Wer in Kenia der schwarzen Magie bezichtigt wird, ist in Lebensgefahr. Ein Heiler bietet Schutz.
Gleich wird es ein Gewitter geben. Der Himmel hängt bleischwer über dem flachen Buschland. Ältere Männer und Frauen sitzen unter einem Baum auf dem Boden. Sie scheint das nahende Unwetter nicht zu stören. Vielleicht hat ihre Gelassenheit damit zu tun, dass sie alle schon viele Widrigkeiten durchlitten haben. Zum Beispiel Sadaka Muru: Sie ist hierher geflohen, weil eines Nachmittags eine Gruppe von Bewaffneten mit Macheten und Stöcken vor ihrer Tür stand und sie töten wollte. Muru galt als Hexe. Diese Vorwürfe machten einige Monate, nachdem ihr Mann gestorben war, im Dorf die Runde. Muru wusste sofort, weshalb die Männer gekommen waren. Irgendwie schaffte sie es, aus ihrem Haus zu entkommen und hierher zu fliehen. Dabei habe sie doch gar keine besonderen Kräfte, beteuert die 65-Jährige.
Hierher, das ist „Kaya Godoma“, übersetzt das „Dorf der Zuflucht“. Es liegt in der Einsamkeit des kenianischen Buschlands, etwa drei Autostunden landeinwärts von der Küstenstadt Kilifi. Die Leute sind hier, weil sie keine andere Wahl haben. „Natürlich ist das hier nicht wie zu Hause“, sagt Muru. Auf dem Boden sitzend wartet sie auf das Mittagessen. Die Bewohnerinnen und Bewohner von Kaya Godoma bekommen an diesem Tag eine Handvoll Maisbrei mit Gemüse.
Nicht nur in Kenia, auch in vielen anderen Ländern werden Menschen bis heute der Hexerei beschuldigt und aufgrund dieser Anschuldigung gelyncht, schwer verletzt, gedemütigt oder verstoßen. Besonders in Afrika ist das Phänomen verbreitet: Genaue Zahlen gibt es nicht, aber nach Schätzungen von ExpertInnen wurden allein seit dem Ende der Kolonialzeit Zehntausende Menschen als angebliche Hexen oder Hexer getötet.
Kenga Mangi Mitsanze wollte dagegen etwas unternehmen. Der ehemalige Fernfahrer hat seinen Job vor Jahren aufgegeben, weil er sich zum Heiler berufen fühlte. „Immer mehr kamen zu mir, weil sie um ihr Leben fürchteten“, erklärt Mitsanze. Er gründete das Dorf der Zuflucht.
Auf den ersten Blick sieht Kaya Godoma aus wie eine ganz normale Siedlung. Eine Lehmhütte mit Strohdach neben der Feuerstelle als Küche, herumlaufende Hühner. Etwas weiter weg stehen Wohnhütten, ebenfalls aus Lehm. Auf den zweiten Blick fällt auf, dass doch etwas anders ist: Fast alle Menschen hier, Männer und Frauen, sind schon älter. Es gibt nur ein einziges Kind, einen Säugling, und ein paar jüngere Frauen. Zurzeit leben etwa achtzig Menschen im Dorf. Rund dreißig von ihnen sind der Hexerei oder Zauberei beschuldigt, noch einmal so viele helfen Mitsanze. Die übrigen bilden den Rat der Ältesten, der über die Geschicke von Kaya Godoma mitbestimmt.
Der 53-Jährige Mitsanze trägt ein blaues Tuch um die Hüften geschlungen, sein Oberkörper ist frei, den Kopf hat er mit einem weißen Fes bedeckt. „Das Problem hat ein solches Ausmaß angenommen, dass die meisten alten Menschen Angst haben.“ Bereits vor rund fünf Jahren war die Zahl der Übergriffe so hoch, dass Mitsanze zur Tat schritt. Damals seien in der kenianischen Küstenprovinz in einem Jahr etwa hundert alte Menschen als angebliche Hexen oder Zauberer gelyncht worden.
Auch der Psychologe Samson Munyvoki von der „United States International University“ in Nairobi glaubt, dass die Zahl derartiger Gewalttaten zunimmt. Er sieht einen „kulturellen Zusammenbruch“: Zwar glauben dem Wissenschaftler zufolge bis heute in Afrika „fast alle in einem Winkel ihres Herzens noch an übersinnliche Kräfte“. Die Modernisierung verdränge allerdings in vielen afrikanischen Gesellschaften das traditionelle Wissen, das den Umgang mit Hexerei und bösen Mächten lehre. „Früher hatte jede Familie ihren Witchdoctor oder Medizinmann, der für solche Fälle zuständig war“, sagt Munyvoki. Wurde ein Mensch der Hexerei beschuldigt, vollzog dieser Fachmann die erforderlichen Rituale, um den bösen Zauber zu brechen. „Heute geht das Wissen um diese Rituale verloren“, bemerkt der Psychologe.
Kenga Mangi Mitsanze versucht, ganz unabhängig von der Analyse des Wissenschaftlers, dem Verlust des überlieferten Wissens entgegenzuwirken: „Mir kam die Idee, das Problem der Verfolgungen mit den traditionellen Methoden zu lösen.“ Der umtriebige Heiler traf sich mit den Chefs der umliegenden Dörfer und diskutierte mit ihnen. „Ich sagte ihnen, dass wir etwas tun müssen.“ Seither führt er Rituale durch, die die Hexen und Zauberer rituell reinigen sollen. Die Bevölkerung glaubt an Mitsanzes Kräfte. Wer von ihm kommt, gilt nicht mehr als böse. Die Zahl der Morde an vermeintlichen Hexen oder Zauberern sei deshalb in der Region deutlich zurückgegangen, bestätigt Distriktverwalter Vincent Marius Kibara. In der gesamten Küstenprovinz habe sich die Zahl der Morde an Alten etwa halbiert. Im direkten Umkreis von Kaya Godoma wurde im vergangenen Jahr niemand mehr getötet.
Kibara selbst zweifelt an Mitsanzes Fähigkeiten zur rituellen Reinigung: „Als Afrikaner weiß ich, dass es diese Dinge gibt“, sagt er zögernd. „Trotzdem würde ich meine Hand nicht dafür ins Feuer legen, dass er diese Kräfte hat.“
Die traditionelle Herangehensweise ist für westliches Denken nicht leicht nachvollziehbar: Gute, weiße Hexen oder Heiler behaupten von sich, dass sie Menschen vor den schwarzen, den bösen Magierinnen und Magiern schützen können. Die einen werden um Hilfe gebeten, die anderen dagegen verfolgt. Ob Mitsanze Kräfte hat oder nicht, ist für Kibara aber gar nicht entscheidend: „Er macht seine Sache gut, und die Menschen glauben an ihn.“ Mitsanze hat in Kibara einen Mitkämpfer gefunden, der angesichts der vielen Morde in der Region ebenfalls zunehmend beunruhigt war.
Die herkömmlichen Methoden der Verbrechensbekämpfung funktionieren bei Hexerei-Anschuldigungen nicht. Die Polizei sei keine Hilfe, klagt Mitsanze: „Sie unternimmt in diesen Mordfällen nichts.“ Distriktverwalter Kibara sieht das ähnlich: „Nach solchen Morden wird fast nie jemand verhaftet.“ Die Polizei stoße bei den Nachforschungen in den Dörfern auf Hindernisse, auf eine Mauer des Schweigens. „Niemand hat etwas gesehen oder gehört.“ Kibara vermutet, dass die Mörder auch unter Familienmitgliedern oder Nachbarn zu finden sind.
Der Distriktverwalter führt die zunehmende Zahl der Morde auf die Armut zurück: „Oft setzen Familienangehörige das Gerücht in die Welt, jemand sei eine Hexe oder ein Hexer, um schneller an ihr Erbe zu kommen.“ Die Erzählungen, mit denen die Verfolgten in Kaya Godoma ankommen, scheinen das zu bestätigen: „Die Alten berichten, dass junge Leute sich zusammengerottet haben, um sie zu töten, und dadurch an ihren Besitz zu kommen“, erzählt Mitsanze. Es sei ein erschreckend grausames Prinzip: Wer einen Menschen zu seinem eigenen Vorteil beseitigen wolle, erhebe den Vorwurf der Hexerei. Der Mob helfe bei der Drecksarbeit, und anschließend werde niemand bestraft.
Auch bei Sadaka Muru war es so. Die Gerüchte von ihren bösen Taten als Hexe stammen von einem Stiefsohn: „Die ganze Familie lebt auf einem Stück Land, das ich von meinem Geld gekauft habe“, erklärt sie. „Nach dem Tod meines Mannes wollte der Stiefsohn sich das Land unter den Nagel reißen.“
Obwohl Kibara die gesellschaftlichen Faktoren anerkennt, unterstützt er die Herangehensweise von Mitsanze. Die Distriktverwaltung, und somit die kenianische Regierung, steht hinter dem Dorf der Zuflucht und dem Heiler. Hie und da spenden sie Lebensmittel. Mitsanze ist für das Wenige dankbar, denn die Versorgung der Geflüchteten ist für ihn eine große Herausforderung. Immerhin: Die Alten können ein paar kleine Felder innerhalb des Dorfes bestellen. Einige versuchen, durch Handarbeiten etwas zu verdienen. Außerdem besitzt Mitsanze selbst ein großes Stück Land, das er mit Hilfe seiner Familie bestellt. Die Ernte teilt er mit allen.
Sadaka Muru ist seit 15 Monaten hier in Kaya Godoma. Jetzt will sie bald nach Hause zurück: „Ich habe hier einige Reinigungsrituale durchlaufen. Niemand mehr wird mir vorwerfen, dass ich mit bösen Mächten verbündet bin“, gibt sich die 65-Jährige überzeugt. Nun hofft Muru, dass auch ihr Stiefsohn es nicht mehr wagen wird, sie zu bedrohen.l
Bettina Rühl ist freiberufliche Journalistin mit dem Schwerpunkt Afrika und arbeitet für mehrere Zeitungen sowie den Hörfunk der ARD. Sie lebt in Nairobi.
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