Im Zeichen des Wiederaufbaus

Von Elsbeth Horbaty · · 1999/03

Hunderte von Organisationen aus aller Welt haben es in Nicaragua geschafft, das Schlimmste zu verhindern: Das Straßennetz ist fürs erste repariert, der Epidemiegefahr wurde Einhalt geboten. Die Menschen stehen noch immer unter Schock, aber schon blühen di

Bunte zerschlissene Wäsche flattert am Río Coco, dem Grenzfluß zwischen Honduras und Nicaragua. Jede halbe Stunde prasselt ein tropischer Regenguß über Wiwinak, das kleine Dorf der Miskito-Indianer auf der nicaraguanischen Seite. Die Hälfte der 700 EinwohnerInnen leben heute bei ihren Familienangehörigen oder in der Kirche. Ihre auf Pfählen gebauten Holzhäuser wurden Ende Oktober letzten Jahres vom reißenden Fluß weggeschwemmt. „Das wenige, das wir hier hatten, Kochtöpfe, Geschirr, ein paar Kleider und die Hühner sind im Hochwasser verloren gegangen. Die Felder wurden überflutet und der Reis und die Bohnen, die kurz vor der Ernte standen, sind verfault“, erzählt Roland Gutierréz Maybit, der Dorfvorsteher von Wiwinak, in gebrochenem Spanisch.

Seine Leute reden Miskito, die Sprache der Indianer, die seit Menschengedenken am Fluß Río Coco leben. „Heute geht es uns wieder einmal nicht gut, meine Leute haben wenig Kraft zum Weitermachen“, erklärt Gutiérrez.

Diese Gegend wurde in den achtziger Jahren vom Krieg in Nicaragua schwer in Mitleidenschaft gezogen und die Menschen zwangsweise umgesiedelt. Vor ein paar Jahren sind sie alle wieder an den Fluß zurückgekehrt, haben ihre Häuser wieder neu aufgebaut und jetzt nach dem Wirbelsturm „Mitch“ müssen sie wieder von vorne anfangen.

ÄrztInnen aus Mexiko, Frankreich, Kuba und Spanien haben in den ersten Wochen nach dem Hurrikan fieberhaft gearbeitet und erreicht, daß sich die Epidemien wie Cholera und Leptospirosis nicht ausbreiteten und fürs erste gestoppt worden sind.

Soldaten aus den USA und Spanien sowie Baufirmen aus Nicaragua haben die Brücken, wenn auch meist noch behelfsmäßig, repariert, das Straßennetz kann wieder benützt werden.

Auch Österreich hat das Seine beigetragen. Wie schon im Dezemberheft des SÜDWIND-Magazins berichtet, haben der österreichische Staat und verschiedene Hilfsorganisationen schnell reagiert. Trotz des Regens am Río Coco blühen bereits die ersten aus Österreich finanzierten Bohnen.

Mit Hilfe des österreichischen Staats hat das Regionalbüro für Entwicklungszusammenarbeit bereits die ersten zwanzig Häuser im Dorf Achuapa im Norden von Nicaragua aufgestellt. Es sollen insgesamt 160 gebaut werden.

Vor ein paar Wochen haben die verschiedenen Entwicklungshilfeorganisationen der katholischen Kirche Österreichs die Kampagne „VAMOS“ Wiederaufbau in Nicaragua gegründet, die diesen betroffenen Menschen in Nicaragua koordiniert Hilfe leisten wird.

Am Río Coco werden Projekte zum Teil von der EU und von der Caritas finanziert. Häuser und Schulen sollen wieder aufgebaut, die Betroffenen mit Medikamenten und Schulmaterialien versorgt und technische Unterstützung bei der Aussaat gegeben werden.

Die Arbeit zum Wiederaufbau der Häuser und Felder soll von den BewohnerInnen selbst geleistet werden. Die persönliche Teilnahme am Wiederaufbau gibt den Menschen die Möglichkeit, wieder selbstbewußter in die Zukunft blicken zu können.

Die Kleinbauern und -bäuerinnen und ihre Familien sind die vom Hurrikan am härtesten betroffenen Menschen. Schon vor dem Wirbelsturm gehörten sie zu den Ärmsten Lateinamerikas. Der Soziologe Oscar Rene Vargas erklärt, daß diese Kleinbauern zwar 90% der in Nicaragua konsumierten landwirtschaftlichen Produkte erzeugen, jedoch in tiefster Armut leben.

Durch das seit 1991 vom Internationalen Währungsfond vorgeschriebene Wirtschaftsanpassungsprogramm sind immer weniger Mittel für die Landbevölkerung vorhanden, das Analphabetentum ist in den ländlichen Gegenden wieder auf 40% angestiegen und Kredite sind kaum mehr zu bekommen.

„Bereits vor dem Hurrikan ‚Mitch‘ sind die Kleinbauern immer ärmer geworden. Das Unglück hat sie nun in die tiefste Misere gestürzt“, meint Vargas.

Wie soll sich das Land nun wieder erholen? Die Millionen von Spenden, die aus aller Welt ins Land geflossen sind, helfen den Menschen, wieder auf eigene Beine zu kommen. Laut Vizepräsident Enrique Bolańos benötigt Nicaragua jedoch weitere rund 1,5 Milliarden US-$ für den Wiederaufbau.

Im Mai findet in Stockholm eine Konferenz statt, bei der verschiedene VertreterInnen der internationalen Finanzinstitutionen, der bilateralen Entwicklungshilfe und der Nicht-Regierungsorganisationen einen Wiederaufbauplan für Zentralamerika diskutieren werden.

Seit dem 24. Januar wartet das nicaraguanische Volk vergeblich auf den bis zu diesem Datum von der Regierung versprochenen Wiederaufbauplan. Man hat den Eindruck, daß sehr wenig koordiniert wird. Die Nichtregierungsorganisationen haben rascher gehandelt. Die kurz nach dem Hurrikan gegründete Dachorganisation von 320 NROs, „Zivilkoordination für den Notstand und den Wiederaufbau“ , hat Mitte Jänner ihren Plan vorgestellt.

Laut ihrer Koordinatorin Ana Quiroz geht es in diesem Plan darum, die politischen Strukturen auf Gemeindeebene zu stärken, um so eine dezentralisierte Entwicklung zu ermöglichen, die vor allem im landwirtschaftlichen Bereich und im Umweltschutz stattfinden soll.

Nicaragua zahlt pro Jahr 340 Millionen US- Dollar an die Geberländer zurück- Die gesamten Exporte betragen hingegen jährlich nur rund 700 Millionen US-Dollar.

Ist dies nicht ein Herd für politische Unruhen, wie 1972, als ein Erdbeben die Hauptstadt Managua zerstörte? Der damalige Diktator Anastasio Somoza teilte kaum etwas von der großzügigen Katastrophenhilfe, auch nicht mit dem traditionellen nicaraguanischen Bürgertum. Sieben Jahre später wurde Somoza durch einen Volksaufstand gestürzt.

Hätten nicht die Sandinisten, die jetzt in der Opposition sind, auch den jetzigen Moment der Unzufriedenheit wieder ausnützen können?

„Das ist aber nicht der Fall“, erklärt Sofía Montenegro, ehemalige Journalistin der eingestellten sandinistischen Zeitung „Barricada“. „Die jetzige sandinistische Partei ist nur noch ein Bruchteil von dem, was sie früher war und hat sich während und nach dem Unwetter nicht mobilisiert.

Ihre politischen Führer sind vielmehr dabei, mit Präsident Alemán einen politischen Pakt einzugehen, um die Macht in Zukunft zwischen den Liberalen und den Sandinisten zu teilen.“

In Nicaragua ist in Folge des Versagens der Regierung zum ersten Mal seit Jahren ein politisches Vakuum entstanden. Durch das Unglück von Hurrikan „Mitch“ ist es noch offensichtlicher geworden.

Laut Ana Quiroz wird die Arbeit zur Zeit von politischen Akteuren auf Gemeindeebene getragen. „Vielleicht werden aus diesem Engagement in Zukunft verantwortungsvolle Gemeindeführer hervorgehen , aber das ist jetzt noch nicht abzusehen“, meint Quiroz. „Nicaragua befindet sich zur Zeit noch in tiefster Trauer über die im Wirbelsturm umgekommenen Menschen“.

Die Autorin ist Schweizer Journalistin und lebt seit Jahren in Nicaragua. Seit Anfang des Jahres ist sie Mitarbeiterin des Österreichischen Entwicklungsdienstes (ÖED) in Managua.

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