Für den Kampf gegen das Terrorismus-Phantom werden Milliarden Dollar ausgegeben, doch die Hilfe für das zerstörte Afghanistan tröpfelt nur langsam – das gilt auch für die bei der Geberkonferenz in Tokio zugesagten Mittel.
Das Fazit daraus kann nur lauten: Eingegangene Verpflichtungen müssen umgehend eingehalten werden. Wo Milliarden für den „Terrorkrieg“ ausgegeben werden, muss auch Geld für die Not leidende Zivilbevölkerung da sein. Nothilfe wird ein fester Bestandteil der Afghanistanhilfe bleiben müssen. Ernährungssicherheit, Einkommens- und Grundbedürfnissicherung müssen oberste Priorität haben – was immer man sonst noch für wünschenswert halten mag.
„Sobald die ausländischen Soldaten weg sind, werden die Kämpfe wieder losgehen.“ Der exilafghanische Offizier in Duschanbe mit Ausbildung in der DDR steht mit dieser Meinung nicht allein. Es ist zu früh, von einem prekären Frieden zu sprechen. In Afghanistan herrscht Krieg. Im Südosten jagt die „Anti-Terror-Allianz“ weiter Taliban- und Al-Qaida-Kämpfer. Im relativ ruhigen Norden lieferten sich noch vor sechs Wochen bei Mazar-e Sharif Truppen des Usbekengenerals Dostum und des Tadschiken Mohammed Atta Gefechte.
Anlässlich der Großen Ratsversammlung, der Loya Jirga, war viel von Ausgleich und Machtbalance zwischen den verschiedenen Volksgruppen die Rede. Vielen ihrer Repräsentanten werden Menschenrechtsverbrechen zur Last gelegt, manche gelten im Westen als Massenmörder. Große und kleine Kriegsfürsten kontrollierten 50 Prozent der Delegierten zur Loya Jirga oder saßen gleich selbst dort. Ob mit ihnen ein Staat zu machen ist, darf bezweifelt werden. Nur: Ohne sie wird es auch nicht gehen.
Und das ist nur die Spitze des Eisbergs. „Die Kommandanten wollen den Frieden“, da ist sich Abdullah Quayuom, der Polizeichef des Städtchens Imam Saheb an der tadschikischen Grenze, ganz sicher. Schließlich war er selbst einer, der 450 Männer befehligte. 97 davon – alle ehemalige Mudschaheddin – bilden heute die Polizei von Imam Saheb. Ein Kommandant sei jeder, der zehn Kalaschnikows oder mehr hinter sich versammeln könne, sagt Quayuom. Ihrer 70 gebe es im Distrikt, darunter viele, die bereits seit dem 14. Lebensjahr Bewaffnete befehligen und sonst nichts gelernt haben.
„Die Kommandanten wollen den Wandel“, so sieht es auch der in der Sowjetunion ausgebildete stellvertretende Kommandeur der Grenztruppen im Distrikt, Rommel Haider. Sie bräuchten eine Zukunft mit Sicherheit und Würde, meint er, dann würden sie Ruhe geben. Von den 300.000 EinwohnerInnen des Distrikts wurden bisher 810 Waffen eingesammelt, berichtet der Polizeichef, ein Bruder des Provinzgouverneurs. Man kann also davon ausgehen, dass noch genug vagabundierende Feuerkraft für neue Scharmützel vorhanden ist.
Aus der Perspektive des Nordens hat das Eingreifen der USA den (nahezu erreichten) Sieg gegen einen vormals übermächtigen Gegner ermöglicht: die Taliban. (Ich habe niemanden getroffen, der sagt, dass er darüber nicht froh wäre.) Verständlich ist daher die große Angst vor Taliban, die nach Pakistan oder in den Süden des Landes geflohen, untergetaucht oder übergelaufen sind. Wo ist die Grenze zwischen Mitläufertum und Gesinnungstäterschaft?
Auch einer der Fahrer im Projekt des Hilfswerks Austria in Imam Saheb war früher Fahrer der Taliban. In diesem Fall scheint die Integration gelungen.
„Die Grenze wird dort gezogen, wo Verbrechen begangen wurden“, erklärt der Polizeichef. Diese Leute würden hart bestraft. „Heute Morgen wurden die letzten sieben Taliban von den Amerikanern aus meinem Gefängnis abgeholt. Alle waren Pakistani“, erzählt er. Wohin sie gebracht wurden und was mit ihnen geschehen wird, das weiß er nicht.
Die internationale Gemeinschaft sollte sich davor hüten, Afghanistan Lösungen von außen aufzuzwingen: „Sie werden das niemals akzeptieren. Alle Lösungen müssen islamische Lösungen sein“, sagt ein tadschikischer Kenner der Situation. Und Rommel Haider wünscht sich von der internationalen Kooperation: „Sie soll unsere Kultur respektieren, nicht nachlassen im Bemühen um Frieden und in der Unterstützung beim Wiederaufbau.“ Inschallah.
Der Autor ist freier Mitarbeiter des SÜDWIND-Magazins, Consultant, Lateinamerika- und Drogen-Experte und besuchte soeben Afghanistan.
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