Die strengsten Strafen für Homosexualität werden in muslimischen Ländern verhängt. New-Internationalist-Autorin Anissa Hélie versucht gibt Einblicke in die Ursachen dieser Bestrebungen, die Sexualität zu kontrollieren.
Jene sieben Länder der Welt, die die Todesstrafe für wegen Homosexualität verurteilte Personen vorsehen, rechtfertigen diese Strafe mit der Scharia oder der üblichen Auslegung des islamischen Rechts. Auch wenn die Todesstrafe nicht immer angewendet wird, sind sexuelle Minderheiten allein durch ihre Existenz extrem gefährdet.
Doch ist es nicht nur der Staat, der repressiv agiert. Auch Gemeinschaften und Familien sind beteiligt. Jordanien etwa kennt kein spezifisches Verbot der Homosexualität. Das hielt aber vier Jordanier im Vorjahr nicht davon ab, ihre 23jährige lesbische Verwandte, eine Studentin in den USA, zu verprügeln und zu versuchen, sie mit Gewalt in ein Flugzeug nach Jordanien zu setzen. Die US-PolizeibeamtInnen handelten rasch und retteten sie, aber dass es so ausging, ist eher die Ausnahme denn die Regel. Gewalt, Schikanierung, Verfolgung, außergerichtliche Tötungen oder „Ehrenmorde“ sind nicht ungewöhnlich.
Trotz solcher Hindernisse und Feindseligkeit kommt es zu gleichgeschlechtlichen Beziehungen, sogar in den repressivsten Ländern. Oder, wie es ein Wissenschaftler aus den Golfstaaten bei einer panarabischen Konferenz über Sexualität ausdrückte, die im Juni 2000 in Oxford stattfand: „Im Gefängnis ist gleichgeschlechtlicher Sex die Regel. Saudi-Arabien ist nichts als ein riesiges Gefängnis.“
Manchmal ermöglicht gerade die Trennung der Geschlechter eine Intimität zwischen Personen des selben Geschlechts, die nicht als abnormal gilt. Solange dabei Zurückhaltung geübt wird, kann ein solches Verhalten durchaus toleriert werden. Das gilt für beide Geschlechter. Kulturell verankerte Praktiken eröffnen insbesondere Frauen Gelegenheiten zu Intimität: Es ist durchaus akzeptabel, das Bett mit einer Cousine oder der besten Freundin usw. zu teilen. Bei traditionellen Zeremonien, an denen nur Frauen teilnehmen, können lesbische Frauen in ländlichen Regionen regelmäßig andere Frauen kennen lernen.
Die Kultur ist daher nicht immer unser Feind, und es existieren positive Beispiele gleichgeschlechtlicher Beziehungen in verschiedenen muslimischen Kulturen. Nicht einmal Verborgenheit ist Bedingung. Bei traditionellen Wanderbühnen und umherziehenden Musikgruppen in Pakistan etwa leben jüngere Männer, die Frauenrollen spielen, manchmal als Paar mit dem Gruppenleiter zusammen. Innerhalb solcher Gemeinschaften können männliche Paare ihre Liebesbeziehung ziemlich offen führen. Auch beinhaltet die pakistanische sowie die Urdu-Literatur eine Sammlung von Poesie namens „Yaari“, deren Thema zweifelsfrei die Liebe zwischen Männern ist.
Über diese positiven Beispiele sollten wir aber nicht vergessen, dass Homophobie nicht nur vorherrscht, sondern von konservativen Kräften auch systematisch gefördert wird, und zwar überall. „Der Koran hält eindeutig fest, dass Homosexualität unrecht, unnatürlich, ein Vergehen, verbrecherisch und korrupt ist“, erklärt etwa die Jamaat-e-Islami, eine rechtsextreme politisch-religiöse Partei in Pakistan.
Tatsächlich ist der Koran in dieser Frage jedoch alles andere als klar, und die Kontroverse über das Verhältnis von Islam und Homosexualität dauert an.
Als Avantgarde der Repression betätigen sich so genannte „religiöse Fundamentalisten“. Für uns Frauen vom Netzwerk „Women Living Under Muslim Laws“, dem ich angehöre, ist „Fundamentalismus“ jedoch nicht eine Rückkehr zu den „Fundamenten“ einer beliebigen Religion. Wir sind der Ansicht, dass „Fundamentalisten“ rechtsextreme politische Kräfte repräsentieren, die durch den Missbrauch von Religion, religiösen Überzeugungen und anderen ethnisch-kulturellen Identitäten politische Macht erlangen oder erhalten wollen.
Und der Aufstieg des „Fundamentalismus“ ist ein weltweites Phänomen, das nicht nur den Islam, sondern alle bedeutenden Religionen erfasst.
Es besteht auch ein enger Zusammenhang zwischen fundamentalistischen, homophoben Attacken und Attacken auf Frauen, die sich nicht korrekt „benehmen“, also unverheiratet sind oder allein leben. Extremistische Religionsführer und ihre AnhängerInnen nehmen als erstes sexuelle Minderheiten und Frauen aufs Korn. Gewalt wird stets durch Missbrauch religiöser, nationaler oder kultureller Identitäten gerechtfertigt. Sowohl extremistische Religionsführer als auch staatliche Funktionäre neigen dazu, sexuelle Minderheiten zu dämonisieren, oft zur Ablenkung von wirtschaftlichen Krisen oder politischen Konflikten.
Zu den ersten Opfern der algerischen Fundamentalisten zählte etwa Jean Sénac, ein homosexueller Poet, der Anfang der achtziger Jahre ermordet wurde. 1989 wurde Oum Ali, eine ledige Frau, die allein mit ihren Kindern in der südlichen Stadt Ouargla lebte, gesteinigt und ihr Haus niedergebrannt, wobei ihr jüngster Sohn starb. Diese zwei Vorfälle ereigneten sich lange vor dem „offiziellen“ Beginn des Konflikts. Sie belegen die Unwahrheit der Behauptung der algerischen Fundamentalisten, erst 1992 zur Gewalt geschritten zu sein, nachdem die Regierung ihnen ihren Wahlsieg durch die Absage der Wahlen gestohlen hatte. Tatsächlich hatten sie es schon früher auf Homosexuelle und Frauen abgesehen, aber es gab kaum jemand, der sich für solche „zweitklassigen“ Opfer einsetzte.
Warum konzentrieren sich fundamentalistische Kräfte dermaßen auf Sexualität und sexuelle Konformität? Eine mögliche Antwort ist, dass die Ausübung einer persönlichen Wahl als Herausforderung erscheint: Autonomie – besonders die der Frauen – erscheint als Bedrohung. Dass homosexuelles Verhalten von Arabern in früheren Jahrhunderten auf den schädlichen Einfluss der Perser zurückgeführt wurde, mag in diesem Zusammenhang ebenfalls von Interesse sein. Heute verhält es sich kaum anders, bloß die Rollen sind anders verteilt – Homosexualität wird derzeit als „westliche Krankheit“ denunziert.
Der Fundamentalismus hat jedoch eine globale Dimension angenommen. Koalitionen christlicher, muslimischer und anderer Fundamentalisten beeinflussen die internationale Agenda. Bei der Kairo-Konferenz über Bevölkerung und Entwicklung 1994 konnten wir sehen, wie sich solche Bündnisse auf die reproduktiven Rechte von Frauen auswirken. Durch solche Allianzen wurde sowohl bei der Weltfrauenkonferenz 1995 in Peking als auch bei der Überprüfung der Pekinger Aktionsplattform im Juni 2000 die Anerkennung der Lesbenrechte verhindert. Natürlich üben ähnliche Koalitionen auch Einfluss auf lokaler Ebene aus.
Zumindest ebenso Besorgnis erregend ist die Unterstützung fundamentalistischer Politik durch den so genannten „freien Westen“. Diese Hilfe, gewährt unter dem Vorwand der Verteidigung der Demokratie, ist nichts Neues. Imam Khomeini hielt sich 1978 mehrere Monate in Frankreich auf, bevor er in den Iran zurückkehrte, um die Führung der „islamischen“ Revolution zu übernehmen. In Afghanistan bildete die CIA nicht nur die Taliban aus, sondern gab auch zu, 25.000 arabische Freiwillige zum Kampf gegen die Rote Armee aufgestellt zu haben, wie die Financial Times berichtete. Zufälligerweise verurteilen beide dieser Länder derzeit Homosexuelle zum Tod.
Ungeachtet dieses bedrohlichen Umfelds ist in muslimischen Ländern und Gemeinschaften zu beobachten, dass sexuelle Minderheiten sich zunehmend organisieren und „sichtbar“ werden. Einen prominenten Platz nimmt etwa die Auslegung religiöser Texte ein. Homosexuelle und andere, mit ihnen solidarische Theologen sowie Gläubige versuchen eine Neuinterpretation des Koran, um das Monopol einer männlichen, homophoben Auslegung zu brechen. Andere bemühen sich um die Wiederentdeckung homoerotischer Literatur, um der stereotypen Etikettierung der Homosexualität als „ausländisch“ zu begegnen.
Ein weiteres positives Beispiel findet sich im Libanon, wo Homosexualität zwar verboten ist, aber ein beliebtes Fernsehprogramm („Al Shater Yahki“) existiert, das sich seit 1997 auf Sexualität konzentriert und auch Homosexuelle zu Wort kommen lässt. Dass sie ihre Gesichter hinter Masken verdecken, lässt die damit verbundenen Risiken erahnen.
Trotzdem werden neue Solidaritätsorganisationen gegründet, und die sexuellen Minderheiten in muslimischen Ländern und Gemeinschaften stehen erst am Anfang ihrer Bemühungen. Drohungen mit Gewalt und Vorwürfe, die eigene Kultur und die Religion zu verraten, haben viele davon abgehalten, öffentlich Stellung zu beziehen. Aber mit der Auffassung, Gewalt gegen sexuelle Vielfalt wäre „gottgewollt“, können sich immer weniger Menschen anfreunden.
copyright New Internationalist
Anissa Hélie ist Feministin und Menschenrechtsaktivistin und seit 15 Jahren Mitarbeiterin des Netzwerks „Women Living Under Muslim Laws“. Nähere Informationen im Internet unter wluml.org/ENGblurb.html. Der Artikel basiert auf einem Vortrag bei der IGLHRC-
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