Transport ist in der Sahara auch heute ein wichtiger Wirtschaftszweig. LKW und Pick-Ups haben das Kamel weitgehend abgelöst. Die Grenzen zwischen Handel, Schmuggel, Personenverkehr oder gar Schlepperei sind unscharf.
„Aufsteigen, aufsteigen!“ ruft Litnin und schlichtet die 32 Passagiere auf der Ladefläche seines Toyota-Pick-Ups. Es sind ausschließlich junge Männer, jeder mit einem Zwanzig-Liter-Wasserkanister, die sich zwischen Gepäckstücken und zwei Fässern Treibstoff drängen. An diesem Tag kommen die meisten aus dem Süden Nigers und wollen nach Algerien oder Libyen, um Arbeit zu finden. Doch auch Männer aus Ghana, aus Nigeria, aus Gambia und Senegal sind dabei, manchmal auch Frauen. Sie durchqueren die Sahara mit dem Ziel, Europa zu erreichen.
Die Tuareg konnten in den letzten Jahren einen transnationalen Handelsraum in der zentralen Sahara errichten, in dem die Grenzen zwischen legaler und (von Behörden geduldeter) illegaler Aktivität verschwimmen. Sie transportieren Waren und Menschen durch die Sahara. Von Algerien (und früher Libyen) werden Grundnahrungsmittel wie Öl, Milchpulver oder Tomatenmark und Treibstoff nach Niger und Mali gebracht, im Gegenzug kommen MigrantInnen aus Westafrika in den Norden.
Litnin, der junge Targi, also ein männlicher Tuareg, weiß um die Gefährlichkeit der Strecke zwischen Arlit (Niger) und Djanet (Algerien). Deswegen fährt er – wie alle – im Konvoi von zwei bis drei Fahrzeugen. Immer wieder haben Toyotas Pannen und Passagiere drohen zu verdursten. Auch Litnin hat schon Leichen am Weg gefunden.
„Ich war kurz vor der libyschen Grenze und bin über einen vertrockneten Körper gestolpert. Eine Hand und ein halber Fuß haben gefehlt. Das waren die Schakale. Die Sahara ist gefährlich! Aber wir haben keine Alternativen! Hier gibt es keine Arbeit.“
250 Kilometer südlich geht es ähnlich zu, nur dass hier mehr als 100 Passagiere auf einen LKW geladen werden. Transa heißt diese Strecke, die von Agadez über Dirkou nach Libyen führt. Jeden Montag versammeln sich die Fahrzeuge an der barrière, dem Militärposten in Agadez. Die Fahrer müssen pro Kopf und Ladung einen bestimmten Preis an Kommissariat und Militär bezahlen und schon wird aus dem illegalen Geschäft ein legaler Transport.
Die Strecke ist seit dem Libyen-Krieg heiß umkämpft. Zwischen Tubu und Tuareg, den zentralen Akteuren im Geschäft mit der Grenze, ist ein Konkurrenzkampf ausgebrochen, der von Banditen und Alkohol- und Kokainschmugglern geschürt wurde. Deshalb gibt es für die Transporte seit 2012 den combat, die offizielle Militärbegleitung.
Alrabid arbeitet als kamosho. Er kümmert sich um die Beladung des LKW. Jeden Abend wartet er an der Bushaltestelle auf die Ankunft des Rimbo Transporteur Voyageur, der bekanntesten nigrischen Buslinie, aus Niamey, um potenzielle Passagiere nach Libyen anzuwerben. Viele der Weiterreisenden werden schon von Schleppern aus ihren Herkunftsländern abgefangen, bis an die libysche Küste und weiter nach Lampedusa „gehandelt“. Von diesen Methoden nimmt Alrabid Abstand. „Die betrügen ihre Leute oft, verlangen unmögliche Preise und lassen sie dann in Dirkou sitzen, wo sie weder vor noch zurück können. Meine Passagiere bezahlen einen fixen Preis und werden bis Gatrun oder Sebha gefahren. Dort müssen sie selber schauen, wie sie weiterkommen.“
Die Grenzen zwischen Personentransport und Schlepperei sind fließend. Nach einem Vorfall im Herbst 2013 hat das Thema Migration aus der Sahara einen neuen Höhepunkt erreicht. Ein Konvoi hatte in der nigrischen Sahara unweit der algerischen Grenze eine Panne, und fast alle Passagiere kamen ums Leben – darunter viele Kinder, die von südnigrischen Hausa-Marabouts (Religionsgelehrten) nach Algerien geschleust werden sollten, um dort um Almosen zu betteln.
Auch wenn viele der trans-saharischen Passagiere in Afrika verbleiben und sich auf die Maghrebstaaten verteilen, so stellen potenzielle EU-MigrantInnen einen wesentlich größeren Teil dar. Sie durchqueren die Sahara mit dem Ziel, die libysche oder tunesische Küste zu erreichen, um dann über das Mittelmeer nach Lampedusa zu gelangen. Während NGOs die katastrophalen Zustände in den Auffanglagern anprangern, betreibt die EU eine einseitige Politik und unterstützt europäische und afrikanische Staaten lediglich in der verstärkten Sicherung ihrer Grenzen. Aber niemand nimmt eine so beschwerliche und gefährliche Flucht auf sich, wenn das Leben im Herkunftsland wenigstens die kleinste Chance auf eine positive Zukunft verspricht.
Ines Kohl ist Forscherin am Institut für Sozialanthropologie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften.
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