ABRAZOS books, Stuttgart, 2002.
412 Seiten, € 26,30
Der Tango ist wieder in Mode. Längst unter die Standardtänze aufgenommen, hat er nichts von seiner Sinnlichkeit eingebüßt. Dennoch kann man sich heute kaum vorstellen, dass einst Kaiser Wilhelm II seinen Offizieren ein Tango-Verbot auferlegte, weil diese dabei die statthafte Haltung aufgeben mussten.
In Argentinien zogen Reaktionäre und Marxisten gleichermaßen über den aus den proletarischen Vorstädten von Buenos Aires stammenden Tanz her. Der konservative Publizist Leopoldo Lugones sprach von einem „Bordellreptil“, das nur dazu bestimmt sei, „provokatives Gewackel und irrige Anzüglichkeiten durch Umarmungen zu untermalen“. Und der kommunistische Schriftsteller Leónidas Barletta sah im Tango nichts anderes als „ein Klagelied der Verweichlichten, das späte Erwachen einer sich ihrer Weiblichkeit nicht bewussten Frau“.
Doch einmal aus Paris zurückgekehrt, war der Tango sozusagen geadelt und zu einem Produkt geworden, „das auch die ‚anständigen Leute‘ konsumieren durften“, wie Horacio Salas in seinem Standardwerk „Der Tango“ schreibt.
Ursprünglich wurde der Tango auf Gitarren und Flöten gespielt. Das Bandoneon, heute gar nicht wegzudenken aus der Tangokultur, wurde erst Ende des 19. Jahrhunderts integriert. 1840 von Heinrich Band in Deutschland patentiert, aber angeblich in der Steiermark erfunden, war diese achteckige Ziehharmonika wahrscheinlich über Brasilien nach Argentinien gekommen.
Der argentinische Schriftsteller und Publizist Horacio Salas hat in „Der Tango“ nicht nur die Kulturgeschichte dieses Tanzes aufgearbeitet, er stellt auch die wichtigsten und berühmtesten Komponisten und Interpreten vor: von Angel Villoldo über Carlos Gardel bis Astor Piazzola. Das Buch ist mit seiner ausführlichen Bibliographie und den oft pathetischen oder vor Machismo strotzenden Texten, die auch in der Originalfassung wiedergegeben sind, ein unentbehrliches Nachschlagewerk, das in Argentinien bereits die neunte Auflage erlebt hat.