Chinas Zeichner Kuang Biao weist mit großer künstlerischer Fertigkeit auf politische und soziale Missstände hin. Er unternimmt seit Jahren unerschrocken eine Gratwanderung zwischen Publikation, Zensur und persönlicher Gefährdung.
Kuang Biao weiß sich in guter Tradition. Sein Vorbild ist der Karikaturist Liao Bingxiong (1915 – 2006). Im vergangenen Frühsommer zeigte die Kunsthalle in Guangzhou (Kanton) eine Gedächtnis-Ausstellung Liaos, dem George Grosz Chinas. In ihr hingen auch Liaos 1979 gemalte riesige Handschellen über China in Form eines Hakenkreuzes. Es war seine Abrechnung mit Mao Tsetung. In der Unterzeile lässt er den Diktator lamentieren: „Unser Land ist riesig. Aber wir haben zu wenig Stahl“, um dann zu sagen: „aber er reicht aus, dass jeder unserer 800 Millionen Menschen Handschellen und die Ketten dazu tragen kann.“
Kantons Führung erscheint es heute nicht mehr gefährlich, das Gesamtwerk Liaos zu zeigen. Auch andere Künstler dürfen Liao Referenz erweisen. Kuang, der als Hauskarikaturist im südchinesischen Verlagshaus arbeitet, gehört dazu.
Er wählt seinen Vogelkäfig aus: Ein Chinese in alter Tracht mit Zopf trägt einen Vogelkäfig auf der Schulter. In ihm sitzt eine Friedenstaube mit Lorbeerblatt im Schnabel. Das Bild trägt die Unterschrift „108. Friedenstaube“. Den Zensoren fällt nicht auf, dass es weder eine 107. noch eine 109. gibt. 108 steht für den achten Tag des zehnten Monats. Am 8. Oktober 2010 wurde in Oslo dem von Peking zu elf Jahren Haft verurteilten Bürgerrechtler Liu Xiaobo in Oslo der Friedensnobelpreis verliehen. Kuangs Nobelpreistaube bleibt die gesamte Zeit der Ausstellung hängen. Auf sie passt das Bonmot von Karl Kraus: „Satiren, die der Zensor versteht, werden zu Recht verboten.“
In Andeutungen zeichnen ist eine Kunst, die Kuang Biao beherrscht. Sein Schreibtisch steht im fünften Stock des Kantoner Zeitungshochhauses. Obwohl er dort seit fast 14 Jahren arbeitet, ist er nur einfacher Redakteur. Das hat er seinen Abmahnungen zu verdanken, weil er immer wieder die „rote Linie“ überschreitet. Wie etwa im September 2006. Kuang zeichnete für die Zeitung Neuer Express Parteichef Hu Jintao. Eigentlich malte er harmlos einen Hu mit dicken Tränen. Es illustrierte eine Meldung, wonach Hu angeblich vor Mitleid weinte, als er las, wie sich ein Lehrer für seine Schüler und Schülerinnen aufopferte. Chinas Führer, denen der Feudalismus tief in den Knochen sitzt, fassen es als Majestätsbeleidigung auf, wenn man sie karikiert, noch dazu so wie Kuang es tut.
Der ängstliche Drache starrt auf eine Ameise.
Mit Satire steht die Volksrepublik immer schon auf Kriegsfuß. „Ist der Sozialismus etwa zum Lachen?“, lautete die bitterernste Anklage, mit der 1957 Karikaturisten in Maos Anti-Rechtskampagne und später in der Kulturrevolution verfolgt und vielfach in den Selbstmord getrieben wurden.
Der 47-jährige Kuang spießt Zustände auf, die sich hinter einer Erscheinung verbergen. Die mächtige Volksrepublik zeichnet er als Drachen, wie er ängstlich auf eine Ameise blickt und spielt auf die Panik vor Andersdenkenden an. Kuang schaut oft liebenswürdig unter oder hinter die Oberfläche. Vier Chinesen sitzen aufbruchsbereit, modern gekleidet, auf Hockern: Sie wollen sich in der Welt umsehen. Ihre Weltbürger-Attitüde ist aufgesetzt. Von hinten gesehen tragen alle Zöpfe.
Zeichnen hat Kuang als Kind im künstlerisch geprägten Elternhaus gelernt. Er wurde im Norden Heilongjiangs in Beidaihuang geboren, wohin seine Eltern 1959 zur Urbarmachung der Wildnis verschickt wurden. Erst 1981 konnte er mit der Familie in deren Heimatstadt Kanton zurückkehren, arbeitete als Kunstlehrer in einer Schule, dann in Filmateliers für Cartoons, bevor er beim Neuen Express anfing. Wenn Kuang eine Nachricht hört, „kommt mir sofort die Bildidee“. Für eine Illustration braucht er zwei Stunden. Computerhilfe nutzt er erst am Ende. „Ich muss beim Zeichnen ein Handgefühl haben.“
Kuang karikiert nicht nur die Zustände, sondern bricht auch eine Lanze für die Opfer – vom blinden Bauernanwalt Chen Guangcheng bis zum verfolgten Konzeptkünstler Ai Weiwei. Seine Zeichnungen profitieren vom relativ liberalen Medienklima in Kanton, wo auch Southern Weekly ihren Sitz hat. Diese bekannte Wochenzeitung, für die Kuang auch zeichnet, wurde kürzlich so brutal zensiert, dass ihre Journalisten mit dem ersten öffentlichen Zeitungsstreik in China drohten. Der Skandal schlug international Wellen. Die Behörden ruderten daraufhin zurück. Kuang ist heute Hauskarikaturist für ein Dutzend Blätter. Rund 70 Zeichnungen malt er pro Monat. Nur die Hälfte wird gedruckt. Die andere veröffentlicht er in seinen Blogs. Das Internet verschafft der Karikatur Fluchträume vor der Zensur. Doch auch online wird jede dritte Karikatur von Webaufpassern gelöscht, manchmal auch sein Blog gleich mit. Kuangs Kommentar: „20 Jahre braucht unsere Gesellschaft noch bis zu einem normalen Umgang mit Satire.“
Als Künstler hat sich Kuang durchgesetzt. Seine Orginale werden gesammelt. Der Jiangsu-Verlag Phönix brachte Ende 2011 einen Bildband mit 200 Karikaturen heraus. Zehn andere Verlage hatten sich zuvor nicht getraut. Kuang sagt augenzwinkernd: „Mein Humor hat graue Farben. In China kann man sich nicht dort kratzen, wo es juckt.“
Johnny Erling lebt in Peking und ist langjähriger Korrespondent mehrerer deutschsprachiger Medien.
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