Die Monsterkonferenz Rio + 20 brachte nur einen Minimalkonsens. Zukunftsweisende Alternativen wurden nur auf dem „Völkergipfel“ präsentiert und diskutiert. Aus Rio de Janeiro berichtet Gerhard Dilger.
Außer Spesen nichts gewesen? Erwartungsgemäß ging der Rio + 20-Gipfel zu „nachhaltiger Entwicklung“ sang- und klanglos über die Bühne. Die Länder des Südens betrachteten es bereits als Erfolg, dass es gegenüber dem Erdgipfel von 1992 keine Rückschritte gab. So wurde gegen die USA das Prinzip der „gemeinsamen, aber differenzierten Verantwortung“ verteidigt, das – theoretisch – die Industrieländer wegen ihres hohen Ressourcenverbrauchs besonders in die Pflicht nimmt.
Aufbruchstimmung herrschte nicht im riesigen, klimatisierten Tagungszentrum Riocentro im Süden, sondern eher eine Busstunde entfernt: Zehntausende VertreterInnen der globalen Zivilgesellschaft kamen eine Woche lang auf dem bunten „Völkergipfel“ am Flamengo-Strand im Zentrum zusammen. „Dort sind die Verhandlungen, hier ist das Leben“, brachte es der kanadische Technikkritiker Pat Mooney auf den Punkt.
Ähnlich wie auf den Weltsozialforen versammelten sich AktivistInnen aus aller Welt zu zahlreichen Veranstaltungen und Protestaktionen. Als Beispiel für die Probleme jener Green Economy, die vom Westen und dem UN-Umweltprogramm propagiert wird, verwies Pat Mooney auf ein – vorerst gescheitertes – Projekt des US-Multis Amyris, in São Paulo mit Verfahren der synthetischen Biologie Agrosprit aus Zuckerrohr zu gewinnen: „Das ist genauso wenig grün wie die Atomkraft“, meinte er.
1992 habe man an die UNO appelliert, Biopiraterie durch Konzerne zu unterbinden, vergeblich, erinnert sich Mooney. „Damals haben die größten zehn Saatgutfirmen weniger als 25 Prozent des kommerziellen Saatgutes kontrolliert, heute beherrschen die größten drei – Monsanto, Dupont und Syngenta – 53 Prozent.“ Sein Fazit: „Die Finanzindustrie hat das Finanzsystem zerstört. Jetzt dürfen wir den Multis nicht auch noch erlauben, die Natur zu zerstören.“
Die BrasilianerInnen protestierten aber auch gegen die einheimische Spielart der Green Economy: Umweltgruppen geißelten die Aufweichung des Waldgesetzes, Indígenas unter der Führung des legendären Häuptlings Raoni wandten sich gegen den Bau des Megastaudamms Belo Monte, vor dem Sitz des Bergbaumultis Vale kam es ebenso zu einer Kundgebung wie vor der Entwicklungsbank BNDES, die mit einem höheren Etat als die Weltbank Megaprojekte finanziert.
Daneben diskutierte man über alternative Entwicklungswege. BürgermeisterInnen von 81 Großstädten aus aller Welt kamen zusammen und verpflichteten sich zu Emissionsreduktionen. Am gleichen Tag allerdings verkündete Brasiliens Regierung eine Aufstockung der Benzinsubventionen – ausgerechnet aus einem Topf, mit dem eigentlich der öffentliche Nahverkehr gefördert werden sollte.
Auf dem Völkergipfel wurden viele dezentral funktionierende Beispiele vorgestellt, etwa aus der kleinbäuerlichen Landwirtschaft: Selbstversorgung, regionale Wirtschaftskreisläufe und Klimaschutz sind möglich, wenn sich Bauern, Händler und KonsumentInnen dafür stark machen. Auch Austausch und Vernetzung wurden wieder großgeschrieben.
Schwieriger ist die Debatte um ein Gegenmodell zum globalen Kapitalismus. Die Abschlusserklärung des Völkergipfels, die UN-Generalsekretär Ban Ki Moon überreicht wurde, fordert vor allem die Verteidigung der Gemeingüter, von Wasser über Boden, Wald bis hin zu Wissen, gegen Übergriffe von Konzernen und staatlichen Behörden: „Die Verteidigung der Gemeingüter schließt die Rechte von Mensch und Natur, den Respekt gegenüber Glaubensrichtungen und Visionen der verschiedensten Gemeinschaften und Lebensweisen ein. Das grundlegende Ziel ist die Verteidigung des Guten Lebens in Harmonie mit der Natur.“
Dies ist auch ein Erfolg der deutschen Gemeingüter-Expertin Silke Helfrich aus Jena, die in den letzten Monaten das Manifest „Eine andere Zukunft ist möglich“ mitgeschrieben hat. Helfrich und einigen MitstreiterInnen aus der Commons-Bewegung gelingt es allmählich, ihre Vision eines Dritten Weges zwischen Markt und Staat im globalisierungskritischen Diskurs zu verankern.
Auf einer Strategierunde plädierte Boliviens ehemaliger UN-Botschafter Pablo Solón, seit kurzem Direktor der in Bangkok ansässigen NGO „Focus on the Global South“ dafür, auf Konfrontation statt auf Lobbying zu setzen: „Wir müssen dem spekulativen Finanzkapital, dem Bergbau und dem Agrobusiness den Kampf ansagen“ – der Kleinbauerndachverband Vía Campesina gehe dabei mit gutem Beispiel voran.
Auch wenn der Völkergipfel zumindest in Brasilien in die breitere Öffentlichkeit hineinwirkte: Ein starkes politischen Signal ging auch von ihm nicht aus. Wie sinnvoll solche aufwändigen Großveranstaltungen für die Sache wirklich sind, bleibt nach Rio + 20 fraglicher denn je.
Gerhard Dilger lebt und arbeitet seit 1999 als Korrespondent deutschsprachiger Medien in Brasilien.
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