AUSTRIA 2001 war die Antwort auf das letztjährige Festival BRASIL 2000. Im August gingen zwei Wochen Kulturaustausch und österreichisch-brasilianischer Dialog über die Bühnen von Porto Alegre und Rio de Janeiro.
Wir, das sind 27 österreichische MusikerInnen, Foto- und VideokünstlerInnen sowie der Präsident der österreichichen Biobauernvereinigung, die soeben an der Südspitze Brasiliens eingetroffen sind, um ein Österreich jenseits der üblichen Klischees von Sisi, Tirolerhut und Haiderland zu präsentieren. Und in Porto Alegre, der heiteren Hauptstadt von Rio Grande do Sul und stolzen Welthauptstadt des Weltsozialforums (s. Bericht in SWM 3/01, S.12-15), scheinen die Uhren in vielerlei Hinsicht anders zu gehen.
Hier ist man nicht nur stolz auf die Tradition der Gauchos, sondern auch auf eine gewisse politische Widerständigkeit gegenüber dem großen Zentralstaat: Jahrelang war Rio Grande do Sul der einzige linksregierte Bundesstaat Brasiliens, und unter dem offiziellen Staatswappen prangt der Slogan Estado da Participaçăo popular hier wurde ein Bürgerbeteiligungsmodell für die Verteilung öffentlicher Gelder entwickelt, das für die heute heiß diskutierte Tobin-Steuer Pate stand.
Bei den von den Wienerliedern des Duos Czipke&Jäger umrahmten Eröffnungsansprachen des Festivals in der wunderschönen Casa de Cultura Mario Quintana drehte sich denn auch alles um die Kraft der Zivilgesellschaft, um die positive Globalisierung von unten, um die Gleichberechtigung zwischen Nord und Süd und die Solidarität mit dem selbst ernannten Volk von Porto Alegre, den DemonstrantInnen von Genua. Worte, die man sich hierzulande wohl eher aus dem Munde rabiater GlobalisierungskritikerInnen als aus dem eines Kulturstaatssekretärs erwarten würde.
Publikum wie Medien im stark von der europäischen Immigration geprägten Porto Alegre nehmen die österreichischen KünstlerInnen mit offenen Armen auf: Am Tag der Ankunft gleich sieben Radiointerviews und ein Fernsehauftritt, Standing Ovations für die Wiener Tschuschenkapelle im Teatro Săo Pedro, dem örtlichen Tempel der Hochkultur, die Damen des Böszen Salonorchesters begeistern einen vollen Kinosaal, die oberösterreichischen Wiadawö! verwandeln eine traditionelle Theaterbühne in einen brodelnden Tanzboden. Und immer wieder diese Begegnungen: Elisabeth Iwer, unser treuester Fan und begnadete Walzertänzerin, ist aus Prag und mit einem Wiener verheiratet; seit 50 Jahren leben sie hier in Porto Alegre, und im Sommer macht sie Urlaub bei Tante Lotte in Gmunden. Überhaupt viele alte Damen im Publikum, viele verstehen Deutsch, und regelmäßig wird der CD-Stand nach den Konzerten gestürmt und leergekauft.
Ilton und Fernando haben seit letztem Jahr Sehnsucht nach Wien und betreiben Familienrecherchen: Iltons Großmutter war aus Galizien, Fernandos Großvater war polnischer Jude und Besitzer einer Trafik in Wien, bis er nach Südamerika emigrierte.
Ein Projekt im Projekt ist die Koproduktion mit dem oberösterreichischen Kulturentwicklungsprojekt Sunnseitn: Der Musiker Gotthard Wagner, Gründer und unermüdlicher Motor der Initiative und auf Grund seines Non-Stop-Kameraeinsatzes in Brasilien das dritte Auge genannt, hatte die Idee zu einer Verbindung zwischen den in Österreich wie Südbrasilien stark entwickelten Biolandbau-Szenen.
Das Ergebnis war ein für alle TeilnehmerInnen berührender Ausflug in zwei Camps der Landlosenbewegung MST (Movimento dos Trabalhadores Rurais sem Terra), die ihren Ursprung ebenfalls in Rio Grande do Sul hat. Die erste Siedlung, Assentamento em Charqueadas, ist eine ökologisch geführte Landwirtschaftskooperative, in der 46 Familien leben und arbeiten. Im zweiten Lager, dem Acampamento dos Arroios, werden wir bereits von einer neugierigen Menschenmenge erwartet. Eine endlose Ansammlung von Barracken aus Plastikplanen dehnt sich längs der Straße im Abendlicht: Hier wohnen 600 Familien und warten auf Land und Unterkünfte, ein Zustand, der auf Grund der sich dahinschleppenden Landreform wohl noch längere Zeit andauern wird. Auf jeden Fall spielen Wiadawö! als erste ausländische Gruppe im Camp zum Fest auf, umtost von großer Begeisterung und stolzer Politrhetorik im roten Fahnenmeer. Am Abend dann eine prominent besetzte Podiumsdiskussion, bei der der 76-jährige José Lutzenberger (Träger des Alternativen Nobelpreises und ehemaliger Umweltminister Brasiliens) brilliant in Deutsch und portugiesisch die Zusammenhänge zwischen Biolandbau, Globalisierung und Landlosenbewegung analysiert. Und es gibt Pläne für ein eigenes Sunnseitn-Projekt beim nächsten Weltsozialforum. Aber das wäre schon wieder eine andere Geschichte
Ein vergnüglicher Höhepunkt der Tournee und deutliches Kontrastprogramm zum Landlosencamp ist die Einladung auf die Ranch des Star-Akkordeonisten Renato Borghetti, der letztes Jahr bei BRASIL 2000 in Wien zu hören war: Vater und Söhne drehen eigenhändig die Churasco-Spieße und kredenzen Caipirinhas, während draußen unter der Palme ein Landler-Tanzkurs stattfindet.
Und dann Rio de Janeiro: Nicht nur ist die 10-Millionen-Stadt um ein Vielfaches größer als Porto Alegre, hier treffen überwältigende Naturschönheit und Reichtum direkt auf die Armut der Favelas – auch unser Projekt ist in einem ganz anderen Ambiente angesiedelt. War es in Porto Alegre ein dem Wesen nach dem Wiener WUK (selbstverwaltetes Kulturzentrum; Anm.) verwandtes Kulturhaus, treten wir hier im distinguierten Museu da República auf, dem ehemaligen Präsidentenpalast und Schauplatz des Selbstmordes von Getulio Vargas 1954. Dementsprechend schwieriger sind unsere Arbeitsbedingungen: Undurchschaubare Politintrigen im Hintergrund, Mittagsveranstaltungen auf Grund der in ganz Nordostbrasilien herrschenden akuten Energiekrise, ein Museum als Veranstaltungsort, in dem Wärterinnen streng darüber wachen, dass auch nur ja keiner der 100-jährigen sprich für brasilianische Verhältnisse geradezu antiken Sessel mit dem Gewicht eines Geigenbogens belastet wird. Heitere Leichtigkeit und zähe Bürokratie liegen hier genauso nah beisammen wie Arm und Reich
Grüß Gott, ich heiße Elfriede und kann jodeln! mit diesen Worten stürmt eine etwa sechzigjährige Dame vor dem ersten Konzert hinter die Bühne und stellt sich als in Rio ansässige Salzburger Anwältin vor. Nachdem sie ihre Jodelkünste dann auch unter dem Applaus des faszinierten Publikums und anwesenden Fernsehteams unter Beweis gestellt hat, entpuppt sich Frau Kellner als wahre Goldgrube für wertvolle Kontakte zu namhaften Agrarökonomen, organisiert einen Favela-Besuch für die Sunnseitn und wird zu unserer treuen Begleiterin.
Die Tage in Rio vergehen wie ein Bilderrausch zwischen Konzerten, Videovorführungen und den obligaten Ausflügen zu Zuckerhut und Copacabana absolvieren die Damen des Böszen Salonorchesters noch schnell einen Sambakurs. Beim Empfang im österreichischen Konsulat ebenso wie im noblen Salon des Museu da República zittern die Kronleuchter wohl zum ersten Mal unter balkanischen Klängen und stürmischen Polkaschritten. Und beim Straßenkonzert im Künstlerviertel Santa Teresa drängt sich plötzlich eine Frau mit Tränen in den Augen zu uns und ruft: Ich habe schon geschlafen, aber da habe ich plötzlich meine Musik gehört! Sie ist eine Roma, die während des Zweiten Weltkriegs von Italien nach Brasilien geflüchtet ist, und heute klingt es in ihrem Viertel zum ersten Mal nach der alten Heimat.
AUSTRIA 2001 war keine Tournee im üblichen Sinne. Es waren zwei Wochen Austausch, Dialog, Beschäftigung mit Widersprüchlichkeiten, so etwas wie interkulturelle Durchdringung. Und so hat José, unser unermüdlicher Produzent in Rio, zum Abschied ein ganz besonderes Kompliment erhalten: Du jodelst mit den Augen!.
Die Autorin ist Kulturmanagerin und lebt und arbeitet in Wien. Zusammen mit Irene Strobl organisierte sie letztes Jahr Brasil 2000 im Wiener WUK und heuer Austria 2001 in Porto Alegre und Rio de Janeiro.
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