„Inmitten des ideologischen Gewitters“

Von Redaktion · · 2008/04

Zum ersten Mal in der Geschichte Paraguays hat das Land reale Chancen, aus dem historischen Kreislauf von Unterdrückung und Unterentwicklung auszubrechen. Hoffnungsträger ist der ehemalige Bischof Fernando Lugo. Für das Südwind-Magazin sprach mit ihm Karin Brunner.

Der Befreiungstheologe tritt bei den Wahlen am 20. April als Präsidentschaftskandidat eines breiten Bündnisses an und liegt seit Monaten in den Meinungsumfragen an erster Stelle. Fernando Lugo besitzt offenbar die persönliche Gabe, Parteien gegensätzlicher Gesinnungen, Gewerkschaften, Menschenrechtsorganisationen, SozialistInnen und landlose Bauern bis hin zu als konservativ eingestuften Radikalliberalen und Abtrünnigen der Colorado-Partei zu vereinen – alle mit der Hoffnung und dem Ziel, ein gerechteres, soziales, demokratisches Paraguay zu gestalten. Das berühmte Lied von Mercedes Soza „Cambia todo cambia“ (Alles ändert sich) ist so etwas wie die Hymne der Wahlkampagne. Der Ex-Bischof mischt sich gerne unter das Volk, besucht Spitäler in Armenvierteln, Genossenschaften der Fischer, hat ein offenes Ohr für deren Sorgen und Nöte. Anlässlich einer Wahlveranstaltung am Rio Paraguay gibt der politische Quereinsteiger in einem Gespräch ein Stimmungsbild über die gegenwärtige Situation, den Wahlkampf und die Ziele seiner Politik.

Südwind: Gibt es einen konkreten Anlassfall in Ihrem Leben, der Sie zur Kandidatur veranlasste?
Fernando Lugo: Es gibt verschiedene Motive. Unsere pastorale Tätigkeit und die soziale Arbeit in San Pedro waren nicht mehr ausreichend, um den Menschen dort ihre Würde zurückzugeben und ihnen ein besseres Leben zu ermöglichen. Ich erkannte, dass die Politik das Mittel ist, etwas zu verändern. Ein weiterer Grund, warum ich kandidiere ist, dass die Leute an mich mit dieser Bitte herangetreten sind. Ich musste mich diesem Wunsch stellen, bin aber ein untypischer Kandidat, weil ich nicht für eine Partei kandidiere.

Welche politischen Sofortmaßnahmen würden Sie als Präsident von Paraguay ergreifen?
Es gibt viele Notwendigkeiten. Jedenfalls werden wir die Leute nicht belügen und nicht aufwiegeln. Es gibt einen Notfallsplan für die dringendsten sozialen Probleme. Dieser soll den Ärmsten, wie den Fischern hier am Rio Paraguay, Sicherheit bieten. Wichtig ist aber auch, dass die Justiz endlich unabhängig wird. Derzeit ist sie in Händen der herrschenden Klasse, der Politik und der wirtschaftlichen Macht.

Und langfristig, welche Zielsetzungen haben Sie da?
Paraguay soll seine Würde und Souveränität wieder erhalten. Das Land hat im Ausland den Ruf von Korruption und Ungesetzlichkeit. Es soll ein Land werden, das ernst genommen wird und in dem alle Menschen gleichberechtigt sind.

Welche Maßnahmen werden Sie gegen die Korruption setzen?
Zuallererst darf der Präsident nicht korrupt sein. Wenn der Kopf krank ist, krankt der gesamte Körper. Gegenüber Korruption wird es überhaupt keine Toleranz geben. Unser großes Kapital sind Transparenz und Ehrlichkeit.

Mit welchen Maßnahmen werden Sie die Bodenreform umsetzen?
Als erstes müssen wir einen nationalen Kataster einrichten, der die Eigentumsverhältnisse festschreibt. Dieser existiert bis dato nicht. 1991/92 erhielt die Regierung von der Weltbank ein Darlehen in Höhe von 40 Millionen Dollar, um ein Grundstücksverzeichnis einzurichten. Es wurden jedoch nur ungefähr zehn Prozent des Geldes dafür verwendet, der Rest wurde durch Korruption verschlungen. Es muss ein großes soziales Übereinkommen geben, eine große Reform ohne traumatisierende Wunden und ohne Gewalt zwischen allen Beteiligten, sowohl zwischen den vielen Landlosen als auch den Inhabern der großen Ländereien.

Wie gestaltet sich der Wahlkampf für Sie als politischen Quereinsteiger und für Ihr Team, in dem es viele Nicht-Politiker und -Politikerinnen gibt?
Für jemanden, der von „außerhalb“ kommt, gibt es Vor- und Nachteile. Es ist schwierig, gegen jene anzutreten, die meinen, alle Vorrechte zu haben und in allen Geschäften und den staatlichen Einrichtungen führend sind. Der Vorteil ist, dass wir nicht durch die Vergangenheit belastet sind und nicht an schmutzigen Geschäften beteiligt waren. Allerdings haben wir keine politische Struktur und keinen Apparat, der uns unterstützt. Es gibt aber keine ideologischen Probleme, wir haben eine klare gemeinsame Idee. In unserer „Patriotischen Allianz für den Wechsel“ beteiligen sich einfache, ehrliche Leute aus vielen sozialen Vereinigungen, die eine Veränderung in Paraguay wollen. Und das ist unser Potenzial.

Welche Finanzmittel stehen Ihnen im Wahlkampf zur Verfügung und woher kommen diese?
Die Menschen sind unser großes soziales und ökonomisches Kapital. Es gibt aber auch ehrliche, transparente Firmen, die sich in Paraguay eine Wende wünschen. Diese unterstützen uns auch. Bei uns gibt es mit Sicherheit kein Geld aus Schmuggel, Drogenhandel oder anderen illegalen Geschäften.

Legte der Vatikan Ihnen und Ihrer Kandidatur Hindernisse in den Weg?
Nein, mit dem Vatikan gibt es keine Probleme. Es gab aber Unklarheiten mit der paraguayischen Verfassung. Mit der Zurücklegung meiner kirchlichen Rechte (Lugo hat das Amt als Bischof und als Priester zurückgelegt; Anm.) bekam ich jedoch alle meine staatsbürgerlichen Rechte zurück.

Man liest, dass es aus dem Vatikan sehr wohl eine kritische Haltung gibt.
Für mich zählt zuerst die Verfassung des Landes, dann erst der Vatikan. Die nationale Verfassung garantiert meine Kandidatur.

Wo würden Sie sich als Präsident Paraguays im aktuellen Kontext Lateinamerikas positionieren?
Paraguay wird seine Souveränität und Würde wieder gewinnen und seinen eigenen Weg gehen. Weder ich noch Paraguay werden sich festlegen lassen. Paraguay kann auch nicht mit anderen Ländern verglichen werden, weil es einfach keine exportierbaren Modelle für Politik und Wirtschaft gibt. Paraguay wird seinen eigenen Weg gehen, basierend auf unserer eigenen Realität. Es wird eine pluralistische und vor allem eine demokratische Regierung geben.

Sie betonen in Ihrem Wahlkampf, dass Sie unparteiisch sind und keiner Partei angehören. Sie sind jedoch offiziell der Kandidat der Christdemokraten. Sie werden von sehr vielen Linksgruppierungen sowie von als rechts geltenden Liberalen unterstützt. Wo stehen Sie nun persönlich ideologisch?
Für die Kandidatur war es nötig, sich einer Partei einzuschreiben. Ich entschied mich für die christdemokratische Partei, trete aber nicht für diese auf. Ich persönlich stehe in der Mitte, inmitten des ideologischen Gewitters (lacht).

Welche Botschaft möchten Sie an Europa übermitteln?
Europa ist für uns sowohl geschichtlich als auch gegenwärtig sehr wichtig, wir haben einander viel gegeben. Es sollen sich gerechtere und ausgeglichenere Beziehungen entwickeln. Ich bin für Gleichheit, und diese soll auch die Beziehungen zu Europa prägen.

Karin Brunner ist Juristin und Autorin sozialkritischer und interkultureller Texte. Zuletzt bereiste sie ein halbes Jahr lang Südamerika, wo sie speziell in Paraguay zur aktuellen politischen und sozialen Situation recherchierte.

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