In Ländern wie Mali, Burkina Faso oder Niger verhindern Terrorgruppen den Schulunterricht von Millionen Mädchen und Buben. Das hat weitreichende Folgen.
Kinder, die sich in enge Schulbänke quetschen, Zahlen von der Tafel in Hefte abschreiben und ihren Lehrer:innen nachsprechen. Das sollte zu Beginn des neuen Schuljahres, das in Westafrika im September oder Oktober beginnt, Alltag sein. Doch die Zahl der geschlossenen Schulen hat einen neuen Rekord erreicht. Laut einer Studie des Norwegischen Flüchtlingsrats (NRC), des Flüchtlingshilfswerks (UNHCR) sowie des Kinderhilfswerks (Unicef) der Vereinten Nationen bleiben in acht untersuchten Ländern in West- und Zentralafrika mehr als 13.200 Schulen geschlossen. Damit gilt die Bildung von 2,5 Millionen Mädchen und Buben als gefährdet.
Spitzenreiter ist wie in den vergangenen Jahren der Sahelstaat Burkina Faso mit 6.150 Bildungseinrichtungen, die nicht in Betrieb sind. „Die geschlossenen Schulen bekümmern uns sehr“, sagt Emmanuel Dori, der in der Hauptstadt Ouagadougou für die NGO Save the Children arbeitet, „bereits seit einigen Jahren durchlebt der Sahel eine komplexe Krise.“ Es fehle an Sicherheit und ausreichender Ernährung. Auch sei die Region von der Klimakrise und von Unterentwicklung betroffen. All das wirke sich negativ auf die Bildung aus.
Alphabetisierungsrate in den Sahelstaaten könnte sinken
Besonders besorgniserregend seien mittlerweile konkrete Angriffe auf Lehrpersonal und Schulen. Bewaffnete Gruppierungen würden Schulhäuser besetzen, Menschen einschüchtern und sogar ermorden. Seit 2012 haben sich zuerst in Mali, dann in Burkina Faso und Niger mehrere Terrorgruppen ausgebreitet. Derzeit aktiv sind vor allem der „Islamische Staat in der Größeren Sahara“ (ISGS) und die der Al-Qaida nahe stehende „Gruppe für die Unterstützung des Islams und der Muslime“ (JNIM).
Mali steht zwar häufiger in den internationalen Schlagzeilen. Doch Burkina Faso zählt über zwei Millionen Binnenvertriebene bei rund 22,4 Millionen Einwohner:innen. Kinder von Geflüchteten haben kaum Chancen, in den überfüllten staatlichen Schulen einen Platz zu bekommen. Vergangenes Jahr wurden schätzungsweise 40 Prozent der Staatsfläche von Terrorgruppen kontrolliert.
Die Konsequenzen sind laut UNHCR-Bildungsexpertin Charlotte Berquin gravierend: „Kinder laufen Gefahr, nicht mehr in die Schule zurückzukehren“, sagt sie. Damit kann mittelfristig die Alphabetisierungsrate in den Sahelstaaten sinken, die beispielsweise in Niger laut UNESCO ohnehin nur bei knapp 38 Prozent liegt.
Auch steigt das Risiko von Teenagerschwangerschaften sowie Kinderehen. Expert:innen sind sich außerdem einig: Wer keine Ausbildung und Zukunftsperspektiven hat, lässt sich leichter von bewaffneten Gruppen rekrutieren.
„Kinder haben Grundrecht auf Bildung“
Alternative Lernformen zu finden, ist nicht leicht. Gerade in ländlichen Regionen sei Online-Unterricht keine Option, sagt Berquin vom UNHCR. Es fehle schlichtweg an der Hardware, so die Bildungsexpertin. Auch mobile Daten kann sich kaum jemand leisten. Mitunter wird auf Unterricht über das Radio gesetzt, wozu Einheiten vorproduziert und über solarbetriebene Radios verteilt werden. Maßnahmen wie diese hält Dori von Save the Children für extrem wichtig: „Kinder haben schließlich ein Grundrecht auf Bildung.“
Katrin Gänsler lebt und arbeitet seit 2010 als Korrespondentin, Autorin und Reporterin in Westafrika.
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