Als Widerstand gegen die Bilder von einer weißen Zukunft sieht Jacque Njeri, Künstlerin und Aktivistin in Kenia, ihre afrofuturistischen Collagen an.
Sie verbinden die traditionelle Lebensweise der Massai mit einer Expedition im Weltraum. Was hat das eine mit dem anderen zu tun?
Solche Darstellungen haben die meisten Menschen auf der Welt noch nie gesehen: In bunte Decken eingehüllte Menschen, Massai, die mit bemalten Schilden und Speeren den Weltraum durchqueren. Schwarze Forscher:innen und Entdecker:innen kommen in der medialen Berichterstattung kaum vor. Auch nicht in Fantasy-Erzählungen. Das muss sich ändern. In meiner Kunst mache ich das: Die Bilderserie MaaSci ist eine Kombination aus Massai und Science-Fiction. Die Massai sind ein Repräsentant des Bildes von Afrika. Ich wollte sie in eine Umgebung versetzen, die für die Fortschritte in Wissenschaft, Technik und Raumfahrt steht. Ich habe meine afrikanische Kultur, auf die ich sehr stolz bin, mit Themen der Raumfahrt verbunden.
Wird Ihre Kunst in Afrika anders wahrgenommen als in anderen Teilen der Welt?
Das Publikum ist sehr unterschiedlich, daher ist es die Rezeption genauso. Ein Beispiel: Ich bin zu den Massai gegangen, um meine Bildserie herzuzeigen. Die Reaktion war: Wow! Sie liebten und schätzten meine Werke sehr. Und das war für mich die Krönung meiner Arbeit. Auch im Rest von Afrika und in Europa kommt meine Kunst an. Sie wird als Vorstoß für den Afrofuturismus verstanden – und das ist sie. Von einem Studenten in Frankreich wurde ich zum Beispiel gefragt: Wie können arme Leute ins All fliegen? Menschen in Europa sind darauf konditioniert zu denken, dass Afrikaner:innen arm sind. Aber es passieren auch viele schöne Dinge, etwa, wenn jemand ein Kunstwerk von mir kauft, weil er sich selbst in diesem gesehen hat. Dafür bin ich dankbar.
Apropos Afrofuturismus. Welche Rolle spielen afrofuturistische Motive in Ihrer Arbeit?
Eine große! Afrofuturismus fordert unsere Identität zurück und stellt unsere Geschichten, Wünsche und Möglichkeiten durch Science-Fiction und Fantasy in den Mittelpunkt. Afrofuturismus verwandelt uns in stolze Wesen, die die systemischen Hindernisse überwinden, die durch die weiße Vorherrschaft errichtet wurden. Damit interpretieren wir nicht nur ein Genre neu, wir interpretieren uns selbst neu.
Für mich ist Afrofuturismus zudem eine Ermutigung mich in neue Technologien zu vertiefen. Ich will mehr Menschen zu dieser neuen Art des Denkens inspirieren: Sich selbst als Schwarzer Mensch als interessantes Subjekt wahrzunehmen und zu erforschen. Afrofuturismus ist für mich eine Plattform, um mit den Menschen zu kommunizieren und sie frühzeitig zu inspirieren.
Black to the Future
Von Weltraumreisen und Superheld:innen über futuristische Musik bis hin zu Utopien über eine Gesellschaft ohne Repression und Rassismus: Afrofuturismus ist ein Sammelbegriff für eine popkulturelle Strömung in Film, Literatur, Kunst und Musik, die Elemente aus Science Fiction mit magischem Realismus kombiniert. Der Begriff wurde 1994 vom US-amerikanischen Kulturkritiker Mark Dery in seinem Essay „Black to the Future“ erstmals verwendet. Darin fragt er u. a., „warum die elitäre, weiße, mit den großen Firmen kuschelnde Technologiekultur keinen Raum für Frauen und People of Color bereitstellt“.
Wie würde die Welt heute aussehen, wenn eine Frau aus Kenia den ersten Schritt auf den Mond gemacht hätte?
Das hätte eine ganze Generation von Raumfahrerinnen und Wissenschaftlerinnen inspiriert – in Afrika und dem Rest der Welt. Es würde Frauen mehr dazu motivieren, sich mit Wissenschaft und Technik zu beschäftigen. Und sie würden besser bezahlt werden. Es wären vielleicht nicht so viele Frauen in den Sozial- und Kulturwissenschaften zu finden, sondern auch in den Naturwissenschaften. Um in einer solchen Mission erfolgreich zu sein, braucht man Führungsqualitäten. Es würde also den Blick auf Frauen ändern.
Ist es das, was Sie auch durch Ihre Bilder ausdrücken wollen?
Ja, das ist der Kern der Bilderserie. Neben Empowerment, aber vor allem Schönheit. Es geht darum, uns die Schönheit zurückzuholen, die uns genommen wurde. Wir benötigen sie genauso dringend wie die Macht und unsere kulturelle Selbstbestimmung. Wir erzählen unsere eigenen Geschichten – und aus diesem Gefühl der Ermächtigung können wir uns wieder verwurzeln.
Worauf konzentrieren Sie sich, wenn Sie eine Veränderung in den Köpfen der Menschen bewirken wollen?
Ich versuche, mich auf die Lebensrealität der Menschen in Kenia zu konzentrieren, weil sie dann in der Lage sind, das Kunstwerk mit dem, was um sie herum geschieht, in Beziehung zu setzen – und zu übersetzen.
Im UN-Weltraumvertrag von 1967 wird der Weltraum als „gemeinsames Erbe der Menschheit“ bezeichnet. Gegenwärtig konkurrieren aber immer mehr staatliche und private Akteur:innen um Zugang zu den dortigen Ressourcen.
Ich weiß nicht, wie dieses Wettrennen im Weltraum ausgehen mag. Doch die Zivilisation hat hier in Afrika begonnen und auch alle damit verbundene Fortschritte. Es gibt also keinen Grund, warum wir Afrikaner:innen zurückbleiben sollten. Ich möchte zurück in die Geschichte blicken: Der Homo sapiens, der moderne Mensch, schuf vor etwa 90.000 bis 60.000 Jahren in Süd- und Ostafrika Knochenwerkzeuge und Rückenklingen, die charakteristisch für die Werkzeugindustrie der jüngeren Steinzeit wurden. Das älteste bekannte mathematische Artefakt stammt aus dem südlichen Afrika: der Lebombo-Knochen, ein 37.000 Jahre alter Zählstab mit Zählkerben, die in das Wadenbein eines Pavians geritzt wurden, quasi ein Mondphasenzähler. Oder der Ishango-Knochen, der 22.000 Jahre alt ist und als älteste Primzahlentabelle gilt. Er stammt aus der Demokratischen Republik Kongo und befindet sich heute im 19. Stock des Königlichen Instituts für Naturwissenschaften in Brüssel.
Zur Erinnerung: Die Universität Sankoré Madrasa, aus dem 16. Jahrhundert, ist eines von drei alten Bildungszentren in Timbuktu, Mali. Sie konnte 25.000 Studierende aufnehmen und beherbergt eine der größten Bibliotheken der Welt mit 400.000 bis 700.000 Manuskripten. Von dort stammen mathematische und astronomische Handschriften aus dem 13. Jahrhundert. Ohne Teleskope und Technologie wurde hier der Himmel beobachtet und berechnet.
Die Kolonialisierung hat verhindert, dass wir unsere Wissenschaft auf unsere eigene Art und Weise vorantreiben konnten.
Interview und Übersetzung: Christine Tragler
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