Ist der Damm gegen Antisemitismus gebrochen?

Von Redaktion · ·
Blauweißer Davidstern mit Text
Das hat die Antisemitismusstudie 2022 ergeben, die das IFES gemeinsam mit Demox Research im Auftrag des Parlaments durchgeführt hat.

In Österreich nimmt Antisemitismus zu und Islamfeindlichkeit ist weit verbreitet. Zu diesem Befund kommt eine aktuelle Studie der Universität Wien mit dem Titel „Was glaubt Österreich?“.

Was sagt der Umgang mit Minderheiten über eine Gesellschaft aus? Für Regina Polak, Theologin und Autorin der Studie „Was glaubt Österreich“ an der Uni Wien, sind Antisemitismus sowie Islam- und Muslimfeindlichkeit zusammenzudenken. Die Anerkennung von Minderheiten sieht sie als „Gradmesser dafür, wie es um die Qualität der Demokratie bestellt ist“. Beides, Antisemitismus sowie Islam- und Muslimfeindlichkeit, sind komplexe Syndrome und mehr als bloße Vorurteile, die mittels Bildung überwunden werden könnten. Hinzu kommt, dass sie eine gesellschaftliche Funktion erfüllen.

Zugleich sind es aber verschiedene Phänomene. Der Antisemitismus dient, so Polak, als „Erklärungsmodell“ für Krisen und deren Folgen, gegenüber denen man sich ohnmächtig fühlt. Juden und Jüdinnen, die ein bis zwei Promille der österreichischen Bevölkerung und auch der Weltbevölkerung ausmachen, werden als übermächtig imaginiert. Demgegenüber betrachtet die Islam- und Muslimfeindlichkeit Muslim:innen als minderwertig. Der Islam als Kultur wird als unvereinbar mit einer christlichen Kultur angesehen. Etablierte Vorrechte und die politische Ordnung sollen erhalten bleiben. In dieser Logik werden Muslim:innen zu Schuldigen an Krisen gemacht, besonders im Bildungsbereich.

Antisemitismus innerhalb von zwei Jahren stark angestiegen
Wie sehr Antisemitismus in Österreich in kurzer Zeit an Boden gewonnen hat, zeigt der Vergleich von 2024 mit den Daten von 2022.
Angesichts des starken Anstiegs antisemitischer Vorfälle seit dem 7. Oktober 2023 war auch ein Zuwachs antisemitischer Einstellungen zu erwarten. Dies ist auch eingetroffen, wobei die Zustimmung zu einzelnen judenfeindlichen Aussagen erheblich variiert und je nach Aussage zwischen geringer Zunahme bis zu einem Plus von 33 Prozent reicht.
Zugleich ist aber in den letzten beiden Jahren die Ablehnung von gegen Juden und Jüdinnen gerichteten Aussagen gesunken. Für Regina Polak scheint der Nachkriegskonsens einer öffentlichen Ächtung des Antisemitismus brüchig geworden zu sein.

Im Jahre 2022 bildete die Mehrheit der Gesellschaft noch eine Art Damm gegen Antisemitismus. Die Gruppen pro und contra Antisemitismus sind seitdem etwa gleich groß geworden, indes wächst die Gruppe der Unentschiedenen. Die Einstellung zu Antisemitismus in der österreichischen Bevölkerung ist volatil geworden. Ist also der Damm gegen Antisemitismus gebrochen?

Hintergrund: Die Studie der Universität Wien „Was glaubt Österreich?“ wurde von der ORF-Abteilung für Religion und Ethik initiiert und vom Zukunftsfonds der Republik gefördert. Im April und Mai 2024 wurden insgesamt 2.160 Personen mit Wohnsitz in Österreich zwischen 14 und 75 Jahren zu ihren Glaubens-, Sinn- und Wertvorstellungen befragt. Für die Vergleiche mit 2022 wurden Ergebnisse der Antisemitismusstudie der Wirtschaftsuniversität Wien von Evelyn Dawid und Eva Zeglovits herangezogen.

Martin Jäggle ist Theologe und Herausgeber:innen-Vertreter des Südwind-Magazins.

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