Als der US-Botschafter Hugo Llorens, ein in Miami aufgewachsener Exilkubaner, den Namen seines Vorgängers John Negroponte hört, verdreht er die Augen. John Negroponte war langjähriger Botschafter in Tegucigalpa und hat von dort aus während der 1980er Jahre den „schmutzigen Krieg“ gegen die zentralamerikanischen Revolutionäre in El Salvador und Nicaragua organisiert, bevor er unter George W. Bush zum Botschafter im Irak und dann zum Chef des Nationalen Sicherheitsrates der USA avancierte.
Jetzt aber sei alles anders geworden, versichert Llorens und fügt lächelnd hinzu: „Ich freue mich über die Proteste da draußen, denn es kommt nicht oft vor, dass wir dieselben Ziele haben wie die Demonstranten.“ Tatsächlich haben die USA unter Präsident Barack Obama nicht nur die Militärhilfe, sondern auch andere Zahlungen für das Putschregime eingestellt und angekündigt, das Ergebnis der Wahlen von Ende Oktober nicht anzuerkennen. Eine sehr andere Haltung als Deutschland, wo Angela Merkel im Schlepptau der FDP-nahen Friedrich-Naumann-Stiftung dafür sorgt, dass die Maßnahmen gegen die de facto-Regierung von Roberto Micheletti nicht allzu streng ausfallen.
Dass der 61-jährige Putsch-Präsident trotz des massiven Protests der Organisation Amerikanischer Staaten, der UNO und der internationalen Öffentlichkeit bisher keinen Zentimeter von seiner Haltung abgewichen ist, ist nicht nur auf dessen zweifellos vorhandene Starrsinnigkeit zurückzuführen, sondern vor allem auf jene Drahtzieher hinter den Kulissen, die sich jetzt in seinem Halbschatten bewegen. Dazu gehört der unter Negroponte groß gewordene honduranische Verbindungsmann der CIA, Billy Joya, der gleich nach dem Putsch zum obersten Sicherheitsberater Michelettis ernannt wurde: Joya war während der 1980er Jahre laut Aussagen des langjährigen Generalsekretärs der internationalen Bauernorganisation Via Campesina, Rafael Alegría, für das Verschwinden und die mutmaßliche Ermordung von 184 Menschen verantwortlich.
Ihm zuvorgekommen war das Vierergespann von Salomon de Jesus Escoto (Chef der Nationalen Polizei), René Maradiaga (Chef der Staatspolizei), Ventura Flores Maradiaga (Polizeichef von Tegucigalpa) und Napoleon Nazar Herrera (Chef der Verkehrspolizei), die bereits drei Wochen vor dem Putsch unter Umgehung des dafür zuständigen Nationalen Rats für Innere Sicherheit diese Posten usurpiert hatten. Auch sie haben (ebenso wie Joya) dem berüchtigten Batallon 3-16 angehört, das unter dem Militärdiktator Gustavo Álvarez Martínez ins Leben gerufen wurde. 2003 und 2004 standen sie an der Spitze der Kampagne „Null-Toleranz“ für die Verbrechensbekämpfung und gegen die Jugendbanden und waren für zwei Massaker verantwortlich, bei denen insgesamt 169 Jugendliche verbrannt wurden.
Israelische Kommandos trainieren Paramilitärs: Dass diese brutalen Methoden keineswegs der Vergangenheit angehören, zeigt z. B. der Fall des Aktivisten Pedro Magdiel Muñoz, der am 24. Juli von der Polizei nach einer Straßenschlacht verhaftet und dann laut Aussagen des Präsidenten des Honduranischen Komitees für Menschenrechte (CODEH) an paramilitärische Sicherheitskräfte übergeben wurde. Am nächsten Morgen wurde sein von elf Messerstichen durchlöcherter Körper tot aufgefunden. „Soweit wir wissen, haben israelische Kommandos, ähnlich wie in Kolumbien, private Spezialeinheiten ausgebildet, die dann bei Demonstrationen selektive Verbrechen verüben, um Terror zu verbreiten und damit den Widerstand zu schwächen“, erklärt CODEH-Präsident Pavon.
Tatsächlich sind bei den Demonstrationen bisher mindestens acht Menschen getötet und 120 teilweise schwer verletzt worden, unter ihnen auch der ursprünglich als Präsidentschaftskandidat des Movimiento de Resistencias vorgesehene Gewerkschafter Carlos H. Reyes und sein Kollege Juan Barahona. Außerdem gibt es auch zahlreiche Verschwundene, deren Schicksal aber aufgrund der seit dem Putsch herrschenden Nachrichtensperre nicht aufgeklärt werden konnte.
Überhaupt haben es die Putschisten vor allem auf kritische Medien und unabhängige Zeugen der Menschenrechtsverbrechen des staatlichen Repressionsapparats abgesehen. Nachdem in den ersten 14 Tagen nach dem Putsch in den relativ wenigen Medien, die nicht auf der Seite der Putschisten standen, militärisch interveniert wurde, vergnügten sich die Hintermänner Michelettis in der Folge mit telefonischen Todesdrohungen und SMS wie: „Hör auf, die Leute, aufzuwiegeln, sonst kriegen wir dich und du wachst nicht mehr auf!“. Einige Journalisten glauben sogar, die Stimme des von den Putschisten eingesetzten Generalstaatsanwalts persönlich erkannt zu haben.
„Wir sind ganz alleine – wie ein David gegen viele Goliaths“, beklagt José Luis Galdames von Radio Globo. Dieser unabhängigen Rundfunkstation ist das Überleben nur dadurch gelungen, dass viele Menschen ihrem Aufruf, sich schützend um das Funkhaus zu versammeln, Folge geleistet haben. Heute ist Radio Globo die wichtigste unabhängige Informationsquelle von Honduras, die auch im Internet abrufbar ist (www.radioglobohonduras.com).
„Was sich in Honduras derzeit abspielt, ist aber nicht nur ein politisches Problem und nicht nur ein Problem der Menschenrechte im klassischen Sinn. Es ist ein Klassenkampf“, analysiert François Houtart, ein international bekannter belgischer Religionssoziologe und Mitglied des Internationalen Rates des Weltsozialforums. Er gehörte ebenfalls der eingangs erwähnten internationalen Menschenrechtsmission an, die als eine ihrer Schlussfolgerungen forderte, die Putschisten vor den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag zu stellen.
Tatsächlich bestätigt ein Blick auf die Straßen von Honduras Houtarts Hypothese vom Klassenkampf. Während es sich bei den Mobilisierungen der weiß behemdeten AnhängerInnen von Roberto Micheletti zum überwiegenden Teil um Privatunternehmer und ihre Angestellten handelt, geben die SympathisantInnen des von den Militärs bei Nacht verschleppten Präsidenten Manuel Zelaya ein wesentlich bunteres Bild ab: Männer mit Stoppelbart und Frauen mit ausgelaugten Jeans schreien oft wild durcheinander, manche schwingen auch die rot-weiß-rote Fahne der Liberalen Partei, der sowohl Zelaya als auch Micheletti angehören. Viele der DemonstrantInnen sind Lehrer und Studentinnen, andere wieder Kleinbauern, die stunden-, manchmal sogar tagelang zu Fuß marschieren müssen, weil die Soldaten den Autobussen oft die Reifen aufschlitzen. So etwas wie Ordnung kommt erst dann in ihre Reihen, wenn sie gemeinsam den Schlachtruf des honduranischen Widerstands skandieren: „Queremos a Mel – queremos a Mel!“, was soviel heißt wie: „Wir wollen unseren Manuel (Zelaya) zurückhaben.“
Wie allgemein bekannt, konnte „Mel“ diesen immer massiver gewordenen Rufen nicht widerstehen und tauchte in periodischen Abständen von seinem provisorischen Exil in Nicaragua aus an der honduranischen Grenze in Las Manos auf. Mit seinem gemütlichen Schnauzbart und einem breitkrempigen, weißen Sombrero ähnelt er eher einer mexikanischen Version von John Wayne als einem Staatspräsidenten. Meist ist er von einem Schwarm von JournalistInnen umgeben, die ihm immer wieder dieselben Fragen stellen: „Wann werden Sie nach Honduras zurückkehren? Was hat Ihnen Hillary (Clinton) gesagt?“
Dabei verfolgt Zelaya eine durchaus praktikable Strategie: nämlich einerseits durch seine Anwesenheit an der Grenze zu erreichen, dass sich die Proteste im Landesinneren ausbreiten, und andererseits mit den lokalen Militärkommandanten per Handy Kontakt aufzunehmen. Ob es ihm allerdings gelingen wird, diese noch vor den für Ende Oktober angesetzten Wahlen umzustimmen, ist zweifelhaft.
Als der Autor dieses Berichts Zelaya diesbezüglich fragte, warum er denn nicht auch mit seinen ehemaligen Parteigenossen rede, gab der Präsident zur Antwort: „Drehen Sie sich doch um und sagen Sie selbst: Wer hat denn da auf der anderen Seite die Macht: die Zivilen oder die Militärs?“ Gleichsam als Antwort auf diese Frage wurde ich kurz darauf von den Militärs festgehalten und etwas unsanft über die Grenze nach Nicaragua befördert; ich hatte dem bekannten honduranischen Bauernführer Rafael Alegría mit meinem Auto geholfen, die zahlreichen Militärsperren zu passieren, die ganz Honduras in einen kriegsähnlichen Zustand versetzen.
Leo Gabriel, Journalist und Anthropologe und Vorstandsmitglied des Vereins Südwind, reiste als Vertreter des Weltsozialforums Ende Juli mit einer 17-köpfigen Menschenrechtsmission nach Honduras. Seine 20-minütige Videodokumentation „Mörderisches Honduras“ kann bei Südwind bestellt werden.