Der verstorbene Papst Johannes Paul II. kämpfte für eine Globalisierung der Solidarität. Gegen die Theologie der Befreiung hatte er jedoch große Vorbehalte und gegenüber dem später ermordeten Erzbischof Romero hat er schlicht versagt, meint Martin Maier.
Die weltweite Anteilnahme am Sterben und an der Beisetzung von Papst Johannes Paul II. war beeindruckend. Vor seiner Bahre verneigten sich weltliche und religiöse Führer aus allen Erdteilen. Doch was mag in US-Präsident George W. Bush vorgegangen sein, als er sich vor dem toten Papst niederkniete? Erinnerte er sich noch an ihre letzte Begegnung im Juni 2004, wie ihm der schon sichtlich geschwächte Papst wegen des völkerrechtswidrigen Irakkriegs ins Gewissen geredet hatte?
Schon Anfang 2003 war Johannes Paul II. zum Sprecher einer weltweiten öffentlichen Meinung gegen den Irakkrieg geworden. Dabei hatte er nicht nur dessen unabwägbare Folgen im Blick, sondern die zukünftige Gestaltung der Weltordnung überhaupt. Gegen die Hegemonialpolitik der USA sprach er sich für eine internationale Rechtsordnung aus, die auf den Menschenrechten und dem Völkerrecht mit den Vereinten Nationen als höchster Autorität aufbaut. Dabei zielte er nicht auf die Schaffung eines globalen Superstaates, sondern auf demokratische Formen der Ausübung politischer Autorität sowohl auf der nationalen als auch auf der internationalen Ebene.
Zu dieser internationalen Ordnung gehörte für ihn auch eine gerechte Gestaltung der ökonomischen Globalisierung. Die folgenden Sätze aus seiner Botschaft zum Weltfriedenstag 1999 könnten auch aus einem Grundsatzpapier einer globalisierungskritischen Bewegung wie attac stammen: „Die rasch zunehmende Globalisierung der Wirtschafts- und Finanzsysteme weist darauf hin, dass dringend festgeschrieben werden muss, wer das globale Gemeinwohl und die Anwendung der ökonomischen und sozialen Rechte gewährleisten soll. Der freie Markt ist dazu nicht imstande, da es in Wirklichkeit viele menschliche Bedürfnisse gibt, die keinen Zugang zum Markt haben … Dringend notwendig ist eine neue Sicht des globalen Fortschritts in der Solidarität, die eine von der Gesellschaft getragene ganzheitliche Entwicklung vorsieht, so dass jedes ihrer Glieder seine eigenen Fähigkeiten entfalten kann.“
Seine Vision einer gerechten Weltordnung brachte er in dem Appell zu einer „Globalisierung der Solidarität“ zum Ausdruck. Ein Leitfaden des Pontifikats Johannes Pauls II. war die Verteidigung der Menschenrechte, und zwar nicht nur als bürgerliche Freiheitsrechte, sondern auch als ökonomische und soziale Rechte auf ein menschenwürdiges Leben. Für ihn folgte aus dem Zusammenbruch der Systeme des „real existierenden Sozialismus“ in Mittel- und Osteuropa keineswegs die Richtigkeit des liberalen Kapitalismus. Im Gegenteil: Der entfesselte Kapitalismus war für ihn Teil jener „Kultur des Todes“, die das menschliche Grundrecht auf Leben missachtete.
Unbestritten ist der Beitrag von Johannes Paul II. zum Ende der kommunistischen Diktaturen in Mittel- und Osteuropa. In seiner Unterstützung der polnischen Gewerkschaft Solidarnosc agierte er ernorm politisch. Dagegen wurde ihm vorgehalten, dass er es gegenüber den lateinamerikanischen Diktatoren an derselben Klarheit habe fehlen lassen. War er auf dem rechten Auge blind? Hat er nicht gemeinsame Sache mit den USA im Kampf gegen den Kommunismus in Lateinamerika gemacht? Von seinem polnischen Hintergrund her hatte er große Vorbehalte gegenüber der fälschlich mit dem Marxismusvorwurf behafteten Theologie der Befreiung.
Um die Welt ging 1983 das Photo, auf dem der Papst den vor ihm knieenden Priester und Poeten Ernesto Cardenal in Nicaragua mit erhobenem Zeigefinger maßregelte. Hier fühlte sich die ganze mit der Theologie der Befreiung verbundene Bewegung in der Kirche Lateinamerikas mit betroffen. Schlicht versagt haben der Papst und die römische Kurie gegenüber Erzbischof Oscar Romero aus El Salvador, der in seinem Einsatz für die Gerechtigkeit und die Menschenrechte sein Leben aufs Spiel setzte und es auch verlor. Bei ihrer ersten Begegnung 1978 hatte der Papst für Romero im wesentlichen nur die Ermahnung übrig, sich vor dem Kommunismus zu hüten, und ein besseres Verhältnis zu der Militärregierung zu suchen, die ihre eigene Bevölkerung terrorisierte. Immerhin hat Johannes Paul II. in Oscar Romero nach seiner Ermordung am Altar einen wirklichen Märtyrer gesehen.
Johannes Paul II. hat sich immer wieder zur Stimme der Schwachen, der Armen, der Kinder gemacht. Doch diese Stimme wurde von den meisten geflissentlich überhört. Dagegen schenkte man seinen Positionen in Fragen der Sexualmoral eine unverhältnismäßige Aufmerksamkeit. Zu den Widersprüchen dieses Pontifikats gehört es, dass Johannes Paul II. auf der einen Seite kompromisslos für den Schutz des menschlichen Lebens von seinem Beginn bis zu seinem Ende eingetreten ist, auf der anderen Seite in der Frage der Geburtenkontrolle und der Kondome auch als Schutz gegen eine Ansteckung durch Aids rigoristisch eng gewesen ist.
Der neue Papst kommt nicht aus einem Land des Südens. Sonst stünde schon durch seine Herkunft die Nord-Süd-Frage neu auf der Agenda der Kirche und der Welt. Als Weltkirche, die vor allem die Armen und Ausgeschlossenen verteidigt, muss sich die katholische Kirche in jedem Fall für eine Wirtschaftsordnung und einen Umgang mit der Umwelt einsetzen, welche die Lebensmöglichkeit der ganzen Menschheit auf Zukunft im Blick haben.