Südwind: Sie haben sehr persönliche Bücher geschrieben, in denen sie auch sinnlose Traditionen ihrer Heimat anprangern. Wie haben die Leute in Somalia auf Ihre Bücher reagiert?
Waris Dirie: Zuerst hat niemand etwas gesagt. Sie haben einfach alle zugemacht. Ich wurde nervös. Sind sie für oder gegen mich? Andererseits habe ich mir auch keine Sorgen gemacht. Ich weiß, dass ich recht habe, wenn ich die Sinnlosigkeit der weiblichen Genitalverstümmelung (FGM) anspreche. Es ist mir egal, wenn jemand etwas dagegen sagt. Doch in den letzten Jahren habe ich immer mehr Unterstützung erfahren von Somalis in der ganzen Welt.
Auch von Männern?Von sehr vielen Männern. Ich dachte niemals, dass mich Männer bei einem so heiklen Thema wie weiblicher Genitalverstümmelung unterstützen würden. Natürlich sagen viele, sie sind stolz auf mich, weil ich ein Supermodel bin. Aber niemals in Bezug auf meine Arbeit gegen FGM. Mir wurde bewusst, dass die Männer keine Ahnung von FGM hatten und welche psychischen und physischen Folgen das für die Frau hat. Sie wissen nur, dass jede Frau in ihrem Land verstümmelt ist. Und ihre Mütter erzählen ihnen, dass nur eine verstümmelte Frau rein ist, alles andere geht nicht. Doch jetzt wissen sie es und reden darüber. Ich kann mich an einen somalischen Mann erinnern, der mir gesagt hat, dass er nie wieder eine verstümmelte Frau sehen will. Es ist das Schrecklichste, was er kennt. Es zerstört jede Freude. Doch dieses Ritual wird auch weiterhin für Männer gemacht.
Vor elf Jahren wäre das noch unmöglich gewesen. Die Frauen haben sich versteckt und mit Männern konnte man darüber nicht reden. Ich habe einen verdeckten Krieg geführt. Und jetzt weiß jeder davon. Das war mein härtester Job: Die Welt zu informieren. Eine einsame und harte Aufgabe, doch ich konnte nicht aufhören. Wenn ich nicht darüber geredet hätte, wäre wieder Stille eingetreten.
Als Mädchen wurden Sie selbst diesem Ritual unterzogen. Wie ist das Verhältnis zu Ihrer Familie jetzt?Für lange Zeit wusste sie nicht, wo ich war oder was ich tat. Ich hätte nie gedacht, dass meine Mutter eines Tages meinen Kampf gegen FGM verstehen würde. Sie hat mit mir gestritten, dass eine gute Frau immer „gemacht“ gehört. Ich habe geweint und sie angeschrien: „Wofür Mama? Du weißt ja gar nicht, was du da redest. Bringt dir das Ehre und Respekt? Nein, es bringt nur Leid und Traurigkeit.“ Sie hat jahrelang nicht mit mir gesprochen. Jetzt ist sie stolz auf mich.
Was sind Ihre nächsten Schritte?Ich habe alles getan, was ich konnte. Ich muss wieder ein anderes Leben führen. Ich kann nicht herumrennen und Jahr für Jahr dasselbe sagen. Jetzt sind die Politikerinnen und Politiker dran. Doch die schieben es zur Seite und sagen, dieses Problem gibt es gar nicht. Ihr, die Bevölkerung, müsst Druck auf die Politik ausüben. Redet mit euren Freundinnen und Freunden, gebt ihnen meine Bücher. Nicht wegen mir, sondern weil sie etwas erfahren werden, wovon sie niemals im Leben sonst gehört hätten. Geht in Schulen, redet über FGM. Ich bin mir sicher, sie werden sich bei euch dafür bedanken.
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