Erich Hackls Monats-Kolume
Dieser Tage war Jorge Cafaro in Wien, Bankgewerkschafter aus Montevideo, der um Solidarität seiner österreichischen Kollegen warb: In Uruguay sind vier Banken von der Liquidierung bedroht, ihre Schließung würde 1.600 Angestellten den Arbeitsplatz kosten und etliche zehntausend Sparer und Anlegerinnen ruinieren. Ein großer Schlag für ein kleines Land, das in den Strudel der argentinischen Finanzkrise geraten ist.
Jorge ist ein selbstloser, unbürokratischer Gewerkschaftsaktivist. So habe ich ihn Ende der siebziger Jahre kennen gelernt, in Wien, wo er mit seiner Frau und den beiden Töchtern Zuflucht fand, nachdem sie vor den Militärs zuerst nach Argentinien, dann nach Österreich hatten fliehen müssen. Hier war er unermüdlich bemüht, Informationen über die Menschenrechtsverletzungen in seiner Heimat zu verbreiten. Seinen erlernten Beruf konnte er erst in den letzten Jahren des Exils ausüben, vorher verdingte er sich als Straßenkehrer, Hilfsarbeiter an einer Gummipresse, Aushilfskellner. Seine Frau Ana arbeitete als Küchenhilfe im Krankenhaus von Mödling. Die Töchter Laura und Gabriela gingen in der Leopoldstadt zur Schule, wo die Familie gut aufgehoben, geachtet, geschätzt war. Trotzdem kehrte sie nach dem Ende der Militärherrschaft nach Uruguay zurück, von dem Laura und Gabi nicht mehr kannten als das, was sie bei einem Verwandtenbesuch mitbekommen hatten. Jorge sagt, es war ihnen klar: Entweder jetzt oder nie.
Die Entscheidung überließ das Ehepaar gleichwohl den halbwüchsigen Töchtern. Es warnte sie auch: Die Verhältnisse drüben seien alles andere als rosig. Laura und Gabi zögerten keinen Augenblick. Sie integrierten sich in ihrem Geburtsland, aber die Freundschaften, die sie in Österreich geschlossen haben, halten bis heute.
Auch Jorge und Ana sind, in Uruguay, österreichische Patrioten geworden. Nachricht von hier erfüllt sie mit Sorge und Stolz, je nachdem, nur gleichgültig ist sie ihnen nicht. Gabi lebt mittlerweile als Sprachlehrerin in Hamburg. Jorge befürchtet, dass auch Laura gezwungen sein könnte, ein zweites Mal zu emigrieren, diesmal aus wirtschaftlichen Gründen. Was sollten dann sie, die Eltern, noch in Uruguay, so weit weg von ihren Kindern? Wien bietet sich an, als Exilort, den sie mit Leben gefüllt haben.