Als ich in Santiagos „Teatro Caupolicán“ kürzlich, eingezwängt zwischen begeisterten ChilenInnen, das 40-jährige Jubiläum der Folkloregruppe „Illapu“ miterlebte, glaubte ich mich auf einer Zeitreise. Poster von Salvador Allende und Che Guevara erinnerten an die Ära, als Gruppen wie Illapu oder Inti-Illimani vom einigen Volk sangen, das niemals besiegt werden könne. Nach dem Putsch des Jahres 1973 von Pinochet ins Exil gejagt, feierten die MusikerInnen und deren Fans jetzt, dass sie und ihre Ideale den 2006 gestorbenen Diktator überlebt haben. Dazu schwenkten sie Wiphalas, das aus Quadraten in den Farben des Regenbogens bestehende Symbol für das erstarkte Selbstbewusstsein der Indigenen Amerikas.
Und dann gab es da noch ein Accessoire: Smartphones. Die ZuschauerInnen fotografierten die MusikerInnen und einander, luden die Fotos im Internet hoch. Junge ChilenInnen, so stellte ich bald fest, sind total handyverrückt. Sie telefonieren auch in übervollen U-Bahn-Waggons und lagern en masse in den Gratis-WLAN-Zonen der Stationen.
Die „Generation App“ vereinbart Treffen bei politischen Diskussionen, im Kino oder in Tanzlokalen. Auch spontane Demos gegen hohe Studiengebühren, die die Polizei immer wieder überraschen, werden via Twitter und Facebook koordiniert.
Als die Studentin María Paz Palacios den Alltag obdachloser Jugendlicher untersuchte, fand sie heraus, dass auch viele von ihnen ein Facebook-Konto haben, das sie in billigen Internet-Cafés aktualisieren – allerdings nicht, um auf ihre Lage aufmerksam zu machen. Fotos zeigen sie in Kleidung bekannter Marken oder deren Kopien, über ihre Obdachlosigkeit verlieren sie kein Wort.
Erhard Stackl
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