Jubiläum als Karneval

Von Andreas Hofbauer · · 2000/04

500 Jahre alt wird im April das koloniale Brasilien, der „Rassen-Schmelztiegel“ Südamerikas. Während die offiziellen Feiern den nationalen Mythos der harmonischen Koexistenz von weiß, schwarz und indianisch besingen, protestieren die Betroffenen gegen Dis

Ein prächtiger Indio-Federschmuck in den Nationalfarben Portugals – rot und grün – ziert ein „schwarzes“ Gesicht. Schweißperlen glitzern im Scheinwerferlicht. Die lokale Fernsehstation „Rede Globo“ überträgt direkt. Eine 3.000 „figurantes“ – Tänzer – zählende Sambaschule trägt das Thema Entdeckung einer Neuen Welt vor: Eine Komposition aus Musik, Tanzschritten, bunten Kleidungen und allegorischen Wägen, auf denen natürlich auch weibliche, möglichst spärlich bekleidete Schönheiten nicht fehlen dürfen. Strahlende Körper, Ausdruck überschwänglicher Lebensfreude.

Es ist wieder Karneval in Brasilien – dieses Jahr allerdings ein ganz besonderer. Die Organisatoren dieses Riesenspektakels einigten sich, dass der „Karneval 2.000“ die „Entdeckung“ des Landes Brasilien vor 500 Jahren zelebrieren soll. In den Darbietungen der Sambaschulen wurde daher nicht mit nationalen Symbolen gespart.

Selbst wenn die repressive Politik der Militärdiktatur und die Kapriolen des ersten direkt gewählten Präsidenten, Fernando Collor de Mello, der durch ein Impeachment-Verfahren seines Amtes enthoben wurde, mit einem sarkastischen Unterton präsentiert wurden, so blieb auch in diesem Karneval ein nationaler Mythos unangetastet. Der Mythos der harmonischen „Vereinigung dreier Rassen“, der bereits 1933 vom Schriftsteller Gilberto Freyre in dem Klassiker „Herrenhaus und Sklavenhütte“ („Casa Grande e Senzala“) verewigt wurde, hat Tradition und soll weiter bekräftigt werden. „Im Zusammentreffen von Weißen, Schwarzen und Indios liegt der Ursprung der Nation. Und heute ist meine Sambaschule eine einzige Rasse und lädt die Massen ein, unsere Geschichte zu besingen“, lautet eine Strophe des in diesem Jahr siegreichen Sambas, der von der Sambaschule Imperatriz Leopoldinense vorgetragen wurde.

Abweichungen von dieser Selbstdarstellung der Nation werden als anti-patriotische und Unruhe stiftende Agitation nicht nur von oberster Stelle, sondern auch von weiten Teilen der Bevölkerung zurückgewiesen.

Der Katholischen Kirche gelang es, die öffentliche Präsentation einer an die Geschichte des Landes adaptierten Pietá zu untersagen: In den Armen Marias sollte nicht der Leichnam des gepeinigten Gottessohns, sondern ein toter Indio liegen.

Am 22. April 2.000 jährt sich zum 500. Mal der Tag, an dem Pedro Alvares Cabral südlich von Porto Seguro (heutiges Süd-Bahia) vor Anker ging und es zur ersten Begegnung mit der Eingeborenenbevölkerung kam. Bald danach sollten die politischen Rahmenbedingungen für die wirtschaftliche Ausbeutung des neuen Territoriums abgesteckt werden. Der portugiesische König D. Joăo III. teilte die brasilianische Küste zunächst in sieben Abschnitte, die als eine Art Lehen („capitanias“) an portugiesische Edelleute verteilt wurden. Sie erhielten die Aufgabe, so weit wie möglich ins Landesinnere einzudringen, um die Grenzen des Landes gegen Westen vorzuschieben. Der Konflikt mit den einheimischen Bevölkerungsgruppen war vorprogrammiert.

Lebten zur Zeit der ersten Kontakte mit den Europäern noch etwa 5 bis 6 Millionen Indios auf jenem Territorium, das heute den Namen Brasilien trägt, so sind es heute nur noch rund 300.000. Von den ursprünglich über 1.000 unterschiedlichen Sprachen überlebten bis heute gerade noch 170.

Entscheidend für den Aufbau einer Kolonialgesellschaft in der Neuen Welt sollte die „Erfindung“ des Dreieckshandels werden. In einem Zeitraum von über 350 Jahren wurden – je nach Schätzungen – 3,5 bis 5 Mio AfrikanerInnen nach Brasilien transportiert, wo sie als Sklaven arbeiten mussten. Schwarze Sklaven wurden aber nicht nur auf den Zuckerrohrplantagen, sondern auch in Gold- und Diamantenminen sowie als Leihsklaven eingesetzt. Es sollte bis zum Jahr 1888 dauern, bis in Brasilien die Sklaverei endlich formal abgeschafft wurde.

Nach über 20 Jahren Militärdiktatur wurde in den 70er-Jahren des 20. Jahrhunderts eine langsame politische Öffnung des Landes eingeleitet. Fernando Henrique Cardoso ist nach Collor de Mello der zweite direkt gewählte Präsident der „Dritten Republik“. Mit Cardoso wurde erstmals ein Sozialwissenschaftler in das oberste Amt des Landes eingeführt.

Der gegenwärtige Präsident ist auch in der nördlichen Hemisphäre kein Unbekannter. Gemeinsam mit Enzo Faletto hatte er im Exil während der Militärdiktatur die auf marxistischen Prämissen beruhende „Dependenz-Theorie“ entwickelt.

Als Staatschef der Republik Brasilien ging er allerdings Allianzen nicht nur mit jenen Kräften ein, die die Modernisierung des Landes via wirtschaftliche Öffnung des Landes erzwingen wollen, sondern auch mit den politisch einflussreichen Repräsentanten der Großgrundbesitzer-Oligarchien des Nordostens.

Bei seinem Amtsantritt versprach Cardoso, bis zur 500-Jahres-Feier alle von Indios bewohnten Gebiete zu demarkieren. Gewiss, ein schwieriges Unterfangen. Es muss der Regierung auch zugestanden werden, dass sie in den letzten fünf Jahren nicht untätig blieb; man kann aber auch nicht behaupten, dass sich die Lebenssituation der Indios wesentlich verbessert hätte. Immer noch sind über 150 Indio-Territorien von der staatlichen Indio-Behörde FUNAI („Fundaçăo Nacional do Indio“) nicht ordnungsgemäß erfasst worden.

Ähnlich sieht die Situation der „quilombos“ aus – jener Gemeinden, die auf von entflohenen SklavInnen gegründete Widerstandsnester zurückgehen. Die Verfassungsänderung von 1988 gestand den Nachfahren der historischen „quilombos“ das Recht auf ihr angestammtes Land zu. Von 724 als „quilombo“-Land „identifizierten“ Gebieten wurden bisher allerdings nur fünf ins Grundbucheingetragen.

Es ist äußerst schwierig, die fortschrittlichen Formulierungen der brasilianischen Konstitution durchzusetzen, solange sich die Regierung darauf konzentriert, die Politik des Landes auf ausländisches spekulatives Kapital abzustimmen. Solange das magische Wort „Globalisierung“ als Heilmittel für alle sozialen Probleme herangezogen wird. Solange Globalisierung als die Chance für das Schwellenland Brasilien propagiert wird, das sich nur auf sein eigentliches Potential, insbesondere die Stärkung des Agro-Business, besinnen müsse, um auf dem Weltmarkt zu reüssieren.

Es ist anzunehmen, dass der Soziologe Fernando Henrique Cardoso die historische Kontinuität erkennt, die sich vom merkantilistischem Dreieckshandel zur Propaganda des Modewortes Globalisierung hinzieht.

Bedauerlich ist, dass Cardoso – wie jüngst in einem Interview für den uruguayischen Radiosender „El Espectador“ – der protektionistischen Politik der USA in Bezug auf den Export brasilianischen Stahls und Orangensaftes nur bedauernde Worte entgegenzuhalten hat. Um sich dann noch einmal seiner alten Thesen zu entsinnen: Eine derartige Wirtschaftspolitik beeinträchtige direkt die Arbeits- und Lebensbedingungen der Brasilianer und verhindere eine effektive Bekämpfung der Misere in Lateinamerika. Fragt sich, was es am 22. April wirklich zu feiern gibt.

Der Autor ist Sozialwissenschaftler aus Wien und lebt seit …. Jahren in Brasilien, wo er an der Universität von Săo Paulo unterrichtet.

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