Plädoyer fürs Spätaufstehen
Nach einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts IMAS kriechen die Österreicher, ungeachtet ihres Geschlechts, um sechs nach sechs aus dem Bett. Ich nehme an, die Befragten haben ein wenig gemogelt, oder unter ihnen waren überdurchschnittlich viele mit Bluthochdruck, aber auch so ist das Ergebnis niederschmetternd. Es verrät nämlich die Neigung meiner Landsleute, die unangenehmen Seiten ihrer Existenz möglichst schnell hinter sich zu bringen, und dazu gehört für sie Arbeit und alles, was mit ihr zusammenhängt. Die Einführung der Gleitzeit etwa hat dazu geführt, dass die meisten zum frühestmöglichen Termin ihr Tagewerk beginnen, auf dass sie schon ab drei der Freiheit des Eigenheims und der Langeweile teilhaftig werden. Diese Vorliebe, die dem Geschwätz vom zunehmend urbanen Lebensstil widerspricht (was auch das einzig Sympathische an ihr ist), erweist sich als relativ hartnäckig. Ich erinnere mich an meine Zeit als Lehrer an einer Schule, in der der Unterricht um zwanzig vor acht begann – einen Gutteil des Jahres starrte also die Finsternis durch die Fenster auf schlaftrunkene Schüler und übelgelaunte Lehrpersonen. Aber die Aussicht, schon knapp nach ein Uhr mittags das Schulhaus verlassen zu dürfen, bewog beide Menschengruppen, den spätnächtlichen Arbeitsbeginn als Zuwachs an Zivilisation vehement zu verteidigen.
Das erinnert mich an ein Gedicht des Schriftstellers Rainer Kirsch, der den Tagesablauf britischer und französischer Pensionisten dem des typisch deutschen (und leider muss ich ergänzen: auch des österreichischen) Rentners gegenübergestellt hat. Der Engländer steht gegen neun auf, trinkt seinen Tee, frühstückt Ham and eggs, geht mit dem Hund spazieren, liest Zeitung, holt sich um elf sein erstes Pint Bier im Pub. Der Franzose ist eine halbe Stunde später dran, beißt im Café um die Ecke in ein Croissant, nimmt einen Aperitif. Beim Deutschen, oder Österreicher, schrillt Punkt 5.30 der Wecker, er fährt aus den Federn, rennt in die Küche, haut sein Jausenbrot in die Aktentasche und stürzt aus dem Haus. Das Gedicht stammt aus den sechziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts, es beschreibt unsere Gegenwart.
Was wunder, dass ich mich solchen Aufstehpraktiken vorsichtig entziehe und, für die nächste Zeit, andere Gefilde ansteuere. „Der Dürfer“ darf auch das.
Anmerkung der Redaktion:
Mit dieser Ausgabe endet Erich Hackls „Dürfer“-Kolumne. Wir danken ihm herzlich für seine Mitarbeit. Mit dem nächsten Jahr kommt wahrscheinlich – eine Dürferin …