Lateinamerikas Medien sind Unternehmen, die möglichst viel Gewinn abwerfen sollen, oder politische Kampforgane. Unabhängiger Journalismus ist rar und gefährlich.
Als die Sandinisten im Juli 1979 in Nicaragua die Diktatur des Somoza-Clans stürzten und ein revolutionäres Regime einrichteten, brach auch für die Medien eine neue Ära an. Novedades, das Hausblatt der Somozas, wurde zu Barricada, dem Parteiorgan der Sandinistischen Befreiungsfront (FSLN). Die bürgerliche Oppositionszeitung La Prensa zerbrach über der Debatte, wie man künftig über den revolutionären Prozess berichten sollte. Da man sich nicht einigen konnte, kam es zur Spaltung. La Prensa mit einer Minderheit der RedakteurInnen blieb oppositionell und El Nuevo Diario entstand als unabhängige, aber prorevolutionäre Tageszeitung. Auch bei den elektronischen Medien fanden die neuen Machthaber verlassene Sender vor, die sie schnell mit ihren Leuten zu besetzen verstanden. Gleichwohl richteten sie im Innenministerium eine „Medienkommission“ ein, deren Funktionäre mit Argusaugen darüber wachten, dass nichts Negatives über die Revolution berichtet wurde.
Wer damals schon in der Solidaritätsbewegung aktiv war, erinnert sich an heftige Diskussionen auch in Frankfurt und Zürich, inwieweit es legitim sei, „konterrevolutionäre“ Medien in die Schranken zu weisen. Noch bevor sich eine militärische Konterrevolution formiert hatte, gingen die Zensoren unter dem Oberbefehl von Innenminister Tomás Borge so kleinkariert vor, dass sich die Redaktion von La Prensa provoziert sah und mit großflächigen weißen Stellen auf die Zensur aufmerksam machte. Auch das wurde ihr bald verboten. Als die von den USA ausgerüsteten „Contras“ zur ernsthaften militärischen Bedrohung wurden und La Prensa zum Propagandaorgan der USA mutierte, durfte sie einige Jahre gar nicht mehr erscheinen.
Wo endet die Pressefreiheit und wo beginnt die Manipulation? Gerade in Lateinamerika sind linke Regierungen besonders sensibilisiert für die manipulative Macht der privaten Medien. Venezuelas polternder Staatschef Hugo Chávez hatte bis zu seinem Krebstod im vergangenen März keine gute Presse: weder zu Hause, noch in den meisten anderen Ländern. Cristina Fernández de Kirchner liegt in einem Dauerclinch mit der in wenigen Händen konzentrierten Presse Argentiniens. Und auch Ecuadors Präsident Rafael Correa ist bereits durch Drohungen gegen RedakteurInnen und Zeitungsherausgeber aufgefallen.
Niemand würde ernsthaft bestreiten, dass eine freie Presse zum Wesensmerkmal einer funktionierenden Demokratie gehört. In Lateinamerika sind Medien aber traditionell entweder Unternehmen, die für ihren Eigentümer möglichst viel Gewinn abwerfen sollen, oder sie funktionieren als politische Kampforgane, die die Welt aus dem Blickwinkel einer bestimmten Partei erklären. Manchmal haben sie von beidem etwas. So ist es kein Zufall, dass Kolumbiens Präsident Juan Manuel Santos einer der bedeutendsten Mediendynastien des Landes entstammt. Violeta Barrios de Chamorro wäre nie Präsidentin von Nicaragua geworden, wenn sie nicht als Witwe des von Somoza ermordeten La-Prensa-Chefs Pedro Joaquín Chamorro ins Rampenlicht gerückt wäre.
Lateinamerikas Linke ist rasch mit dem Verdacht zur Hand, der US-Geheimdienst CIA stecke hinter einer Aktion der politischen Gegner. Der Vorwurf kommt inflationär und oft mit paranoiden Zügen daher. Doch wer sich die leidvolle Geschichte Chiles in Erinnerung ruft, weiß, dass die CIA sich oft der Medien bedient, um missliebige Personen oder Regierungen zu diskreditieren, an den Pranger zu stellen und schließlich zum Abschuss – manchmal im wörtlichen Sinn – freizugeben.
Kaum hatte der sozialistische Präsident Salvador Allende 1970 einen Reformprozess eingeleitet, infiltrierte die CIA die konservative Zeitung El Mercurio, um eine systematische Kampagne gegen die Regierung loszutreten. Der Fall sorgte später sogar für erhitzte Debatten im Geheimdienstausschuss des Kongresses in Washington. Es ging um die Frage, inwieweit die USA direkt den Sturz missliebiger Regierungen betreiben dürfen.
Die Agenten gehen immer nach demselben Muster vor, das der Psychologe Fred Landis in seiner Dissertation „Psychological Warfare and Media Operations in Chile, 1970–1973“ nachzeichnete. Er erkannte 1979 das bei El Mercurio beobachtete Schema beim Daily Gleaner, der gegen die Labour-Regierung von Jamaika in Stellung gebracht wurde, und 1981 bei La Prensa in Nicaragua.
Der erste Schritt, so Landis damals in einem viel beachteten Artikel, sei die Aufnahme des Medienherausgebers in das Direktorium der Interamerikanischen Pressevereinigung (IAPA), die der CIA nahestehe. Kurz darauf klassifiziere die IAPA das betreffende Land als eines, wo die Pressefreiheit bedroht sei. Dann werde die Zeitung auf Boulevard getrimmt und greife immer häufiger Skandalgeschichten auf. Gleichzeitig würde die – meist von linken Gewerkschaften dominierte – Setzerei „gesäubert“. Eine Konstante sei die Positionierung von Politikerfotos neben Bildern von besonders blutigen Verbrechensopfern oder Schlagzeilen über Skandale. Systematisch würden Falschmeldungen lanciert, oft über unverdächtige Agenturen „reingewaschen“.
Auch seriöse Pressevereinigungen scheuen in der Regel davor zurück, Medien als Instrumente politischer Verschwörungen bloßzustellen oder gar zu maßregeln. Und für Regierende, die sich einer Rufmordkampagne ausgesetzt sehen, ist es extrem heikel, gegen Medien vorzugehen, die sich hinter der Pressefreiheit verschanzen. So wurde viel über Einschränkungen der Pressefreiheit in Venezuela berichtet, aber sehr wenig über die Art und Weise, wie die mehrheitlich von der politischen Opposition kontrollierten Zeitungen, Sender und TV-Kanäle Hugo Chávez und seine „bolivarianische Revolution“ unter Dauerfeuer nahmen. Mit Methoden, die hierzulande kein Presserat dulden würde.
Auch die von Cristina Fernández de Kirchner lancierte, aber 2009 von einer breiten Mehrheit im argentinischen Parlament abgesegnete Reform des Mediengesetzes aus der Zeit der Diktatur wurde im Ausland als Angriff auf die Medienfreiheit ausgelegt. Die Präsidentin ist nicht ganz unschuldig an dieser Voreingenommenheit, hat sie doch wiederholt die Verstaatlichung der Medien angedroht und immer wieder sehr wehleidig reagiert, wenn ihr die Berichterstattung nicht passte. Sei es, dass sie Wahlerfolge ihrer Partei nicht gebührend in den Vordergrund gerückt fand oder Berichte über die Vermehrung ihres eigenen Vermögens überhaupt verbieten wollte.
Regierungsmedien, selbst wenn sie sich seriöser Recherche verpflichtet fühlen, genießen generell einen Misstrauensvorschuss. Internationale Medien wirken dagegen seriöser. Deswegen unternahm es Hugo Chávez, mit TeleSur einen Kanal zu schaffen, der einerseits ein Gegengewicht zu den großen Networks der USA darstellen sollte, andererseits antrat, die gemeinsame Identität der lateinamerikanischen Staaten zu stärken. Venezuela hält zwar mit 51% eine Mehrheit an den Aktien, Argentinien und Uruguay sind aber mit starken Minderheitenanteilen beteiligt. Und im Beirat sitzen so renommierte Intellektuelle wie Uruguays Autor Eduardo Galeano und Argentiniens Friedensnobelpreisträger Adolfo Pérez Esquivel, Nicaraguas Dichter Ernesto Cardenal und der pakistanische Filmemacher und Historiker Tariq Ali. Vorbild ist der arabische Kanal Al Jazeera, der Bilder und Themen aus dem arabischen Raum auch auf westliche Fernsehschirme brachte.
Leider hat sich auch TeleSur nicht jene Unabhängigkeit erarbeitet, die die venezolanischen Petrodollars vielleicht ermöglicht hätten. Der Kanal setzt zwar den aus dem Blickwinkel Washingtons gedrehten Berichten der großen Networks eine lateinamerikanische Sicht entgegen, macht sich aber nicht von der von Caracas vorgegebenen „bolivarianischen“ Perspektive frei. Und auch über die unappetitlicheren politischen Verbündeten wird nur Gutes verbreitet. So wurde etwa über die Massenproteste gegen den offensichtlichen Wahlbetrug der iranischen Mullahs 2009 als von ausländischen Feinden der iranischen Revolution geschürte Revolte berichtet. Und auch im Syrienkonflikt stellte sich TeleSur hinter das repressive Regime.
Wirklich unabhängiger Journalismus bleibt in Lateinamerika schwierig und gefährlich. Man darf nicht vergessen, dass die meisten Presseleute unterbezahlt sind und für heikle Recherchen selten die Rückendeckung ihrer Chefs haben. Trotzdem gibt es genug mutige Journalistinnen und Journalisten, die ihre Arbeit nicht einfach als Job, sondern als Mission betrachten, die allerdings mit hohen Risken verbunden ist. Davon zeugen die Gräber der Presseleute, die in Mexiko den Drahtziehern und politischen Verbindungsleuten der Drogenmafia nachspürten, in Honduras Landraub und kriminelle Machenschaften der Putschisten aufzeigten oder in Kolumbien ins Visier der rechten Paramilitärs gerieten.
Ralf Leonhard ist regelmäßiger Mitarbeiter des Südwind Magazins. Er war 1982 bis 1996 Korrespondent in Zentralamerika.
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