Wie die Auswirkungen der wirtschaftspolitischen Reformen und der Tourismus die StadtbewohnerInnen verdrängen, darüber informiert Andreas Knobloch.
Felix Palmero ist gefühlt halb Havanna abgelaufen, um eine Wohnung zu finden. „Selbst in Centro Habana ist es mittlerweile schwierig“, sagt er erschöpft. Den beliebten Nachbarstadtteil Vedado hat er schon abgehakt. Dabei sind die Ansprüche des Mittzwanzigers, der in einer Bar arbeitet und um einiges besser verdient als Staatsangestellte, nicht überzogen: eine kleine Ein-Zimmer-Wohnung oder ein Zimmer zur Untermiete mit Kühlschrank und Klimaanlage – oder zumindest Ventilator – für 80 CUC pro Monat. Ein CUC entspricht ungefähr einem US-Dollar.
Vor wenigen Jahren hätte Palmero mit diesen Vorstellungen keine Probleme gehabt, etwas zu finden. Heute ist es anders. „Havanna ist teuer geworden“, sagt er. Für ein Zimmer in Vedado hätten manche Vermieter weit über einhundert CUC verlangt. „Für eine Zwei-Zimmer-Wohnung musst du mit 300 bis 400 CUC rechnen – und manchmal reichen nicht mal die“, erzählt er von seinen Erfahrungen. Eine Barkollegin sei aus Vedado weggezogen, da ihre Vermieter lieber an TouristInnen vermieten wollten, weil sie so mehr verdienen. Ähnliche Entwicklungen gibt es in der Altstadt und in abgeschwächter Form im Stadtteil Centro Habana.
Wirtschaftliche Veränderungen. Seit der Regierungsübernahme durch Raúl Castro im Jahr 2008 befindet sich Kuba im Umbruch. Die Wirtschaft wurde für ausländisches Kapital geöffnet, der Staatssektor reduziert und mehr Privatinitiative zugelassen. Zudem erlaubte die Regierung den Kauf und Verkauf von Autos und Immobilien. Das führte zum einen dazu, dass Häuser und Wohnungen heute wieder Kapitalanlage bzw. Produktionsmittel sind – als Bars oder Ferienwohnungen. Zum anderen haben im Zuge der Ausweitung des Kleinunternehmertums viele Haus- und WohnungsbesitzerInnen, die früher unter der Hand vermietet haben, heute ihr Geschäft legalisiert.
Dies fällt zusammen mit einem Tourismusboom. Spätestens seit Ende 2014, als der damalige US-Präsident Barack Obama und Kubas Staatschef Raúl Castro den Beginn einer vorsichtigen Annäherungspolitik verkündeten, ist Kuba eines der angesagtesten Reiseziele weltweit. Im vergangenen Jahr besuchten erstmals mehr als vier Millionen TouristInnen Kuba. 14.000 privat an TouristInnen vermietete Zimmer gibt es heute auf der Insel, der größte Teil davon in Havanna. Erste Luxushotels wie das Gran Hotel Manzana Kempinski öffnen bereits ihre Pforten.
Soziale Polarisierung. „Nochmal nach Kuba reisen, bevor es sich verändert.“ Diesen oder ähnliche Sätze hört man von Kuba-TouristInnen immer wieder, wenn es um die Motive für ihre Reise geht. Dass sie selbst Teil dieser Veränderung sind und diese sogar beschleunigen, ist den wenigsten bewusst.
Der Umbruch hat definitiv Konsequenzen: „Infolge der aktuellen wirtschaftlichen und sozialen Veränderungen erleben Kubas Städte einen Strukturwandel, auf den sie kaum vorbereitet sind“, erklärt Bert Hoffmann, Kuba-Experte am Forschungsinstitut German Institute of Global and Area Studies. „Die Öffnung für Marktmechanismen sowie der sprunghafte Anstieg des Tourismus insbesondere durch die Annäherung an die USA bringen weitreichende Änderungen der urbanen Nutzung mit sich. Soziale Polarisierung der Gesellschaft wird sichtbar: Einzelne Gebäude oder Wohnungen werden teils aufwändig renoviert und dann als Restaurants oder Frühstückspensionen genutzt, während oft in unmittelbarer Nachbarschaft der Verfall der Bausubstanz ungebremst weitergeht.“
In attraktiven Wohnlagen verzeichneten EigentümerInnen einen hohen Wertzuwachs ihrer Immobilien. Mit den Wirtschaftsreformen könnten diese nun auch legal verkauft werden. Im Zuge dieser Gentrifizierung werden laut Hoffmann viele BewohnerInnen verdrängt.
Tote Altstadt. Die Bucht von Havanna wird derzeit zum Tourismushafen umgewidmet. Bis zu dreimal die Woche legen Kreuzfahrtschiffe an. An Bord mehrere tausend Passagiere. „Die Ankunft des ersten großen Kreuzfahrtschiffs im Sommer 2016 gab einen Vorgeschmack auf das, was manche Venedigisierung nennen: Wenn Havanna mehr noch als bisher zum Touristenmagneten und zur Kreuzfahrt-Destination mutiert, wird dieser Wandel auch die kulturelle Identität und das Lebensgefühl der Stadt ändern“, befürchtet Hoffmann.
Für einige hat er das bereits: „Habana Vieja ist tot“, sagt ein Unternehmer, der die Entwicklungen in der Altstadt jeden Tag aus nächster Nähe verfolgt. „Ich habe das Gefühl, die ganzen Schausteller, Verkäufer und Kellner werden da jeden Morgen hingekarrt, um die Kulisse für die Touristen zu bilden, die dann im Laufe des Tages auftauchen. Und nach 22 Uhr ist dann kein Leben mehr auf der Straße.“
Das rasante Tempo, mit dem sich alles verändert, mache ihm Angst. Neben den Immobilienpreisen steigen die Lebenshaltungskosten. Langansässige BewohnerInnen ziehen in günstigere (Außen-)Bezirke. „Die Altstadt gehört den Ausländern”, sagt Maykel León – sein Name wurde redaktionell geändert, weil er illegal als Immobilienscout arbeitet und pro Verkaufsgeschäft Provision verdient. „Die Altstadt, vor allem der bereits restaurierte Teil, ist mehr oder weniger komplett verkauft“, sagt er.
Gegen Illegalität. Eine Möglichkeit, dieser Entwicklung entgegenzuwirken, wäre die Vergabe von Ferienwohnungs- und Barlizenzen zu beschränken. Tatsächlich gab die kubanische Regierung Anfang August die Entscheidung bekannt, u.a. vorerst keine neuen Geschäftslizenzen für die Vermietung von Ferienwohnungen sowie für Cafés und Restaurants zu vergeben. Man wolle das Kleinunternehmertum auf den Prüfstand stellen und Missstände beseitigen, hieß es. Die Maßnahmen seien Teil eines Prozesses „systematischer Revision und Perfektionierung, um Mängel zu korrigieren“, schrieb die kubanische Tageszeitung Granma. Es geht dabei wohl in erster Linie um Schwarzmarktaktivitäten und Steuervermeidung. Von der Gentrifizierung war keine Rede. Die Maßnahmen seien temporär, der Lizenzstopp werde „keinen sehr langen Zeitraum“ bestehen, so Vizearbeitsministerin Marta Elena Feitó.
Die kubanische Regierung steht vor einem schwierigen Spagat: Einerseits den Tourismus zu fördern, um die Wirtschaft in Gang zu bringen und Einnahmequellen für die Bevölkerung zu schaffen; gleichzeitig aber die Schere zwischen Arm und Reich nicht zu groß werden zu lassen.
Felix Palmero hat derweil seine Wohnungssuche auf an die Altstadt angrenzende Stadtteile ausgeweitet. „Da kommen Touristen eher selten hin“, sagt er. „Vielleicht habe ich dort mehr Glück.“
Andreas Knobloch ist Politikwissenschaftler und Journalist. Er lebt und arbeitet seit mehreren Jahren in Havanna.
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