Die Auswirkungen des Krieges in der Ukraine sind in Afrika schon deutlich zu spüren. Dabei haben sich die Menschen noch nicht von der Corona-Krise erholt.
„Gerade wenn du denkst, die Hölle auf Erden kann nicht schlimmer werden, tut sie es“, ächzte David Beasley, Direktor des UN-Welternährungsprogramms (WFP) in der jüngsten Pressekonferenz über die Lage der Lebensmittelversorgung in Afrika.
Auf dem Kontinent jagt gerade eine Krise die nächste. Kaum haben sich die Gesellschaften ein wenig von der Corona-Pandemie und ihren wirtschaftlichen Folgen erholt, lässt nun der andauernde Ukraine-Krieg sämtliche Preise rasant in die Höhe schnellen. In Ostafrika und am Horn des Kontinents, vor allem im krisengeplagten Somalia, droht nun auch noch eine Hungersnot – ausgelöst durch langanhaltende Dürre in Folge einer ausbleibenden Regenzeit. WFP-Direktor Beasley warnt: „Wir haben jetzt 283 Millionen Menschen, die in Richtung Hunger marschieren, und 45 Millionen klopfen an die Tür der Hungersnot.“
Weizen macht ein Drittel des durchschnittlichen Getreideverbrauchs in Ostafrika aus, vor allem in Dschibuti, Eritrea und Sudan, wo Brot als Grundnahrungsmittel konsumiert wird. 84 Prozent des Weizenbedarfs der Region werden durch Importe gedeckt. Russland und Ukraine liefern zusammen rund 90 Prozent des Weizens. Doch aufgrund des Krieges und der Sanktionen versiegen diese Quellen jetzt, die lokalen Getreidespeicher leeren sich, bald wird es problematisch.
Teuerungen überall. Selbst Südsudan, das keinerlei Weizen aus Russland und der Ukraine bezieht, wäre indirekt betroffen. Das Land importiert Getreide vor allem aus den Nachbarländern Uganda und Kenia, die sich wiederum aus Russland und der Ukraine versorgen. Im Südsudan werden aufgrund des Bürgerkrieges kaum eigene Lebensmittel angebaut. Die Menschen sind fast komplett von Importen abhängig, um überleben zu können.
Ein zusätzliches Problem: Russland ist der größte Lieferant von Düngemitteln für die landwirtschaftlich geprägten Länder Ostafrikas. Wenn diese Lieferungen aufgrund der Sanktionen ebenso versiegen und die Vorräte aufgebraucht sind, wird dies negative Auswirkungen auf die Lebensmittelproduktion haben.
Ähnlich sieht es aus beim Sonnenblumenöl, für viele Afrikaner*innen das billigste Speisefett. Hier haben sich die Preise in Ostafrika bereits verdoppelt.
Und auch das Benzin ist unerschwinglich geworden. An manchen Tankstellen in Ostafrika kommt es derzeit zu Lieferengpässen. Benzin ist in Uganda mit umgerechnet fast zwei Euro pro Liter so teuer wie noch nie.
In Kenia und der Demokratischen Republik Kongo gibt es an manchen Tankstellen keinen einzigen Tropfen mehr. Das hat Auswirkungen auf alle Produkte, die in der Region mit Lastwagen von den Häfen am Indischen Ozean ins Innere des Kontinents transportiert werden müssen. Ein Beispiel: Zement – bislang kostete ein Sack in Uganda knapp 30.000 Schilling, jetzt liegt der Preis bei 50.000, umgerechnet rund 12 Euro.
Von Moskau abhängig. Die Afrikanische Union (AU) sucht derzeit händeringend nach Lösungen. Der derzeitige AU-Vorsitzende, Senegals Präsident Macky Sall, reiste Anfang Juni nach Russland. „Ich bin gekommen, um Sie zu sehen, um Sie zu bitten, sich bewusst zu machen, dass unsere Länder, auch weit entfernt vom Kriegstheater, die Opfer dieser Wirtschaftskrise sind“, erklärte er Russlands Präsident Wladimir Putin. Das Treffen fand an einem symbolischen Ort statt: in der Hafenstadt Sotschi am Schwarzen Meer, wo sich bereits in der Vergangenheit russische und afrikanische Vertreter*innen getroffen hatten, um die Beziehungen Russlands mit dem Kontinent auszubauen.
Es war eine indirekte Absage an Kiew. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hatte mehrfach gebeten, online in die AU-Versammlung zugeschaltet zu werden, um zu den Regierungsvertreter*innen sprechen zu können. Doch offenbar sind die Abhängigkeiten von Russland auf dem Kontinent zu groß. Zahlreiche Staaten wie Ägypten, Äthiopien, Algerien oder Uganda beziehen einen Großteil ihrer militärischen Ausrüstung aus Moskau: vom Kampfjet bis zu jeder einzelnen Patrone. Da will man die guten Beziehungen zu Putin nicht riskieren.
Jetzt bot dieser den afrikanischen Staaten eine Lösung an: „Präsident Putin hat seine Bereitschaft erklärt, den Export von ukrainischem Getreide zu ermöglichen“, twitterte Sall nach seinem Gespräch mit Putin.
Ostafrika sucht Lösungen. Ostafrikas Regierungen erlassen unterdessen verzweifelt Maßnahmen, um den Preisschock abzufedern. In Uganda will das Landwirtschaftsministerium zum Beispiel die lokale Produktion von Palmöl ausbauen. Ugandas Präsident Yoweri Museveni erklärte in der jüngsten Ansprache, es gäbe keine Möglichkeiten, die Lebensmittelpreise zu subventionieren. Die Menschen sollten stattdessen Cassava, also die knolligen Wurzeln der Maniokpflanze, essen.
In Kenia hat die Regierung bereits Sonderetats ausbezahlt, um die hohen Benzinpreise abzufedern. Doch weniger Steuereinkommen und hohe Sonderposten lassen den ohnehin massiven Schuldenberg der meisten Staaten weiter ansteigen, die Inflation ebenso. In Südsudan liegt die Inflation bei derzeit 25 Prozent. Viel Spielraum haben Entwicklungsländer in Afrika in dieser Hinsicht nicht.
Jetzt wird überall händeringend nach Lösungen gesucht. In Ruandas Hauptstadt Kigali kamen im April afrikanische Agronom*innen und Landwirtschaftsminister*innen zusammen, um Innovationen zu diskutieren, wie die Preissteigerungen aufgefangen werden können. „Der Kontinent ist sehr anfällig, weil wir fast 30 Prozent der Lebensmittel importieren“, so Martin Bwalya, Direktor für Wissensmanagement und Programmbewertung bei der Entwicklungsagentur der Afrikanischen Union (AUDA-NEPAD). Darin liege ein „riesiges Risiko, weil in diesen Lieferketten, in diesen Systemen alles passieren kann, wie wir es während der Covid-19-Pandemie und jetzt während des Ukraine-Krieges sehen“, warnte er.
Die Lösung dafür liege in Afrika selbst, so Bwalya. Instrumente wie der Ausbau der Afrikanischen Freihandelszone AfCFTA (African Continental Free Trade Area) könnten helfen, den Handel und die Lebensmittelproduktion innerhalb des Kontinents anzukurbeln. Technologische Innovationen wie dürreresistente Samen für Pflanzen und Bewässerungssysteme könnten den Bäuerinnen und Bauern gute Dienste leisten, die ausbleibenden Regenzeiten zu überbrücken.
Es sei dringend an der Zeit, die Millionen von Kleinbauern und -bäuerinnen auf dem Kontinent aus der Armutsfalle zu retten und die Produktion zu steigern, so Bwalya. Denn die nächste Krise, das wissen die Menschen nur zu genau, könnte schon vor der Tür stehen.
Simone Schlindwein ist freie Journalistin in der Region der Großen Seen in Afrika und lebt in Uganda und Deutschland.
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