Soziale Bewegungen machen Politik
Mandelbaum Verlag, Wien 2007, 280 Seiten, eur 17,80
Dass sich der ehemalige Hinterhof der USA in einem Prozess des radikalen politischen Wandels, der weltpolitischen Neuausrichtung befindet, wird heute wohl kaum jemand bezweifeln. Das vorliegende Buch bemüht sich um eine Antwort auf die Frage, ob es sich bei diesem Prozess bloß um eine Abfolge von Wahlgängen handelt, bei denen angesichts der Verarmung breiter Bevölkerungsschichten die traditionellen Parteien empfindliche Niederlagen erlitten – oder ob es vielmehr das Ergebnis tief greifender sozio-politischer Veränderungen südlich des Rio Grande darstellt. Wobei die beiden Herausgeber, die sowohl von der Theorie als auch von der Praxis her den Kontinent bestens kennen und dessen Entwicklungen seit Jahrzehnten verfolgen, eigentlich die Antwort schon parat haben: Es handelt sich bei dieser viel zitierten Trendwende in Lateinamerika um einen fundamentalen Wandel im politischen Bewusstsein, der sich jahrzehntelang in den Volksbewegungen sowie im Widerstand gegen die Militärdiktaturen und später gegen die Diktatur des neoliberalen Verelendungssystems herausgebildet hat.
Das Buch ist inhaltlich in die Abschnitte „Aufbruch zur Demokratie“ (Chile und Argentinien), „Aufbruch zum Dritten Weg“ (Venezuela und Brasilien) sowie „Aufbruch zur anderen Welt“ (Bolivien und Mexiko) gegliedert, eine etwas willkürliche Einteilung, die jedoch der Qualität der einzelnen Beiträge keinen Abbruch tut.
Die Feststellung des brasilianischen Befreiungstheologen Frei Betto, dass die Mehrheit der eroberten Rechte nicht durch den guten Willen der Mächtigen, sondern durch die Kämpfe der sozialen Bewegungen zustande gekommen sind, entspricht wohl auch dem Credo der Herausgeber, die mit diesem Buch nicht nur informieren, sondern auch motivieren wollen. Und so gilt denn auch das gemeinsame Ziel, die Überwindung einer zutiefst ungerechten und gleichzeitig ausgesprochen irrationalen (Un-) Ordnung, für Lateinamerika gleichermaßen wie für uns in Europa lebende Menschen.
Die durchwegs profunden, interessanten Beiträge stammen, in dieser Reihenfolge, von folgenden AutorInnen: Herbert Berger (Chile), Manfred Steinhuber (Chile), Viktor Sukup (Argentinien), Bernhard Leubolt (Brasilien), Birgit Zehetmayer (Venezuela), Rosalvo Schütz (Solidarwirtschaft), René Kuppe (pluriethnische Autonomie), Leo Gabriel (partizipative Demokratie), Robert Lessmann (Bolivien) und Gilberto López (Mexiko).