NI-Autor Connor Woodman deckt auf, warum die transnationalen Bergbaukonzerne die indonesische Besatzung brauchen.
Ein Werbevideo auf der Website des britischen Mineralölunternehmens BP zeigt freudestrahlende westpapuanische Arbeiter am Standort in Tangguh, Westpapua. Das Erdgas aus den lokalen Feldern wird hier in Flüssiggas (LNG) verwandelt, um es per Schiff abtransportieren zu können – rund 7,6 Millionen Tonnen jedes Jahr.
Das Projekt im indonesisch besetzten Westpapua wurde seit seiner Inbetriebnahme 2009 von BP als leuchtendes Beispiel einer Rohstoffextraktion hochgehalten, die sich positiv auf die lokale Entwicklung auswirkt. Nun ist BP dabei, die Produktion in Tangguh um 50 Prozent zu erhöhen. Doch entspricht die Rhetorik den Tatsachen? Und welche Rolle wird das Projekt in Zusammenhang mit dem Kampf Westpapuas um Unabhängigkeit von Indonesien spielen?
Die Suche nach Öl und Gas in Tangguh begann 1996, damals unter Federführung des US-Konzerns Atlantic Richfield. Bald danach begann die Kindersterblichkeit zu steigen, zumindest nach Angaben Einheimischer aus dem naheliegenden Dorf Weriagar.1 Ob tatsächlich ein Zusammenhang besteht, ist unbekannt – eine unabhängige Untersuchung fand nie statt.
Seit BP 1999 den Standort übernahm, sind immer wieder ähnliche Anschuldigungen ins Ausland durchgesickert. „Unsere schlimmsten Vorhersagen und Ängste [in Bezug auf BP] haben sich bewahrheitet“, so papuanische Führer laut einem Bericht des britischen Guardian von 2008 – Zwangsumsiedlungen, ein Zustrom indonesischer MigrantInnen, die Zerstörung der lokalen Fischgründe und der Verlust jeder Kontrolle über das eigene Gebiet. 2 „In 20 bis 30 Jahren wird hier alles verschwinden“, glaubt Professor Agus Sumule von der University of Papua. „Also was wird die lokale Bevölkerung davon haben? Nichts. Außer Giftmüll vielleicht.“3
Doch was man offiziell von Tangguh weiß, stammt großteils von BP. Nur wenige Studien zitieren direkt betroffene PapuanerInnen, und die meisten NGOs, die dem Projekt kritisch gegenüberstanden, haben das Interesse verloren oder existieren nicht mehr. Eine unabhängige Überprüfung des BP-Projekts ist daher dringender denn je.
Echos von Grasberg. Was einen Schatten über den BP-Standort wirft, sind die Erfahrungen mit der riesigen Grasberg-Mine in Westpapua, die dem US-Unternehmen Freeport und dem britisch-australischen Konzern Rio Tinto gehört. Das Bergwerk wurde wiederholt von bewaffneten Aufständischen angegriffen, war von Generalstreiks betroffen und mit Forderungen konfrontiert, die Fördertätigkeit überhaupt einzustellen. Freeport hat Millionen von US-Dollar für indonesische Sicherheitsdienste bezahlt, und im umliegenden Gebiet kam es regelmäßig zu Schießereien, oft inszeniert von der indonesischen Armee mit dem Ziel, ihre lukrativen Sicherheitsverträge zu rechtfertigen.
In Grasberg befinden sich nicht nur die größten Gold- und die drittgrößen Kupfervorkommen der Welt, das Bergwerk gehört auch zu den größten Abfallproduzenten des Planeten. Abgesehen vom Abraum werden täglich mehr als 200.000 Tonnen Aufbereitungsrückstände im lokalen Flusssystem entsorgt. Nabil Ahmed, ein Wissenschaftler, der das Bergwerk studiert hat, bezeichnet das Vorgehen des Unternehmens und der indonesischen Behörden als „Ökozid“.4
Auch spanische, schwedische und norwegische Öl- und Gasunternehmen sind in Westpapua aktiv, während Palmöl-Plantagen die indigenen Bevölkerung ihr Land kosten und die Entwaldung und den Klimawandel vorantreiben. Ein Großteil der Landesfläche, 300.000 km, ist von tropischem Regenwald bedeckt, doch das Gebiet mit seiner hohen Biodiversität ist bedroht. Auch die Bintuni Bay, wo sich die BP-Gasfelder befinden, „einst ein entlegenes Gebiet mit Regenwald und Mangroven, wird in eine Industrielandschaft verwandelt“, wie dem West Papua Oil Palm Atlas von 2015 zu entnehmen ist.
Dem Fortschritt geopfert. Westpapua ist zu einer „Sacrifice Zone“, zu einer Opferzone geworden, wie es Naomi Klein ausdrückt, und seine Bevölkerung „eine nicht als vollwertig eingestufte Untergruppe der Menschheit, deren Vergiftung im Namen des Fortschritts irgendwie akzeptabel ist“.5
Die Ressourcen sind ein wesentlicher Grund für Indonesien, an der Besetzung Westpapuas festzuhalten. Aus Westpapua fließt ein Haufen Geld nach Indonesien – die US-Firma Freeport etwa ist der größte Steuerzahler des Landes, und 75 Prozent der Gasförderung aus dem Erweiterungsprojekt von BP in Tangguh sind für den staatlichen Stromversorger Indonesiens bestimmt.
Die Elite des Landes hat sich seit Langem auf diese „Plünderung der Regionen“ gestützt, wie der Indonesienexperte Damien Kingsbury von der Deakin University im australischen Melbourne festhält,6 um die politische Stabilität im dichtbevölkerten Java zu gewährleisten. Daher auch der Widerstand Indonesiens gegen die Unabhängigkeitsbestrebungen der Region. Das Ergebnis: Eine der ressourcenreichsten Regionen, Westpapua, hat die höchste Kindersterblichkeit, die geringste Alphabetisierungs- und die höchste HIV-Infektionsrate des Landes.
Verwicklung des Westens. Als Indonesien 1969 die manipulierte Abstimmung in Westpapua inszenierte, um seine Herrschaft zu legitimieren, betätigte sich das Vereinigte Königreich als Steigbügelhalter: London unterstützte Indonesien militärisch und diplomatisch und unternahm nichts, um die brutale Annexion zu stoppen. „Die Freiheit von bloß 800.000 Menschen“, kommentierte ein Sekretär der britischen Botschaft 1968, „hatte keinerlei Bedeutung.“
Heute sorgt das Vereinigte Königreich – zusammen mit Australien, Kanada, den USA und den Niederlanden – für die Finanzierung und Ausbildung der Anti-Terror-Einheit der indonesischen Polizei in Jakarta, „Detachment 88“. Diese Elite-Einheit, zur Aufstandsbekämpfung in Westpapua stationiert, hat menschenrechtlich eine „erschreckende“ Bilanz vorzuweisen, so Human Rights Watch. Die Erweiterung des BP-Standorts in Tangguh ist ein zusätzliches Argument für London, die Fortdauer des indonesischen Besatzungsregimes zu unterstützen.
Die USA wiederum unterhalten seit Langem ein strategisches Bündnis mit Jakarta, das sich mit dem Wahlsieg von Donald Trump verfestigt hat. Carl Icahn, einer der führenden Berater des US-Präsidenten, ist der größte Einzelaktionär von Freeport. Kurz nach seiner Amtseinführung kündigte Trumps Unternehmen zwei große Tourismus-Projekte in Indonesien an. Die Vermischung traditioneller strategischer US-Interessen mit privaten Geschäftsprojekten Trumps dämpft zumindest kurzfristig die Hoffnung, dass Washington einen Kurswechsel in Sachen Westpapua ins Auge fassen könnte.
Blockade-Aktionen. Ziviler Widerstand gegen die Ausbeutung der Bodenschätze hat in Westpapua Tradition. 1996 etwa zwangen gewaltsame Proteste Freeport dazu, den Betrieb vorübergehend einzustellen. Nicht weniger als 14 der insgesamt 28 Palmöl-Plantagen in Westpapua waren bisher von Blockaden betroffen, so genannten „Permangalan“-Aktionen, die auch dazu beigetragen haben, die Anlage neuer Pflanzungen zu verhindern.
Durch die Koordination mit der jüngst gegründeten Vereinigten Freiheitsbewegung für Westpapua (ULMWP) hat der zivile Widerstand an Schwung gewonnen. Die Zeit ist also reif für eine Welle der weltweiten Solidarität. Für die weltweite Umweltbewegung und antirassistische Initiativen bieten sich vielfältige Ansatzpunkte: die Ausbeutung fossiler Rohstoffe durch transnationale Konzerne, Klimawandel, die Vertreibung der indigenen Bevölkerung und die Unterstützung des Westens für Indonesien. Sie könnten – wie das internationale Netzwerk im Fall des erfolgreichen Unabhängigkeitskampfs von Osttimor – neuerlich eine wichtige Rolle spielen.
Beitrag zum Klimaschutz. Der Großteil der Wälder Westpapuas und die indigene Kultur sind weiterhin intakt und sollten von einer entschlossenen Bewegung verteidigt werden können. Ein erfolgreicher Einsatz für die Landrechte der PapuanerInnen und gegen den Landraub durch Konzerne und die indonesische Regierung würde die Entwaldung eindämmen und damit auch einen Beitrag zum Klimaschutz leisten. Mit den Worten Octo Motes, des Generalsekretärs der ULMWP: „Der Schutz der Rechte der indigenen Bevölkerung ist wichtig, um die Welt zu retten.“ 7
Falls ihr Land die Unabhängigkeit erlangen sollte, wird die politische Führung Westpapuas vor einer neuen Herausforderung stehen: Wird sie vermeiden können, dass die indonesische Besatzung bloß von einer Herrschaft der transnationalen Konzerne abgelöst wird, wie es bei vielen postkolonialen Staaten im Pazifikraum der Fall war? Mit der Bedrohung durch den Klimawandel kann es sich die Region jedenfalls nicht leisten, dass BP die 14,4 Billionen Kubikfuß Erdgas in Tangguh (entspricht ca. 2,6 Mrd. Barrel Rohöl) allesamt aus dem Boden holt.
Die WestpapuanerInnen brauchen und bemühen sich um die Solidarität jener Menschen im Westen, die begreifen, dass ihre Vorrechte und ihr Reichtum auf dem Leiden von Millionen beruhen. Als die Zeit der Kolonialherrschaft zu Ende ging, gab der afrokaribische Revolutionär und Philosoph Frantz Fanon den folgenden Ratschlag: „Entschließen wir uns, Europa nicht zu imitieren. Spannen wir unsere Muskeln und Gehirne für einen neuen Kurs an.“ Diese Befreiung der Menschheit, schrieb Fanon weiter, „wird nur mit der Hilfe der europäischen Massen gelingen“, doch sie müssen „aufwachen, zu einem neuen Bewusstsein kommen und ihren verantwortungslosen Dornröschenschlaf ein für allemal aufgeben“. 8
Copyright New Internationalist
Connor Woodman ist wissenschaftlicher Mitarbeiter des Projekts „Politics of Papua“ an der University of Warwick (UK).
1) Hyams, K. (2001), Petrol in Papua, The Ecologist, 31(5), S. 52.
2) Vgl. Artikel „Shattered Illusions“ von John Vidal, The Guardian, 19. März 2008
3) Interview mit dem Autor, 8. Februar 2017.
4) Vgl. Artikel „„Preliminary Report: the Case of Ecocide in West Papua“, schloss-post.com, 15. September 2017
5) Naomi Klein, This Changes Everything, Penguin, 2014.
6) Damien Kingsbury, Power Politics and the Indonesian Military, Routledge, 2003.
7) Interview mit Danny Chivers, 31. Jänner 2017.
8) Frantz Fanon, Die Verdammten dieser Erde, Suhrkamp 1966 (franz. Originalausgabe Les Damnés de la Terre, Maspero 1961).
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