Wind ist etwa ein vermehrtes Fischsterben wegen des niedrigeren Sauerstoffgehaltes bemerkbar. Es ist nicht auszudenken was passiert, wenn sich der komplette See auf Grund der Sedimente eintrüben würde. Zudem wäre die einheimische Fauna durch die Invasion neuer Spezies aus anderen Gewässern gefährdet.
Nicht zuletzt würden dem Kanal 4.000 Quadratkilometer Regenwald zum Opfer fallen, eine Fläche größer als das Burgenland. Die Route würde den so genannten mesoamerikanischen biologischen Korridor durchtrennen, einen Hotspot der Biodiversität. Ohnehin selten gewordenen Tiere wie Jaguar oder Tapir hätten plötzlich eine unüberwindbare Barriere für ihre Wanderbewegungen.
In Nueva Guinea, 70 Kilometer von der Karibikküste entfernt, leben die meisten Menschen von der Landwirtschaft. Kommt der Kanal, müssen sie weg. Die Stimmung ist voller antichinesischer Ressentiments, im November wird ein Auto der HKND-Group demoliert, während die Ingenieure Vermessungsarbeiten durchführen. Regelmäßig finden Proteste gegen den Kanal statt. Präsident Daniel Ortega, der einstigen Lichtgestalt der Linken, werfen die DemonstrantInnen Ausverkauf und Vaterlandsverrat vor.
Nicaragua ist eine aufstrebende Tourismusdestination, von Jahr zu Jahr kommen mehr UrlauberInnen ins Land. Die Vulkaninsel „Isla de Ometepe“ liegt mitten im Nicaraguasee, und nicht wenige haben es dort mit ihren Restaurants oder Hotels zu bescheidenem Wohlstand gebracht. Sie sind ebenso erbitterte GegnerInnen des Projekts wie die vielen Fischer, die an der geplanten Kanalroute ihre Heimat haben.
Der Widerstand weitet sich aus, am 10. Dezember, dem internationalen Tag der Menschenrechte, kündigen sich in Managua DemonstrantInnen aus allen Landesteilen an. Die Verkehrsbehörde versucht zunächst ihre Anreise zu verhindern. Es gibt mehrere Straßensperren und die Polizei droht den Busfahrern mit dem Entzug ihrer Lizenz. Auf Grund des großen Ansturms wird die Demonstration letztlich doch zugelassen, die VeranstalterInnen sprechen von 6.000 Teilnehmenden. Laut einer aktuellen Umfrage sind mehr als sechzig Prozent der NicaraguanerInnen für den Kanal. Dennoch scheint die Regierung nervös zu sein. Victor Campos meint dazu: „Das Thema ist politisch sensibel, man ist auf Investoren aus dem Ausland angewiesen. Der Umweltschutz ist ihre verletzliche Flanke, die Regierung hat kein Interesse daran, dass internationaler Widerstand gegen das Projekt aufkommt. Im Inland gibt es freilich starke Repressalien gegen Gegner.“
Salvador Montenegro etwa, ehemaliger Direktor der Abteilung für Hydrologie der Universität UNAN, war nach kritischen Äußerungen im Handumdrehen seinen Job los. Viele ziehen es vor zu schweigen. Für jene, die in einem der staatsnahen Betriebe beschäftigt sind, kann eine unbedachte Äußerung schnell die Arbeitslosigkeit bedeuten. Auch die meisten NGOs, Entwicklungszusammenarbeits- Agenturen und die Vereinten Nationen halten sich bedeckt. Zu groß ist die Angst, aus dem Land geworfen zu werden.
Ein Woche vor Weihnachten demonstrieren erneut Bäuerinnen und Bauern aus dem Süden gegen den Kanal. Sie zünden Autoreifen an, der Protest eskaliert und eine Spezialeinheit der Polizei räumt die Straßenblockade. Es gibt mehr als fünfzig Verletzte, ebenso viele DemonstrantInnen landen in Untersuchungshaft. In der Widerstandsbewegung brodelt es.
Am 22. Dezember erfolgt schließlich der Spatenstich für die Vorarbeiten zum „Gran Canal“. Militär und Polizei sind vor allem in den südlichen Landesteilen extrem präsent. In der Hauptstadt schwenken BefürworterInnen des Kanals rot-schwarze Fahnen, die Farben der SandinistInnen.
Der Jubel ist verhalten, die Interviews im Staatsfernsehen wirken auswendig gelernt. Ausländische JournalistInnen sind von der Eröffnungsfeier ausgeschlossen. Präsident Daniel Ortega verspricht das Ende der Armut in Nicaragua durch das Projekt. Die Rama aus Bankukuk Taik, wie viele andere, die an der Kanalroute leben, stehen dem hehren Ziel jedoch im Weg.
Georg Bartholomäus ist das Pseudonym eines Journalisten, der anonym bleiben möchte.
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