Zum ersten Mal sah ich eine Sutherlandia frutescens (Krebsbusch) in den Magaliesburg-Bergen: eine Pflanze aus der Familie der Leguminosen (Hülsenfrüchtler) mit einer roten Blüte, die unter AlternativmedizinerInnen für Furore sorgt. Sie soll ähnliche Eigenschaften wie jene antiretroviralen Medikamentencocktails haben, die das Leben von Aids-Kranken verlängern können – entsprechendes Geld oder eine Krankenversicherung vorausgesetzt. Denn in der Gesundheitsversorgung herrscht in Südafrika nach wie vor Apartheid. Aids-Kranke aus der Mittel- und Oberschicht (meist Weiße) können sich antiretrovirale Medikamente leisten und den Horror einigermaßen in den Griff bekommen, für den großen – schwarzen – Rest ist Leben gleich Todesangst.
Hier in Magaliesburg, eine Dreiviertelstunde außerhalb von Johannesburg, kennt man antiretrovirale Medikamente nur vom Hörensagen. Nicht einmal ein Prozent der Menschen mit Aids kann diese Medikamente erhalten – selbst eineinhalb Jahre nachdem die südafrikanische Regierung ein historisches Gerichtsverfahren gegen die Pharmabranche gewonnen und sich das Recht gesichert hat, lebenswichtige Medikamente von dort zu importieren, wo sie billiger sind. Hier herrscht eine Art politischer Erstarrung: ein Präsident, der die Existenz des HI-Virus bezweifelt, und ein Gesundheitsministerium, das scheinbar seine Leidenschaft verloren hat. Aids-AktivistInnen kämpfen mutig weiter – sie importieren auf eigene Faust patentierte Medikamente wie AZT (soll die Replikation des HI-Virus in der Zelle behindern; Anm. d. Red.) und Fluconazol (ein Antimykotikum, d.h. ein Pilzmittel; Anm. d. Red.) sowie Nachahmerprodukte (Generika) aus Brasilien. Mittlerweile wird die Regierung von der Pharmaindustrie umworben, die Preissenkungen angeboten hat, um die Generika aus dem Markt zu halten. Die Menschen, die eigentlich die Hauptrolle spielen sollten, jene, deren Immunsystem vom HI-Virus angegriffen wird, sind höchstens StatistInnen.
Ein Besuch beim 80-jährigen Credo Mutwa, einem „Sanusi“ (traditionellen Heiler) im Gebiet Magaliesburg ist daher wohl tuend. Die blutrote Sutherlandia wächst wild in der Nähe von Mutwas Haus, und das sollte auch so bleiben, wenn es nach ihm geht. Seine Ansichten über traditionelles Wissen und Gesundheit sind ein Kontrapunkt zur weltweiten Diskussion über billige Medikamente. Etwa seine Anweisungen zur Kultivierung von Sutherlandia: „Man schleift jeden Samen mit Sandpapier ab und steckt ihn in einen Blumentopf. Man lässt den Keim wachsen, bis er etwa acht oder zehn Zentimeter hoch ist. Dann setzt man ihn in der Wiese ein … Sie wachsen einfach. Es gibt Bauern, die sie bereits angepflanzt haben, aber es sind zu wenige. Es handelt sich um eine weltweite Notsituation und wir dürfen nicht egoistisch sein.“
Die Kultivierung von Sutherlandia sollte von den Vereinten Nationen übernommen werden, meint der verhutzelte alte Mann, der so gar nicht wie ein Revolutionär aussieht, damit ihre heilenden Kräfte im übrigen Afrika, in Lateinamerika und Asien verbreitet werden könnten. Seine Vorstellungen sind nicht nur die eines Schamanen des 21. Jahrhunderts, sondern die eines schlauen Mannes, der gelernt hat, wie man die Patentgeier auf der Suche nach wohlfeilem traditionellen Wissen austrickst: Nach internationalem Recht kann nichts patentiert werden, was allgemein verwendet wird. „Diese Pflanze sollte nicht in die Finger gieriger Geschäftemacher geraten. Sie sollte nicht das Spielzeug diebischer Pharmaunternehmen sein, die Afrikas Schätze stehlen, sie in Computer einsperren und zu ihrem geistigen Eigentum erklären.“
Mutwa ist einer der Direktoren von Phyto Nova, einer in Kapstadt ansässigen Firma, die auf das traditionelle medizinische Wissen in Afrika setzt und es über ländliche Gemeinschaften hinaus verbreiten will. Ihr Schwerpunkt liegt auf vier afrikanischen Heilpflanzen: Sutherlandia, Sceletium („Kanna“, ein afrikanisches Johanniskraut), Warburgia (Pfefferrindenbaum, ein natürliches Antibiotikum) und Siphonochilus (Zieringwer, ein Grippemittel).
„Phyto Nova glaubt nicht, dass die Anwendung von Heilpflanzen für beliebige Indikationen patentiert werden sollte“, erklärt Dr. Carl Albrecht von Phyto Nova. „Pflanzen sind gemeinschaftliches Eigentum – im weitesten Sinne des Wortes – und können niemals patentiert werden. Schwierig wäre auch die Frage nach dem rechtmäßigen Eigentümer … Wer sollte das sein? Phyto Nova? Frau Winifred Grobler, die uns das Pflanzenrohmaterial besorgt hat und es seit mehr als zehn Jahren als Heiltee verkauft? Das Volk der Khoi-San im südlichen Afrika?“
Sutherlandia gehört zweifellos der gesamten Bevölkerung. Sie hat in allen bedeutenden Sprachen des südlichen Afrika einen Namen, und BotanikerInnen haben ihren Gebrauch bis zur großen Grippeepidemie von 1918 zurückverfolgt. Seit damals heißt sie bei den Zulu „Unwele“, die wunderbare Medizin. Die Tswana nennen sie „Mukakana“ und verwenden sie gegen Geschlechtskrankheiten, während sie bei den San als „Insisa“ bekannt ist, „die die Dunkelheit vertreibt“, vielleicht weil sie gegen Depressionen verwendet wird. Und nun hilft sie auch Aids-Kranken, sagt Mutwa: „Ich habe Leute behandelt, denen die Ärzte im Krankenhaus sagten, ‚geh zum Sterben nach Hause‘, und sie leben heute noch, drei Jahre nachdem sie hätten sterben sollen.“
Phyto Nova bietet die Inhaltsstoffe der Pflanze in Form von Tees, Gel und Pulver an und vermarktet sie als alternative antiretrovirale Wirkstoffe, die sich alle leisten können. Gewinne sind wichtig, aber nicht das eigentliche Ziel. Und das ist ebenso wohl tuend wie die klare Zurückweisung von Patenten durch den Sanusi. Da orthodoxe Medikationen für die meisten Menschen unerschwinglich sind, hat Sutherlandia in der von Phyto Nova vermarkteten Form zunehmend Erfolg bei vielen ÄrztInnen und HeilerInnen.
Das Krankenhaus von Kuruman in der Nördlichen Kapprovinz ist typisch für staatliche Krankenhäuser: Es gibt keine antiretroviralen Medikamente, und es ist völlig überbelegt. Hier hat Virginia Rathele eine Klink für HIV-/Aids-PatientInnen gegründet, und das Krankenhaus verweist sie regelmäßig an jene traditionellen HeilerInnen und „Sangomas“ (WahrsagerInnen), die mit ihr zusammenarbeiten. Eine Reihe traditioneller Heilmittel, darunter Sutherlandia, bewirken eine Linderung von Aids-Symptomen, und die Klinik Ratheles ist gut besucht. Informelle Studien an Zentren wie dem von Rathele haben den zuständigen Medical Research Council (MRC) veranlasst, Tests an Meerkatzen und Menschen durchzuführen (der Prozess ist derzeit im Gange), um die Sicherheit von Sutherlandia zu prüfen.
Klinische Versuche sind essenziell, denn in Südafrika wimmelt es von Quacksalbern, die Mittel gegen Aids anbieten. Phyto Nova übt sich dagegen in Vorsicht. „Wir sagen, dass wir die Lebensqualität zahlreicher Aids-Kranker wesentlich und dramatisch verbessern können“, erklärte Nigel Gericke, einer der Direktoren, letztes Jahr gegenüber der BBC. „Wir erheben sicher nicht den absurden Anspruch, dass Sutherlandia ein Allheilmittel oder ein Heilmittel gegen Aids ist.“
Das etwas ungewöhnliche Team von Phyto Nova, das BotanikerInnen, traditionelle HeilerInnen und ÄrztInnen vereint, forscht weiter über die Ursachen der Wirksamkeit von Sutherlandia. „Die Isolierung einer aktiven Verbindung wird die Glaubwürdigkeit des Plans enorm erhöhen“, sagt Albrecht. „Es wird sich um einen weltweit bedeutenden Beitrag zur Wissenschaft und Medizin handeln.“
Aber wer sollte Eigentümer dieses Wissens sein und wer sollte davon profitieren, falls das Vorhaben gelingt? Bei Phyto Nova und ihren MitstreiterInnen wird das weiter diskutiert. Hier zeigt Albrecht einen etwas anderen Zugang zur Patentfrage. Er glaubt, ein Patent könnte sich in weiterer Hinsicht positiv auswirken. Es brächte dringend benötige Mittel, und die Isolierung einer organischen Verbindung könnte zur Verwirklichung des Traums von Mutwa führen: Sutherlandia könnte auf diesem Weg tatsächlich Millionen von Menschen zugute kommen. „Man braucht zwischen zehn bis 20 Tonnen getrocknete Blätter pro Monat, um eine ausreichende Zahl von Tabletten für eine Million Menschen herzustellen“, rechnet Albrecht vor. „Ein gutes Beispiel dafür ist Aspirin. Ursprünglich wurde es aus Weidenrinde gewonnen, heute wird es synthetisch hergestellt.“
Ein lokal erteiltes Patent für die Verbindung würde gemeinschaftlichen Treuhandfonds nutzen, während ein Patent im Eigentum eines Multis mit Hauptsitz außerhalb Südafrikas bedeuten würde, dass sowohl das Wissen und der Nutzen verloren wären. Eine Zusammenarbeit mit gemeinschaftlichen Treuhandfonds wird bei Phyto Nova auch überlegt.
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