Indonesiens Wahljahr

Von Anett Keller · · 2009/05

Der Gründonnerstag war ein Superwahltag für 171 Millionen Stimmberechtigte in Indonesien. Die einen lobten den Tag als ein Fest der Demokratie, für die anderen bedeutete er eine Stabilisierung des alten Systems in neuem Gewand.

Eine alte Frau schaut auf das große Plakat mit den 38 bunten Fähnchen und den mehreren Hundert Namen. „Sind das die Kandidaten für Jakarta?“, fragt sie stirnrunzelnd. Ein junger Familienvater eilt zu Hilfe: „Nein, die sind fürs regionale Parlament.“

Ganz einfach war es für manche der 171 Millionen WählerInnen in Indonesien, der drittgrößten Demokratie der Welt, nicht, den Überblick zu behalten. Gleich vierfach waren sie am 9. April aufgerufen, ihre Wahl zu treffen – aus 38 Parteien, von Einzelkandidaten und -kandidatinnen ganz abgesehen. Nicht nur das nationale Parlament in Jakarta wurde gewählt, sondern auch die VolksvertreterInnen auf Provinz- und Distriktebene.
Schnarrend durchschneidet die Stimme des örtlichen Vertreters der Wahlkommission die brütend heiße Luft. Einzeln werden die 359 Wählerinnen und Wähler aufgerufen, hier am Wahlposten Nr. 7 im Kampung (Wohngebiet) Minomartani, im Norden der javanischen Stadt Yogyakarta. Geduldig warten sie auf blauen Plastikstühlen: Alte Männer im Batikhemd, ihre Frauen in Spitzenblusen, daneben die Enkelinnen, teils sittsam in weite Kleider und Kopftuch gehüllt, teils in enge T-Shirts und Miniröcke gewandet.

So vielseitig wie die Outfits, so vielseitig sind die politischen Ansichten. „Ich wähle PDI-P“, die Partei von Ex-Präsidentin Megawati Sukarnoputri, sagt die 22-jährige Hausangestellte Sarmiasih, die wie die meisten JavanerInnen nur einen Namen hat. Die PDI-P, geführt von Megawati, der Tochter von Indonesiens Unabhängigkeitshelden und erstem Präsidenten Sukarno, ist als Partei der „kleinen Leute“ populär. Sarmiasih gefiel das Wahlversprechen, ihr Ort werde von den PDI-P-Kandidaten Unterstützung bei der Viehzucht erhalten.
Wahyudi (29) hingegen, mal Fahrer, mal Touristenguide, gibt seine Stimme einer der islamischen Parteien. „Ich wähle PKS, das sind die einzigen, die nicht korrupt sind.“ Diese Partei, der Kritiker nachsagen, sie sei von Saudi-Arabien finanziert und versuche, langfristig aus Indonesien einen Islamstaat zu machen, wird vor allem von der städtischen, gebildeten Mittelschicht gewählt.

Einig sind sich hingegen hier alle, dass sie mit ihrem Votum bei der dritten demokratischen Wahl, seit 1998 die Diktatur des Generals Suharto gestürzt wurde, etwas bewirken können. „Wir wollen doch, dass sich Indonesien entwickelt. Wir haben so viele Probleme: Die Wirtschaft läuft schlecht, das Bildungsniveau ist bescheiden, die Gesundheitsversorgung unzureichend“, sagt die 66-jährige Hartati. Die Lösung dieser Probleme sei viel wichtiger als die Frage, ob man nun eine religiöse oder eine säkulare Partei wähle.

Am Ende des Tages spiegelt das Ergebnis hier in Minomartani das große politische Bild in Indonesien wider, dem Land mit der zahlenmäßig stärksten muslimischen Bevölkerung der Welt. Die säkularen Parteien gewinnen auch diese Wahl – insgesamt entfallen knapp 60 Prozent der Stimmen auf sie.
Vor allem ist das Ergebnis ein Vertrauensbeweis für den Präsidenten Susilo Bambang Yudhoyono. Seine Demokratische Partei (PD) hat ihren Stimmenanteil verdreifacht und liegt nach dem bisherigen offiziellen Zwischenergebnis (das amtliche Ergebnis wird erst am 9. Mai bekannt gegeben) bei 20,36 Prozent. Golkar, die politische Basis der „alten Ordnung“ unter Suharto und bislang stärkste Macht im Parlament, liegt bei 14 Prozent der Stimmen. Ebenso wie die PDI-P von Megawati Sukarnoputri, die Indonesien von 2001 bis 2004 regierte. Erst dann folgen die vier großen islamischen Parteien mit insgesamt etwa 25 Prozent. Bei den letzten Wahlen 2004 waren es noch weit über 30 Prozent.

In Indonesien, das für seinen toleranten Islam bekannt ist, tickten die WählerInnen eben anders als in anderen Ländern mit mehrheitlich muslimischer Bevölkerung, ist Denny Januar Ali, Leiter des Meinungsforschungsinstitutes Lembaga Survey Indonesia (LSI), überzeugt. Indonesier seien zwar sehr fromm, so Denny, „aber, wenn es um Politik geht, bevorzugen sie nationalistische Parteien“.
Nach der Wahl ist vor der Wahl in diesem Jahr. Am 8. Juli wird per Direktwahl der Präsident für die nächsten fünf Jahre gewählt. In Indonesiens politischem System hat er eine starke Stellung. Und der Vertrauensvorschuss für „SBY“, wie die Bevölkerung ihren Präsidenten nach seinen Initialen nennt, ist sehr groß. Nach mehreren blutigen Terroranschlägen am Anfang des neuen Jahrtausends brachte der Ex-General Sicherheit. In seinem energischen Kampf gegen die Korruption, eine der schlimmsten Krankheiten der jungen Demokratie Indonesiens, nahm er selbst auf eigene Verwandte keine Rücksicht.

Auch die wachsende internationale Bedeutung ihres Landes und das staatsmännische Agieren haben „SBY“ viele Pluspunkte verschafft. Daheim lief der Wahlkampf gerade auf Hochtouren, da zeigten ihn die Titelseiten beim G-20-Gipfel in London Seite an Seite mit US-Präsident Barack Obama. Der neue US-Präsident hat gleich zu Beginn seiner Amtszeit Indonesien in der US-Außenpolitik enorm aufgewertet, indem er seine Außenministerin Hillary Clinton bei ihrer Antrittsreise nicht nur nach Peking, Tokio und Seoul, sondern auch nach Jakarta schickte.

Eigentlich kann Yudhoyono nur noch verlieren, wenn er sich den falschen Kandidaten als Vize wählt. Die Kombination aus Yudhoyono und seinem derzeitigen Vize Jusuf Kalla sei gar nicht so schlecht gewesen, meinen Viele. Kalla, der Spross einer einflussreichen Unternehmerfamilie aus Sulawesi, verschaffte Yudhoyono die Unterstützung der Golkar-Partei, die fast ein Viertel der Sitze im Parlament innehatte. Kalla liebäugelt allerdings mit einer eigenen Kandidatur für das höchste Amt, und so dreht sich das Kandidatenkarussell munter weiter. Bei allem Lob für das Präsidenten-Vize-Duo sind viele Probleme Indonesiens nicht kleiner geworden. Die globale Wirtschaftskrise lässt die Exporte sinken, Massenentlassungen werden befürchtet. Die Morde an mehreren Politikern im ehemaligen Bürgerkriegsgebiet Aceh und gewalttätige Übergriffe mit mehreren Toten in Papua überschatteten die Wahlen. Auf die Separatismus-Bestrebungen in der ressourcenreichen Provinz Papua gibt es für die Regierung offensichtlich keine andere Antwort als massive Militärpräsenz.

Vergleicht man Indonesien mit den meisten seiner südostasiatischen Nachbarn, ist es zweifellos eine sehr lebendige Demokratie. Doch eine wirkliche Opposition im Parlament sucht man vergebens. Die Konsenskultur des Landes und offene, direkt vorgetragene Kritik – das scheint sich einfach nicht zu vertragen.
So bleibt bei weiten Teilen der Bevölkerung der Eindruck des politischen Kuhhandels und der persönlichen Bereicherung vieler „Volksvertreter“. Die Zahl der NichtwählerInnen, auch aus gebildeten Schichten, wächst. Auch hier in Yogyakarta, der für ihre guten Universitäten und ihren kulturellen Reichtum bekannten Stadt, ist der Unmut spürbar.

In der Mitte des großen, luftigen Ausstellungsraumes der Galerie „Sangkring Art Space“ im Süden von Yogyakarta dreht sich ein Regenmantel an einer Angelschnur um die eigene Achse. „Regenpartei“ steht darauf. Unangenehm, aber unvermeidlich – wie der Regen, der einem auf den Kopf prasselt, so erscheint vielen Menschen in Indonesien ihre Parteienlandschaft. Als könne man sie nicht ändern, sein Unbehagen lediglich ausdrücken, indem man die Wahl boykottiert. Die Zahl der Wahlberechtigten, die dieser Wahl fern blieben, wird auf bis zu 40 Prozent geschätzt. Ihre Gefühle spiegelt die Ausstellung „Vox Populi“, zu der der Regenmantel gehört. Vor allem an der Art, wie in ihrem Land Wahlkampf betrieben wird, üben die KünstlerInnen Kritik: Laut und schrill. Motorradkonvois und Pop-Konzerte. Alles, was schnelle Aufmerksamkeit verspricht in einem Land, wo die überwiegende Mehrheit täglich fernsieht, aber nur die Wenigsten eine Tageszeitung lesen.

Statt fundierter Programmatik werde den Menschen von Politikern im Wahlkampf einfach alles versprochen, kritisiert Tubagus P. Svarajati, Kurator von „Vox populi“. „Es ist, als wollten sie ein Bonbon verkaufen, mit dem man alle Geschmacksrichtungen gleichzeitig schmecken kann.“ Damit würde das Volk nicht informiert, sondern verdummt. In den Augen der versammelten KünstlerInnen hört die Politik auf alles, nur nicht auf Volkes Stimme. Ein Werk zeigt die Karikatur eines Wahlplakates in der Hauptstadt Jakarta. Ein grinsender Affe ist darauf, er hält sich die Ohren zu. „Vote me“, steht darunter. Ein anderes Werk, es ist fast komplett schwarz und nimmt beinahe eine komplette Wand ein, trägt folgenden Titel: „Vox populi, fuck dies“ (Die Stimme des Volkes, verdammt, sie stirbt!).

Anett Keller lebt als freie Journalistin in Indonesien. Sie hat in Leipzig und Yogyakarta Journalismus, Politikwissenschaft und Indonesisch studiert. E-Mail: anett.keller@times-media.de

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