Soziale Unternehmensverantwortung in Zeiten der Krise – ist das eine unbillige Forderung, ein Widerspruch? Ganz und gar nicht, meint Petra Kreinecker.
Plötzlich ist alles Krise. ArbeitnehmerInnenrechte dürfen massiv beschränkt werden. Wegen der Krise müssen einfach alle etwas kürzertreten. Menschenrechtliche Überlegungen kann man sich derzeit leider nicht mehr leisten, es ist ja schließlich Krise. Umweltgesetze dürfen aufgeweicht werden, verschrottete Atomkraftwerke wieder ans Netz gehen. Eh klar. Krise!
Neoliberale Hardcore-KapitalistInnen hören gar nicht mehr auf, nach der starken Hand des Staates zu rufen. Der Staat ist plötzlich wieder gefragt, und gerade von denen, die den Staat eben noch aus seiner aktiven Rolle hinausgedrängt hatten. Die Krise legitimiert derzeit eigentlich alles. Wenige hinterfragen, ob wirklich „Krise“ drin ist, wo „Krise“ drauf steht. Darf Unternehmen in wirtschaftlich schwierigen Zeiten wirklich jegliche Verantwortung für sozialpolitische Anliegen erlassen werden? Ist es nicht gerade in solchen Momenten notwendig, die Wirtschaft an ihre soziale Verantwortung zu erinnern? Nach dem Motto: Jetzt erst recht – investieren in Umwelt-, Menschen- und ArbeitnehmerInnenrechte!
Nicht wehrlos gegen die Krise, sondern mit Forderungen an die österreichische Politik möchte das Netzwerk Soziale Verantwortung (NeSoVe) gerade angesichts der aktuellen Finanzkrise die Notwendigkeit verbindlicher und effizienter Regulierung zum Schutz aller Beteiligten – weltweit – einfordern.
Soziale Unternehmensverantwortung (Corporate Social Responsibility – CSR) muss vom Dogma der absoluten Freiwilligkeit gelöst werden. In der gelebten Realität bezieht sich die Selbstverpflichtung zu CSR häufig nicht auf das Kerngeschäft von Unternehmen, sondern nur punktuell auf einzelne innerbetriebliche Einzelprojekte. Die Anspruchslosigkeit der selbst gesteckten Ziele, die Diskrepanz zwischen den behaupteten Errungenschaften und der oft so gar nicht beeindruckenden Praxis führen in vielen Fällen zum berechtigten Vorwurf an die Unternehmen, CSR auf ein Marketinginstrument zu reduzieren. CSR ist für NeSoVe ein ganzheitliches Managementsystem für ökonomisch, ökologisch und sozial nachhaltiges Wirtschaften, bei dem es vor allem um die Einbindung aller relevanten Anspruchsgruppen geht. Da es keine allgemeingültige Definition des Begriffs gibt, kann CSR derzeit noch von jedem Unternehmen so besetzt werden, wie es in die jeweilige gelebte CSR-Praxis passt.
Damit auch wirklich ein integriertes CSR-Konzept drin ist, wo CSR drauf steht, muss eine allgemeingültige Definition gefunden werden. Darüber hinaus müssen Mindestanforderungen entwickelt und ein entsprechender Schutz aller Stakeholder vor irreführender Verwendung des CSR-Konzepts über die freiwillige Selbstverpflichtung hinaus gewährleistet werden.
Krise als Chance. „Es geht nicht darum, das System zu retten, sondern die Gesellschaft und die menschlichen Werte“, sagte der brasilianische Befreiungstheologe Leonardo Boff während des Weltsozialforums im Jänner in Brasilien angesichts der derzeitigen weltwirtschaftlichen Situation. Dem ist inhaltlich nichts hinzuzufügen.
CSR, also die bis dato freiwillige Selbstverpflichtung von Unternehmen über gesetzliche und vertragliche Regelungen hinaus, soll zu einem unabdingbaren Mindeststandard zur Gewährleistung sozialer, ökonomischer und ökologisch nachhaltiger, menschenrechtskonformer und diskriminierungsfreier Unternehmensführung werden. Zu einem Instrument, dessen Einhaltung und Kontrolle von NeSoVe massiv gefordert wird. Jetzt erst recht!
CSR trotz Krise ist daher die Devise der Stunde. Und um der Kritik zu begegnen, der Krise tatenlos aber wortreich zuzusehen, wurde Anfang März der von NeSoVe in Kooperation mit dem Institut für empirische Sozialforschung entwickelte CSR-Indikatoren-Katalog der österreichischen CSR-Community in Wien präsentiert. Der Katalog zieht mehr als hundert Kriterien vorwiegend aus den Bereichen Ökonomie, Umwelt und Menschenrechte als Bewertungsgrundlage heran. Der Kriterien-Katalog ermöglicht es Unternehmen mit einem vergleichsweise geringen Zeitaufwand eine Selbstanalyse durchzuführen, ob sie soziale Verantwortung übernehmen. Das Bewertungstool erlaubt eine Einstufung auf einer Skala von 0-100; bereits gesetzte Maßnahmen werden auf ihre CSR-Wirkung hin geprüft, betriebliche Stärken aber auch Schwächen werden in den unterschiedlichen inhaltlichen Aspekten aufgezeigt.
Nach der Präsentation der Indikatoren fand ein ExpertInnen-Dialog statt. Dabei stand insbesondere eine zentrale Frage im Raum: Wozu noch ein weiterer Kriterien-Katalog? Gäbe es mit der Global Reporting Initiative – GRI und diversen anderen Indizes nicht ohnehin bereits mehr als genug Bewertungssysteme? Die Antwort erübrigt sich, wenn man sich die Mühe macht herauszufinden, wer denn jeweils hinter welchem Tool steckt. Nach den Ergebnissen einer Recherche von Franz Fiala vom Verbraucherrat des Österreichischen Normungsinstituts sind die AkteurInnen der GRI vorwiegend große multinationale Player.
Hinter dem NeSoVe-Indikatoren-Katalog stehen hingegen zivilgesellschaftliche Menschenrechts-, Umwelt- und Entwicklungs-Organisationen, Interessenvertretungen von ArbeitnehmerInnen und WissenschafterInnen.
Die Autorin ist Geschäftsführerin des Netzwerks Soziale Verantwortung (NeSoVe). NeSoVe hat im November 2008 die „Forderungen an die Österreichische Politik. Wirksame Rahmenbedingungen für die Wahrnehmung der gesellschaftlichen Verantwortung von Unternehmen“ veröffentlicht.
www.nesove.at