Der ökonomische Druck auf Journalistinnen und Journalisten wächst, für Recherche bleibt wenig Raum. Was bedeutet das für die Inhalte, fragt sich Judith Brandner.
Vor kurzem ist mir zufällig die Preisrede zum Concordia-Menschenrechtspreis untergekommen, die ich 1998 gehalten habe. Ich erwähne das nicht aus Eitelkeit oder Selbstbespiegelung, aber beim Nachlesen war ich sehr erstaunt, wie deutlich sich schon vor zwölf Jahren die Entwicklung, die wir heute in voller Wucht spüren, abgezeichnet hat. Ich habe damals vom Trend und der Gefahr gesprochen, JournalistInnen ins freie UnternehmerInnentum zu drängen – die Auftraggeber würden sich so Sozialabgaben ersparen und hätten den Vorteil, nicht nach tatsächlichem Zeitaufwand bezahlen zu müssen, sondern nach Sendezeit oder Zeichenanzahl.
Heute ist das längst die Realität. Der Kollektivvertrag wird ausgehebelt, Fix-Angestellte werden gekündigt und durch Freie ersetzt. Beinahe täglich lesen wir davon, oft nur in einer Randnotiz. Faktum ist: die Zahl der Freien nimmt zu, der ökonomische Druck auf sie ebenfalls. Für Recherche und kritische Auseinandersetzung bleibt wenig Raum. Was aber bedeutet dies für die Inhalte?
Wie meinte schon 1998 der deutsche Politologe Peer Heinelt: Was kann es für einen derart unter ökonomischem Druck Stehenden Schöneres geben, als von der Pressestelle eines Unternehmens oder einer PR-Agentur einen Beitrag zu erhalten, der mit geringfügigen Änderungen oder Zusatzinformationen versehen als eigener verkauft werden kann?
Nehmen Sie ein beliebiges Medium – die Vermischung von PR und redaktionellem Text wird immer raffinierter. PR-Profis steuern die Themen und machen sich die Notlage vieler freier JournalistInnen zu nutze, zusätzlich PR-Texte schreiben zu müssen, um zu überleben. Wenn die Grenzen zum seriösen Journalismus zunehmend verschwimmen, dann nicht deshalb, weil die JournalistInnen unmoralischer geworden wären oder weniger engagiert. Es geht schlichtweg ums Überleben. Die Frage nach den ethischen Grundsätzen geht vor diesem Hintergrund im Brecht’schen Sinne ins Leere: erst das Fressen… Schon vor 15 Jahren war es für JournalistInnen schwer, Themen unterzubringen, die nicht im Zeitgeist liegen – Entwicklungspolitik ist eines dieser Themen. Heute, unter dem Diktat der Ökonomie, schielen die Herausgeber nur mehr auf das, was die RezipientInnen – vermeintlich – wollen. Medien sind zum Business geworden, in dem nur eines zählt: Profit. Und der permanente Blick auf Shareholder Value und Renditen.
Wo hat vor diesem Hintergrund Berichterstattung über Themen wie Entwicklungspolitik, über Menschenrechte ihren Platz? Auf den Internetplattformen einschlägiger Nichtregierungsorganisationen, in Special Interest Medien, in den wenigen verbliebenen Qualitätsmedien und – noch – im öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Ö1 widmete jüngst Afrika unter dem Titel Ke Nako einen über zwei Monate und quer durchs Programm laufenden Schwerpunkt mit rund 150 Sendungen und gab damit auch entwicklungspolitischen Inhalten breiten Raum.
„Was in den 1990er Jahren einsetzte, war eine Verdummungsspirale“, stellt der – freie – Journalist Tom Schimmeck in seinem 2010 erschienenen Buch „Am besten nichts Neues“ fest. Damals erhielt der Neoliberalismus einen weiteren Schub. Der Zusammenbruch der Ostblocksysteme ruinierte auch den Dialog über gesellschaftliche Ziele. Die Nachricht wurde zur Ware, die verkauft wird. Die Medien, konstatiert Schimmeck, drohten zu Handlangern derer zu werden, die sie kontrollieren sollten – mit fatalen Folgen für unsere demokratische Gesellschaft.
Überall in der industrialisierten Welt wurden in den letzten Jahrzehnten Medienunternehmen von internationalen Konzernen aufgekauft, stellt auch der britische Journalist Nick Davies in seinem Buch „Flat Earth News“ fest: „Viel Geld verdienen ist das einzige, was sie wollen.“ Qualitativ hochwertiger Journalismus – als eine Säule der Demokratie – folgt jedoch keiner ökonomischen Logik. Check and double-check, recherchieren, sich an die Fakten halten, abwägen, analysieren, unparteiisch bleiben, beide Seiten anhören – grundlegende journalistische Gebote, die für alle Inhalte gelten sollten, egal ob Innenpolitik, Ökologie oder Entwicklungspolitik. Qualitätsjournalismus ist ein Journalismus, der glaub- und vertrauenswürdig ist, der in die Tiefe geht, aufklärerisch wirkt, Zusammenhänge herstellt. Ein Journalismus, der zum Denken und zur Meinungsbildung anregt, Phrasen und Klischees vermeidet. Der aus eigener Anschauung berichtet – doch auch das ist kaum mehr möglich.
Gerade für die Berichterstattung über entwicklungspolitische Themen ist es notwendig, sich in die Welt zu begeben. Das Interesse der Medien daran endet spätestens, wenn es um die Finanzierung geht. Auch von der staatlichen Entwicklungshilfeagentur ADA finanzierte Reisen für JournalistInnen sind rar geworden. Selbst wenn immer ein gewisses Unbehagen ob der Frage da war, wie viel Geld dadurch den Projekten selbst verloren geht, so war eine kritische Berichterstattung, ja selbst die Hinterfragung mancher Projekte durchaus möglich. Wenn nun aber die staatliche Entwicklungszusammenarbeit statt der seit Jahren geforderten Erhöhung auf 0,7% des Bruttonationaleinkommens drastische Kürzungen hinnehmen muss, wird es künftig wohl gar keine Reisen mehr geben. Das Kriterium, aus eigener Anschauung zu berichten, ist bald nicht mehr zu erfüllen.
So stellt sich vor allem die Frage, wie wir die heutige Krise des Qualitätsjournalismus bewältigen, die zuallererst so genannte „Randthemen“ wie Entwicklungspolitik betrifft. Dafür muss zunächst einmal geklärt werden, ob die Gesellschaft diese Säule der Demokratie überhaupt will und was sie ihr wert ist.
Die Japanologin und Übersetzerin Judith Brandner arbeitet als freie Radio- und Printjournalistin. Sie erhielt für ihre Arbeiten mehrere Preise, darunter den Concordia-Menschenrechtspreis 1998 und den Prälat-Leopold-Ungar-Preis 2008.
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