Der wachsende Bedarf an pflanzlichen Heilmitteln aus dem Süden könnte sich als zweifelhafter Segen erweisen.
Zumindest Panax Ginseng sollte ein ähnliches Schicksal erspart werden, befand vergangenen April die Konferenz der Artenschutzkonvention CITES in Nairobi. Die wilde Variante des asiatischen Ginseng ist in China und Ostasien kaum noch anzutreffen; insbesondere die russischen Populationen sind von Raubbau und Schmuggel nach Hongkong und China bedroht. Seit April steht Panax Ginseng nun auf Appendix II (siehe Kasten). Ob das der traditionellen Heilpflanze hilft, wird sich weisen.
Panax Ginseng ist nur die Spitze eines Eisbergs. Die wachsende Nachfrage nach pflanzlichen Arzneimitteln hat einige weitere Arten bereits an den Rand ihrer Auslöschung gebracht. Etwa Prunus africana, einen afrikanischen Baum, aus dessen Rinde Extrakte zur Behandlung von Prostataerkrankungen gewonnen werden. Weltweiter Marktwert: 220 Mio. US-Dollar, so das International Centre for Research in Agroforestry (ICRAF) in Nairobi. Der Rindenexport aus Afrika stieg von 1980 bis 1999 von 200 Tonnen im Jahr auf 3.500 Tonnen. Setzt sich der gegenwärtige Raubbau fort, dürfte der 1994 in den CITES-Appendix II aufgenommene Baum in 5 bis 10 Jahren vom Erdball verschwunden sein.
Hauptabnehmer dieser Baumrinde sind Konsumenten in Europa, die nach Angaben des Beratungsunternehmens IMS HEALTH jährlich rund 5,5 Mrd. US-Dollar für pflanzliche Arzneimittel auf den Ladentisch legen. Dies entspricht auch dem Trend in Richtung Selbstmedikation. In Deutschland expandierte dieses Marktsegment 1999 nach Branchenangaben um 5,3 Prozent auf 8,22 Mrd. DM.
Eine Expansion des internationalen Handels mit Heil- und aromatischen Pflanzen ist die logische Folge. 1996 wurden etwa 440.000 Tonnen mit einem Wert von 1,3 Mrd. US-Dollar exportiert, schätzt TRAFFIC, eine vom Worldwide Fund for Nature (WWF) und dem Weltnaturschutzverband IUCN gegründete Organisation zur Überwachung des Handels mit wild lebenden Arten.
Die Herkunftsregionen sind vor allem Asien und Afrika – laut Weltbank haben sich allein die indischen Exporte im letzten Jahrzehnt verdreifacht. Den lokalen Produzenten verbleiben, schätzt ICRAF, jährlich derzeit rund 600 Millionen US-Dollar.
Wie das Beispiel prunus africana beweist, können selbst ursprünglich verbreitete Heilpflanzen binnen weniger Jahre im Bestand bedroht sein, wenn die Kaufkraft reicher Konsumenten mit der Armut in den Herkunftsregionen zusammentrifft. Etwa hat infolge des Medienrummels rund um das Potenzmittel Viagra das Interesse an dem seit 100 Jahren als Aphrodisiakum bekannten Alkaloid Yohimbin erheblich zugenommen. Es entstammt der Rinde des afrikanischen Yohimbe-Baums, die von einer Tochtergesellschaft des deutschen Pharmaunternehmens Boehringer Ingelheim nach Europa importiert wird. Boehringer hat ICRAF mit einer Studie über die möglichen Bestandsentwicklungen beauftragt, nicht zuletzt auch aus Sorge über die alles andere als nachhaltige Nutzung des Baums.
Selbst bevor es einer Art endgültig an den Kragen geht, kann ihre genetische Vielfalt und medizinische Wirkung schon weitgehend reduziert sein. Etwa lag der Diosgenin-Gehalt (Ausgangssubstanz für die Produktion natürlicher Östrogene) der wild wachsenden Pflanze Dioscorea zingiberensis in China in den 50er-Jahren im Schnitt bei 7 Prozent, maximal aber bei 17 Prozent. In den 80er-Jahren galten dagegen bereits 4 Prozent als hoch, so MitarbeiterInnen des Jiangsu Institute of Botany im chinesischen Nanjing.
Nach wie vor aber erfolgt der Hauptteil des Handels mit Heilpflanzen in den Herkunftsländern selbst oder innerhalb der Region, wo die wachsende Bevölkerung Druck auf die vorhandenen Ressourcen ausübt – mehr oder weniger gezwungen: Nach Schätzungen der Welternährungsorganisation FAO sind bis zu 80% der Bevölkerung im Süden auf traditionelle Heilmittel angewiesen. Auch nimmt in China die Verwendung traditioneller Medikamente seit 1979 jährlich um zumindest 9 Prozent zu; in Indien wiederum wird der Absatz von ayurvedischen Präparaten in den nächsten fünf Jahren sogar um jeweils 50 Prozent steigen, erwarten Branchenexperten.
Schlimme Aussichten etwa für Nardostachys grandiflora, ein Baldriangewächs (hierzulande als Narde bekannt), das insbesondere in hohen Lagen (3.000 bis 5.000m) im nepalesischen Himalaya wild geerntet wird und zum Kanon der ayurvedischen Medizin gehört. Dass die Narde auf Antrag Indiens (wo ein Großteil der nepalesischen Exporte landet) bereits 1997 in den CITES-Appendix II aufgenommen wurde, war hoch an der Zeit.
Besorgniserregend ist insbesondere die Tatsache, dass ein Großteil des weltweit gehandelten Pflanzenmaterials aus Wildwuchs stammt. In Indien dürften bis zu 95 Prozent der Pflanzen wild gesammelt werden, schätzen ExpertInnen; ebenso stammen höchstens 10 bis 30 Prozent der nach Deutschland exportierten Pflanzen aus kommerziellem Anbau. Selbst in China beläuft sich der entsprechende Anteil auf allenfalls ein Drittel.
Bedenkt man das enorme Geschäftspotential von Heilpflanzen, erscheint das geringe Ausmaß des kommerziellen Anbaus rätselhaft. Mehrere Faktoren werden von ExpertInnen als Erklärung angeführt. Abgesehen von Ginseng, dessen wilde Varianten drei- bis viermal teurer sind, sind wild geerntete Pflanzen meist weit billiger, eine Folge von Unwissen und Armut der lokalen Bevölkerung.
Etwa erhalten Sammler der Rinde von prunus africana zwischen 20 und 40 US-Cent pro Kilo, während die selbe Menge Rinde als Extrakt bis zu 60 US-Dollar einbringt; für ein Kilo Yohimbe-Rinde erhalten Sammler in Kamerun bloß 75 bis 150 CFA-Francs (ca. 0,11 – 0,22 Euro). Nardenöl wird in US-Katalogen oft 300-mal teurer angeboten als die Ausgangssubstanz in Nepal, wie Mitarbeiter von TRAFFIC feststellten.
Außerdem fehlt oft das nötige land- und forstwirtschaftliche Know-how, und es kann auch mehr als zehn Jahre dauern, bis erste Einkommen erzielt werden – schließlich beruhen rund 65 Prozent aller pflanzlichen Heilmittel auf Bestandteilen von Bäumen. Viele Handelsunternehmen verfügen auch über eine lokale Monopolstellung, können die Preise diktieren und kontrollieren den Vertrieb in den Exportländern. Trotz solcher Hindernisse gibt sich etwa die Weltbank optimistisch. Sie finanziert insbesondere in Südasien einige Projekte zur Erhaltung und zum Management derartiger Ressourcen, unter anderem mit Mitteln aus der bei der Weltumweltkonferenz in Rio 1992 eingerichteten Globalen Umweltfazilität zur Förderung einer nachhaltigen Entwicklung.
Ohne entschlossene Schritte der jeweiligen Regierungen wird die aktuelle Marktdynamik aber kaum gestoppt werden können. Ob die Bereitschaft dazu besteht, könnte zumindest anhand der jüngsten Erfahrungen im Rahmen von CITES bezweifelt werden. Das CITES-Sekretariat hatte 1998 um eine Ergänzung der von TRAFFIC bzw. der deutschen Regierung bereitgestellten Listen von Tier- und Pflanzenarten ersucht, die in der traditionellen Heilkunde verwendet werden. Die Reaktion – nur ein Land übermittelte Informationen – sei „äußerst enttäuschend“ wie das Sekretariat in einem Bericht für Nairobi feststellte. Diese Bestandsaufnahme wäre ein erster Schritt gewesen, etwa den Handel mit halbverarbeiteten Produkten und Medikamenten auf Basis gefährdeter Arten effektiver überwachen zu können. Vielleicht müssen erst wichtige Arten verschwinden, um für die nötige Entschlusskraft zu sorgen – Kandidaten dafür gibt es jedenfalls genügend. CITES
Die „Convention on International Trade in Endangered Species of Wild Fauna and Flora“ (CITES), auch Washingtoner Artenschutzkonvention genannt, trat im Juli 1975 in Kraft und hält derzeit bei rund 150 Mitgliedern. Mitgliedsländer verpflichten sich, auf Basis vereinbarter Listen Verbote des internationalen Handels mit gefährdeten Arten durchzusetzen bzw. den Handel mit anderen, möglicherweise gefährdeten Arten zu regulieren und zu überwachen.
Die vereinbarten Listen sind die sog. Appendices I, II und III. Appendix I umfasst alle vom Aussterben bedrohten Arten; Appendix II jene Arten, die zwar nicht unbedingt bedroht sind, aber ohne strikte Regulierung des Handels gefährdet sein könnten bzw. solche Arten, die etwa deswegen kontrolliert werden müssen, weil sie gefährdeten Arten ähnlich sind. Appendix III schließlich ist eine Liste von Arten, deren Schutz auf nationaler Ebene durch internationale Kooperation unterstützt werden muss.
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