Hüftschwung-Fieber und Erotik-Sehnsucht

Von Redaktion · · 2000/07

Der Boom lateinamerikanischer Musik schlägt sich auch in einer gesteigerten Buchproduktion nieder. Eine kleine Auswahl.

Thomas Mießgang:

Der Gesang der Sehnsucht.

Die Geschichte des Buena Vista Social Club und der kubanischen Musik. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2000, 223 Seiten, öS 138,-

Der ORF-Redakteur und Journalist Mießgang beschäftigt sich seit Jahren mit der kubanischen Musik und der wohl überraschendsten Erfolgsstory der jüngeren Musikgeschichte, die der Buena Vista Social Club ausgelöst hat. Er zeichnet in lockerer, leicht lesbarer Form die kubanische Musikgeschichte dieses Jahrhunderts nach, wobei die einzelnen Musik- und Stilrichtungen jeweils an konkreten Personen aufgehängt sind: Omara Portuondo steht für die Kultivierung des Gefühls und die Filin-Bewegung (von Feeling), Compay Segundo für den Son aus Santiago, Ibrahim Ferrer für den Bolero usw.

Der Autor schöpft nicht nur aus einem tiefen Wissen über die Musik der Antilleninsel, sondern baut das Buch auch auf seinen persönlichen Begegnungen mit den heute weltbekannten Stars des „Club“ auf. Dadurch kann man gleichsam in den Alltag der von Ry Cooder, Juan de Marcos González u.a. aus der Vergessenheit entrissenen Veteranen eintauchen, erlebt sie in ihrem Haus, im Kreis der Familie, bei Aufnahmen im Tonstudio usw.

Mießgang bleibt aber nicht bei diesen Schilderungen stehen, sondern geht zurück in ihre Jugend, zu ihren musikalischen Anfängen und Wurzeln, so dass ein ganzes Jahrhundert vor uns lebendig wird.

Sehr nützlich im Anhang ein ausführlicher Glossar zur kubanischen Musik und eine Diskographie von 100 Tonträgern mit Kurzbesprechungen, ein „kleines Brevier für Einsteiger“, wie es der Autor nennt.

WeH

Wim und Donata Wenders: Buena Vista Social Club.

Das Buch zum Film. Fotografien, Filmstills, Texte. Verlag Schirmer/Mosel, München 1999, 132 Seiten, 141 Farbfotos, öS 291,-

Der Musikfilm von Wim Wenders hat zum Weltruhm der alten Herren des Buena Vista Social Club – mit der einzigen Frau Omara Portuondo – noch ein Schärflein beigetragen. Die Geschichte dieses Films, die Dreharbeiten, Filmszenen, die Atmosphäre von Alt-Havanna, die Konzerte in Amsterdam und New York sind, fast könnte es nicht anders sein, nun auch in Buchform zu sehen. (Die Farbfotos von Wim, die Schwarz-weiß-Portraitfotos von seiner Frau Donata Wenders.) Zu lesen sind autobiographische Berichte von Compay Segundo, Ibrahim Ferrer & Co., die berühmtesten Lieder im spanischen Original mit deutscher Übersetzung, ein Interview mit Ry Cooder, ein Vorwort von Wim Wenders selbst. Darin zeigt sich der deutsche Filmemacher begeistert von seiner Kuba-Erfahrung: „Jeder, dem man begegnete, schaute einem offen ins Gesicht. Kaum je ein finsterer Blick, nie ein neidischer oder missgünstiger. Vielmehr von morgens bis abends heitere Augen: Auf jedes Lächeln kam eine lächelnde Antwort.“

WeH

Arne Birkenstock/Helena Rüegg: Tango.

Dtv, München 2000, 334 Seiten, mit Audio-CD, öS 285,-

Der Tango, das ist weniger die Kultur einer lichtscheuen Rotlichtszene mit ihren verruchten Liedern als vielmehr die Stimmung der Massen entwurzelter europäischer Einwanderer, die keine Arbeit gefunden hatten und in den Vorstädten von Buenos Aires ihre eigene Kultur entwickelten. Erst als der Tango kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges in Paris zu Weltruhm gelangte (jenes Paris, dem die argentinische Bourgeoisie mit ihren Modetorheiten so verfallen war), wurde er, nach anfänglichem Schock, auch in Buenos Aires gefeiert.

Es ist ein großer Verdienst der beiden AutorInnen, in ihrem Sachbuch nicht in Klischees zu fallen, sondern vielmehr die LeserInnen über Tango-Klischees und über den tatsächlichen Stand der historisch-soziologischen Tango-Forschung aufzuklären. Bei all dem bleibt ihr Buch trotz seines Umfanges jedoch erstaunlich kurzweilig: Es führt historisch durch Höhen und Tiefen dieses Liedes, stellt seine TexterInnen, KomponistInnen und InterpretInnen und deren soziale Hintergründe vor und verbreitet immense Neugier auf die Musik. Die beigelegte CD zeichnet sich durch ihre gelungene Auswahl von Tangos von 1916 bis zur Gegenwart aus. Der Tanz findet nur peripher Erwähnung (vor allem durch drei – allerdings aussagekräftige – Interviews).

Das Buch bleibt die ganze Länge hindurch hochinteressant, einschließlich des ausführlichen Service-Teils über „Fakten zum Tango“. Eine Nachahmung mit einem ähnlichen Konzept für weitere Musikstile wäre wünschenswert.

Thomas T. Divis

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