Hürdenlauf fürs Happy End

Von Marina Wetzlmaier · · 2021/Sep-Okt
Eine der ersten Demos von Ehe ohne Grenzen-Aktivist*innen, 2007 in Wien. Es sollte nicht die letzte sein. © Verein Ehe ohne Grenzen

Während die Liebe binationaler Paare Grenzen überwindet, schafft die Gesetzeslage viele Hindernisse. Seit 15 Jahren kämpft die Initiative Ehe ohne Grenzen für gleiche Rechte.

Zuerst dachte Margarete Gibba, sie sei im falschen Film gelandet. Sie blickt auf die Zeit zurück, als sie das erste Mal mit dem österreichischen Fremdenrechtsgesetz in Kontakt kam, das binationale Paare massiv benachteiligt: „Man braucht die Unterstützung von Gleichgesinnten.“

Heute ist Gibba Obfrau des Vereines Ehe ohne Grenzen (EOG). 2006 gründeten Betroffene die Initiative, um einerseits gegen das Fremdenrecht zu protestieren und andererseits binationale Paare zu unterstützen. Die Berater*innen bei EOG wissen aus eigener Erfahrung, wie es ist, darum bangen zu müssen, ob die Partnerin oder der Partner in Österreich bleiben darf oder ob die Familie für unbestimmte Zeit auseinandergerissen wird. Aus Betroffenen wurden Expert*innen, die ihr Wissen weitergeben.

„Der Staat stellt sich gegen Österreicher*innen, die in der Partner*innenwahl global und interkulturell leben“, heißt es in einer Stellungnahme des Vereins. Kommt ein*e Partner*in aus einem Nicht-EU-Land, also einem Drittstaat, müssen sich die Paare mehrfach anstrengen, viele Hindernisse in Kauf nehmen, um gemeinsam in Österreich leben zu können. Zurückzuführen ist das auf eine Novelle des Fremdenrechts im Jahr 2006. „Österreich hat ein sehr restriktives Zuwanderungssystem“, erläutert Anwältin Julia Ecker, die Menschen in aufenthaltsrechtlichen Verfahren berät und vertritt. „Für manche Menschen ist es schwerer geworden, ein Aufenthaltsrecht zu bekommen“, so Ecker. „Die Verschärfungen haben auch unsere Arbeit schwieriger gemacht.“

Zunehmende Anfragen. Mit der Kampagne „Liebe ohne Grenzen“ begeht EOG heuer sein 15-jähriges Jubiläum. Es gibt viel zu tun: Etwa 1.500 Beratungen fanden im Jahr 2020 statt, coronabedingt meist über E-Mail, Skype oder telefonisch.

Die Situationen der Betroffenen sind unterschiedlich. Oft lernen Österreicher*innen ihre Partner*innen im Ausland kennen, manchmal leben bereits beide hier.

Ist der Entschluss zu heiraten da, brauchen sie in beiden Fällen vor allem Zeit, Ressourcen und Beharrlichkeit, um mindestens zwei große Hürden zu nehmen: der Nachweis einer bestimmten Einkommenshöhe und von Deutschkenntnissen. „Um die Partnerin oder den Partner nachzuholen, muss man fast 2.000 Euro netto verdienen“, erklärt Gibba.

15 Jahre Einsatz für Betroffene 

Als Reaktion auf Fremdenrechts-Verschärfungen im Jahr 2006 gründeten leidtragende Ehepaare die Initiative Ehe ohne Grenzen. Seither setzt sich EOG für die Rechte binationaler Paare und Familien ein: mit Protestaktionen, Vernetzung und Informationsarbeit.  Betroffene können sich an EOG wenden und kostenlose Beratungen in Anspruch nehmen. Diese werden von Ehrenamtlichen durchgeführt. EOG lebt ausschließlich von Spenden. Jede finanzielle Unterstützung ist willkommen.   M. W.  

Mehr Infos: ehe-ohne-grenzen.at

Hat man Kinder, erhöht sich der Betrag noch einmal. Laut EOG diskriminiert das Fremdenrecht damit vor allem Frauen, die im Durchschnitt weniger verdienen. Und solange die „ausländischen“ Partner*innen keine Aufenthaltserlaubnis haben, dürfen sie auch nicht in Österreich arbeiten, um etwas dazuzuverdienen.

Im Gegenteil: Die Entscheidung über den Aufenthalt muss im Herkunftsland abgewartet werden.

Hinzu kommt, dass vor der Reise nach Österreich noch eine Deutschprüfung auf Niveau A1 abgelegt werden muss. Auch das ist nicht immer möglich, denn in vielen Ländern gibt es keine Institute, wo man die Prüfung ablegen kann.

Unsicherheit, Angst und Kosten. Das österreichische Fremdenrecht geht zulasten vieler binationaler Paare. © Verein Ehe ohne Grenzen

Kinder leiden. EOG betont, dass auch die Kinder der Paare unter dem Fremdenrecht leiden. In einer Stellungnahme an die im Februar 2021 im Justizministerium eingerichtete Kindeswohlkommission forderte der Verein daher die Beachtung der Kinderrechtskonvention im Fremdenrecht. Dass es Kinder aus der Bahn wirft, wenn Elternteile abgeschoben werden oder kein Aufenthaltsrecht erhalten, werde kaum berücksichtigt.

Die Initiative weist daraufhin, dass davon auch Kinder mit österreichischer Staatsbürgerschaft betroffen sind, denen ihr Recht auf beide Elternteile verwehrt wird. „Das ist eine gravierende Menschenrechtsverletzung, die wir immer wieder anprangern“, so Gibba. Wie sehr Kinder das Fremdenrecht als Bedrohung wahrnehmen können, zeigt ein Beispiel eines Vorstandsmitglieds von EOG: „Mein Sohn, sieben Jahre, hat gemeint, wir sollen Spiderman zu Hilfe rufen gegen die Fremdenpolizei!“

Aus diesem Grund unterstützt der Verein Kampagnen, die Sicherheit für drittstaatsangehörige Kinder fordern. Etwa die aktuelle Petition zur Einbürgerung in Österreich geborener Kinder, die die Organisation SOS Mitmensch ins Leben gerufen hat.

In ihrem Bericht vom 13. Juli bestätigt auch die Kindeswohlkommission, dass im österreichischen Asyl- und Fremdenrecht der Schutz von Kinderrechten nicht ausreichend gesichert ist. Alle Entscheidungen, die Kinder betreffen, sollen auf deren Interessen, also das Kindeswohl, geprüft werden, lautet eine der Empfehlungen. Zusätzlich soll es ein Monitoring in der gesamten Gesetzgebung geben.

Liebe macht keine Ferien 

Unverheiratete Paare aller Art kamen seit März 2020 auch aufgrund der pandemiebedingten  Reiserestriktionen und zeitweisen Schließungen von Konsulaten zum Handkuss. Unter dem Hashtag  #LoveIsNotTourism fanden sich tausende getrennte Paare auf verschiedenen Social Media-Kanälen zusammen, um ihre Geschichten publik zu machen, sich gegenseitig über die sich laufend ändernden Bestimmungen zu informieren und Druck auf die Politik für die Gleichstellung mit verheirateten Paaren zu machen.   

Die Einreisebestimmungen für unverheiratete Partner*innen nach Österreich aus Drittstaaten wurden schließlich an die für verheiratete angeglichen – mit Vorlage von Belegen (u.a. Passkopie der Partnerin/ des Partners), die eine „fixe Beziehung“ nachweisen (Stand Juli 2021).   red/cs  

Infos dazu gibt es unter:  loveisnottourism.org/austria

Ständige Unsicherheit. Auch wenn der Erstantrag geschafft und die Familie in Österreich vereint ist, wiederholt sich das Zittern ein Jahr später: wenn die Aufenthaltskarte verlängert werden muss. Vor allem der Nachweis eines bestimmten Einkommens kann zum Problem werden. „Wenn ein Elternteil arbeitslos wird, schwebt ständig das Damoklesschwert über der Familie, dass das Visum nicht verlängert wird“, betont Gibba.

Kritik übt EOG auch an den Behörden, die bei aufenthaltsrechtlichen Fragen gesetzliche Spielräume nicht nutzen würden, sondern „im Zweifelsfall gegen die Menschen“ entscheiden. Ebenso seien diese wenig auskunftsfreudig, was wohl auch an der komplexen Materie liege. Wenn es für Beamt*innen schon schwierig sei durchzublicken, dann erst recht für die Paare, so Gibba.

„Wir haben viel im Internet nachgelesen“, berichtet Alexandra Lacherstorfer. „Es hat uns niemand Steine in den Weg gelegt, aber wir hatten das Gefühl, dass sich keiner auskennt oder für uns einsetzt.“

Durchs Bürokratie-Labyrinth. Lacherstorfer und Zmarai Popal gehören zu jenen Paaren, die es trotz Widrigkeiten geschafft haben. Im Juli feierten sie ihre Hochzeit vor der Kulisse des Traunsees in Oberösterreich, im berühmten Schloss Orth.

Popal war bereits in Österreich, als sich die beiden kennenlernten. Beide arbeiteten in der Flüchtlingsbetreuung. Er war selbst als Jugendlicher aus Afghanistan geflüchtet und hatte mittlerweile eine Aufenthaltserlaubnis. Die Dokumente für die Hochzeit zu besorgen, stellte sich dennoch als langwierig heraus: Popals Familie schickte ihm die Geburtsurkunde und andere Unterlagen aus Afghanistan, alles musste auf Deutsch übersetzt und durch das Außenministerium beglaubigt werden. Unklar war zunächst, ob auch ein Stempel von der österreichischen Botschaft notwendig ist. In Kabul gibt es nämlich keine, Popals Familie hätte dafür extra nach Pakistan fahren müssen.

Erst über einen Freund erfuhr das Paar, dass darauf verzichtet werden könnte. „Hätten wir uns nicht selbst erkundigt, hätte es wohl geheißen, wir können nicht heiraten“, sagt Lacherstorfer.

Jahrelanger Kampf. Auf der Webseite von EOG finden sich viele Berichte von binationalen Paaren, die von den Härten des Fremdenrechts getroffen wurden. Sie wollen ihre Geschichten teilen, einige aber nicht ihre Namen veröffentlicht wissen: „Es war eine Zeit voller Hoffen und Bangen“, schreibt M., deren Mann aus Nigeria kommt und sich noch im Asylverfahren befand, als sie sich kennenlernten.

Es kostete viel Zeit und „viele Tausend Euro“, um die Dokumente für die Hochzeit zu besorgen. Als das Paar ein Baby erwartete, war über den Asylantrag noch immer nicht entschieden. Bei der Ladung zum Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wurden sie angeschrien. „Wir wurden der Scheinehe beschuldigt und ich musste mich verteidigen, als wäre ich eine Verbrecherin. Ich stellte mich bereits mental darauf ein, in Nigeria leben zu müssen“, erzählt M.

Nach dem ersten negativen Bescheid entschied schließlich das Gericht positiv für das Paar: Der Partner darf „vorerst“ in Österreich bleiben. Ein Erfolg nach einem jahrelangen Kampf.

Fortschritte wie diese motivieren die Aktivist*innen von EOG, weiterzumachen. Zum Jubiläum sagt Gibba: „Selbstorganisation und Widerstand müssen gefeiert werden.“ So fordern sie weiterhin eine Änderung des Fremdengesetzes, damit grenzenlose Liebe leichter möglich wird.

Marina Wetzlmaier ist freie Journalistin und lebt in Wels/Oberösterreich.

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