NI-Autorin Jenny Chan berichtet über Leben und Tod in einem der erfolgreichsten Unternehmen Chinas.
Im vergangenen Jahr versuchten 18 chinesische WanderarbeiterInnen in Foxconn-Werken in Guangdong, Jiangsu und Hebei, sich das Leben zu nehmen. 14 starben, vier überlebten mit knapper Not. Alle waren zwischen 17 und 25 Jahre alt. Warum wollten sie, in der Blüte ihrer Jugend, ihr Leben aufgeben?
2010 erzielte Foxconn einen historischen Rekordumsatz von 79,1 Mrd. US-Dollar – sogar mehr als einige der Kunden des Unternehmens wie Microsoft, Nokia oder Dell. KonsumentInnen rund um die Welt steht eine unglaubliche Auswahl brandneuer elektronischer Produkte zur Verfügung, vom iPhone 4 über den iPod bis zum iPad 2. Sie alle werden von der mehr als eine Million ArbeiterInnen produziert, die Foxconn allein in China beschäftigt. Das Unternehmen wird Prognosen zufolge bis Mitte 2011 seinen Marktanteil an der Auftragsfertigung von Elektronik-Produkten (EMS, Electronic Manufacturing Services) auf 50 Prozent steigern.
Foxconn entstand 1988 als Tochter der taiwanesischen Hon Hai Precision Industry. Das Ziel war, eine Produktionsbasis in der Sonderwirtschaftszone Shenzhen im Hinterland von Honkong aufzubauen, wo lokale Regierungen billige Grundstücke für Industrieansiedlungen bereitstellten und Steuerbefreiungen anboten. Arbeitskräfte gab es in Überfluss – die 230 Millionen WanderarbeiterInnen Chinas, flexibel, billig, perfekt für eine „Just-in-time“-Produktion.
Eine Führungspersönlichkeit muss eine Art „Diktator für das Allgemeinwohl“ sein, meint Foxconn-Chef Terry Gou. Unter seiner Leitung wurde ein riesiges Produktionszentrum in Shenzhen errichtet, eine Stadt in einer Stadt, in der Manager des Unternehmens und Sicherheitspersonal die Beschäftigten wie eine Quasi-Regierung kontrollieren. Werkgebäude und Wohnheime werden rund um die Uhr bewacht; ein Zugang ist nur über Sicherheitskontrollpunkte möglich. Alle Beschäftigten tragen Uniformen mit einem Farbschema, an dem sich ihre Abteilung erkennen lässt.
Das vielschichtige elektronische Zugangskontrollsystem erzeugt das Gefühl eines völligen Verlusts der persönlichen Freiheit, wie die MontagearbeiterInnen in Interviews betonten.*) Während der Vorbereitung auf die Arbeit an den Fertigungsstraßen wird die Belegschaft routinemäßig von Vorgesetzten gefragt: „Wie geht es Ihnen?“ Die vorgeschriebene Antwort, die unisono zu rufen ist, lautet: „Gut! Sehr gut! Sehr, sehr gut!“ Dieser Drill wurde eingeführt, um für Disziplin zu sorgen. Wer bei der Arbeit redet, das hohe Arbeitstempo nicht einhalten kann oder Arbeitsverfahren nicht exakt einhält, wird beschimpft und bestraft.
Eine Frau, die an der Lötstraße arbeitet, wo Lautsprecher in MP3- und MP4-Audioplayer eingebaut werden, erzählte: „Jedes Mal, wenn eine Arbeiterin bestraft wird, müssen wir alle – mehr als 100 Personen – noch bleiben. Die Arbeiterin muss strammstehen und einen Text vorlesen, in dem sie sich selbst kritisiert. Sie muss so laut lesen, dass man sie in der ganzen Halle hören kann. Unser Vorgesetzter fragt dann, ob die ArbeiterInnen am anderen Ende der Halle genau verstanden haben, welchen Fehler sie gemacht hat. Die Frauen haben oft das Gefühl, das Gesicht zu verlieren. Es ist sehr beschämend. Sie weinen. Sie können kaum mehr sprechen.“
Auch die unmittelbaren Vorgesetzten stehen unter Druck, die Produktionsziele einzuhalten, und pflegen einen barschen Umgangston. Dem Management geht es um die tägliche Produktion und nicht darum, wie sich die ArbeiterInnen fühlen. Elektronische Markenprodukte sind teuer, und Fehler sind schlicht verboten. Eine der interviewten Frauen war bestraft worden, weil sie vergessen hatte, eine Schraube in einem iPhone anzuziehen. Sie musste 300 Mal Merksprüche von Unternehmenschef Terry Gou wie „Ein raues Milieu ist etwas Gutes“ abschreiben.
ArbeiterInnen erzählten uns, dass nach einer Erhöhung des Grundlohns auf 1.200 Yuan monatlich (182 Dollar) im Juni 2010 höhere Stückzahlen vorgeschrieben wurden. Eine Gruppe junger ArbeiterInnen, die für die Bearbeitung von Mobiltelefon-Gehäusen verantwortlich waren, berichtete: „Die vorgeschriebene Tagesproduktion war bisher 5.120 Stück, aber sie wurde um 20 Prozent auf 6.400 Stück erhöht. Wir waren völlig fertig.“
Foxconn testet die Kapazität der ArbeiterInnen mit Zeit- und Bewegungsstudien, statistischen Kontrollverfahren und computergesteuerten Geräten. Das Ziel ist, die Geschwindigkeit zu erhöhen, bis die maximale Kapazität erreicht ist. ArbeiterInnen beschrieben das unter anderem so: „Wir können nicht einmal eine Minute Pause machen. Wir sind sogar schneller als die Maschinen“ oder: „Wenn wirklich viel los ist, habe ich nicht einmal Zeit, etwas zu essen oder auf die Toilette zu gehen.“
Die Kunden von Foxconn wollen ihre Computer und iPhones so rasch wie möglich. Das Unternehmen geht zunehmend dazu über, die Fließbänder rund um die Uhr laufen zu lassen, um die weltweite Nachfrage decken zu können. Die Vorgaben für Produktivität und Qualität sorgen für Dauerdruck auf die Foxconn-Beschäftigten. An den Wänden der Werkshallen und Treppenhäuser hängen Plakate mit Sprüchen wie „Achten Sie jede Minute, jede Sekunde auf Effizienz“; „Erfüllen Sie die Vorgaben, bis die Sonne nicht mehr aufgeht“; „Der Teufel steckt im Detail“.
Die ArbeiterInnen sitzen oder stehen in festgelegten Positionen am Fließband und absolvieren in der Regel 12-Stunden-Schichten – vier davon sind Überstunden. Das System der abwechselnden Tag- und Nachtschichten sorgt nicht nur für konstante Müdigkeit, sondern macht es auch fast unmöglich, ein Gefühl von Erfolg bei der Arbeit zu entwickeln oder sich damit zu identifizieren. Typische Äußerungen von ArbeiterInnen uns gegenüber waren etwa: „Die Klimaanlagen sind nur wegen der Maschinen hier“ und „Ich bin nur ein Staubkörnchen in der Fabrik“.
Die meisten WanderarbeiterInnen leben in Wohnheimen, die vom Unternehmen bereitgestellt werden, weil sie sich nicht einmal eine kleine Wohnung leisten können. Für Unternehmen wie Foxconn ist diese Unterbringung der Arbeitskräfte kosteneffizient und stellt sicher, dass die arbeitsfreie Zeit bloß zur Vorbereitung auf die nächste Schicht genutzt wird. Die Bereitstellung von „Annehmlichkeiten“ wie Wohnheimen und Kantinen dient dazu, den gesamten Lebensbereich der Kontrolle der Werksleitung zu unterwerfen. Essen und Trinken, Schlafen, sogar die Körperpflege sind ebenso einem Zeitplan unterworfen wie die Arbeit am Fließband. ArbeiterInnen mit verschiedenen Aufgaben und sogar in verschiedenen Schichten werden im selben Schlafraum untergebracht und stören sich daher oft gegenseitig beim Ausruhen und Schlafen. Willkürliche Zuweisungen zu anderen Schlafräumen zerstören Freundschaftsnetze und steigern das Gefühl der Isolierung und Einsamkeit.
ArbeiterInnen leben mit Fremden zusammen, dürfen nicht selbst kochen und über Nacht nicht von Freunden oder Familienangehörigen besucht werden. Ob Single oder verheiratet, der private Bereich beschränkt sich auf das eigene Bett hinter einem selbst angebrachten Vorhang.
Nach den Selbstmorden ließ Foxconn drei Millionen Quadratmeter Sicherheitsnetze montieren, die so genannten „Netze mit einem liebenden Herz“. Diese Anti-Selbstmord-Netze hängen an außenliegenden Treppenaufgängen der Wohnheime, um Todessprünge zu verhindern. Die Selbstmorde wurden dadurch allerdings nicht gestoppt. Am 7. Jänner des Jahres sprang eine 25-jährige Universitätsabsolventin im Hauptwerk von Foxconn in Shenzhen in den Tod.
Die neue Marktwirtschaft in China beruht auf einer radikalen Neudefinition von Bedürfnissen und Wünschen. MigrantInnen aus ländlichen Regionen sehnen sich nach einem zeitgemäßen Leben, und dieses Leben spielt sich in den Städten ab. Einige junge ArbeiterInnen, die in den 1980er oder 1990er Jahren geboren wurden, waren seit ihrer Kindheit in der Stadt und haben keine Ahnung von bäuerlicher Arbeit. Je höher die Ansprüche der MigrantInnen, desto offensichtlicher wird der Kontrast zur harten Wirklichkeit. Mit den verschiedenen Formen des Protests, mit dem Selbstmord als Ausdruck tiefster Verzweiflung, versuchen sie, ihre Rechte und ihre Würde einzufordern.
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Jenny Chan ist Beraterin der Organisation „Students & Scholars Against Corporate Misbehaviour“ (SACOM) in Honkong. www.sacom.hk
*) Genau zur Zeit der durch die Selbstmorde ausgelösten Krise fand eine Untersuchung der Arbeitspraktiken bei Foxconn statt, die von engagierten StudentInnen und WissenschaftlerInnen von 20 Universitäten in Hongkong, China und Taiwan durchgeführt wurde. Jenny Chan hatte sich dem Untersuchungsteam angeschlossen.
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