In der Sahelrepublik Niger wurden in fairen und transparenten Wahlen der neue Staatspräsident und ein neues Parlament ermittelt. Nach dem Tyrannenmord an Diktator Baré im April des Vorjahres ist dies ein wichtiger Schritt.
Überraschung war es freilich keine. Nach zwei knapp verlorenen Wahlen, 1993 und 1996, ging der 61-Jährige Tandja diesmal eine Koalition mit der CDS ein. Nach Erreichen von 32,2% der Stimmen im ersten Wahlgang gewann er im zweiten die des Koalitionspartners dazu. Deren Kandidat Mahamane Ousmane, der vormals erste demokratisch gewählte Präsident Nigers, war im ersten Wahlgang als Dritter ausgeschieden. Im Parlament hingegen wurde die CDS mit 17 Sitzen zweitstärkste Partei.
Unglücklicher Verlierer der zweiten Runde wurde mit 40,1% der Stimmen der einstige sozialistische Premierminister und spätere Parlamentspräsident, Mahamadou Issoufou. Seine Partei, die PNDS, ist nach den Wahlen zumindest wichtigste Oppositionskraft im Parlament.
Dabei hatten die Sozialisten den aufwendigsten und teuersten Wahlkampf geführt. In Timia etwa, einer großen Bergoase im nördlichen Air-Massiv, verging keine Woche ohne eine Festveranstaltung, finanziert von der PNDS. Und noch heute begrüßen einen kreischende Kinder in T-Shirts und Schildkappen mit strahlendem Issoufou-Konterfei.
Doch dürfte dem energischen Opponenten des ermordeten Diktators Baré die unausgesprochene Sympathie der herrschenden Militärregierung zum Verhängnis geworden sein. Diese hatte zwar mehrmals abgelehnt, eine Wahlempfehlung auszusprechen, jedoch galt Issoufou in sämtlichen Medien als geheimer Wunschkandidat der Militärs.
Auch wenn sämtliche Parteien im Wahlkampf weder mit märchenhaften Wahlversprechen noch mit bitterbösen Schmutzkampagnen gespart hatten, so waren jedenfalls allen Parteien die Medien in gleicher Weise offengestanden. Auch die Wahlen selbst seien fair und ohne gröbere Zwischenfälle abgelaufen, berichteten die internationalen Beobachter. Die Wahlbeteiligung von 39,4% war – angesichts der weit verstreut lebenden Bevölkerung – zufriedenstellend.
Fazit: „Völlig egal, wer gewonnen hat, Hauptsache, endlich eine stabile Regierung!“, fasst ein arbeitsloser Lehrer die Stimmung seiner MitbürgerInnen zusammen und schmökert weiter im Kommentar des afrikanischen Wochenmagazins „Jeune Afrique“: „Le Niger – la derničre Chance“ steht auf der Titelseite – die letzte Möglichkeit für den Niger, der Krisenspirale zu entkommen: sieben Jahre einer wilden demokratischen Lernphase mit zwölf Wahlen, drei Verfassungsreferenden und zwei Staatsstreichen hatte die Bevölkerung zu erdulden.
Der Großteil der Nigerier verspürte Erleichterung nach dem Mord an Präsident Ibrahim Maďnassara Baré im vergangenen April. In der Presse wurde er als „Unfall“ deklariert. „Der Unfall – oder Sierra Leone!“- entweder der Tyrannenmord oder ein langer, blutiger Bürgerkrieg – hatte danach Premier Ibrahim Hassan Mayaki in „Jeune Afrique“ die Handlungsalternativen für die damals Verantwortlichen genannt.
Für die Nigerier kennzeichnet der Tod Barés das Ende einer Dauerkrise, die auch durch die 1992 beschlossene, erste demokratische Verfassung bedingt war. Denn die parlamentarische Präsidialrepublik nach französischem Vorbild hätte eine Machtbalance zwischen Parlament und Präsident ermöglichen sollen. Das hehre Ideal scheiterte allerdings an der wesentlichen Schwäche der nigerischen Demokratiekultur: Priorität vor der Lösung nationaler Probleme hat allgemein die Bekämpfung des politischen Gegners.
Anfang des Jahres 1996 ließ sich Baré als „Retter der Demokratie“ feiern, als er als damaliger Armeechef die Staatsspitze verhaften ließ, den Ausnahmezustand ausrief und anschließend gleich das Präsidentenamt aufwertete. Doch sehr bald entlarvte sich der freundliche Feuerwehrmann als machtgieriger Tyrann, der seine Macht systematisch ausbaute: Im Juli 1996 gewann Baré die Präsidentschaft durch massiven Wahlbetrug. Und obwohl sämtliche nigerische Menschenrechtsorganisationen die Wahlfälschung anklagten, wurde Baré vom Obersten Gericht als Präsident bestätigt und sofort von Frankreich anerkannt.
Den Point-of-no-Return überschritt Baré im Zuge der Lokalwahlen im Februar des Vorjahres: Trotz seines Abkommens mit der Opposition über faire Wahlmodalitäten, die Auflösung des Parlaments und Einsetzung einer Regierung der nationalen Einheit bis zu neuen Parlamentswahlen ließ der Diktator den Urnengang gewaltsam sabotieren, als sich der Sieg der Opposition abzeichnete. Wahllisten wurden entwendet, Urnen und Wahllokale verbrannt, Menschen an ihrer Stimmabgabe gehindert.
Als Baré im April das für ihn ungünstige Wahlergebnis vom Höchstgericht, dessen Mitglieder Baré selbst ernannt hatte, wegen „offensichtlicher Wahlfälschungen“ annullieren ließ, drängten ihn die Opposition sowie auch hohe Offiziere zum Rücktritt – ohne Erfolg. Da geschah der Unfall.
Ein Heiliger ist freilich auch der neuen Präsident Tandja nicht. Er spielte bereits beim Staatsstreich durch General Kountché im Jahr 1974 und während dessen repressiver Militärdiktatur bis 1989 eine tragende Rolle. Auch das Massaker an Tuareg-Demonstranten 1991, das 63 Todesopfer forderte und die Tuareg-Rebellion auslöste, hat der damalige Innenminister Tandja zu verantworten. Belange allerdings, die angesichts der jüngst überwundenen politischen und erst recht der anstehenden wirtschaftlichen Probleme niemanden ernsthaft interessieren.
Gemessen an Wohlstands-, Entwicklungs- und Lebensqualitätsstandards zählt Niger mit 83% Analphabetismus und 3,3% Bevölkerungswachstum zu den ärmsten Ländern der Welt. Zugleich reduzieren 1,3 Mrd. US-Dollar Auslandsschulden bei sinkenden Weltmarktpreisen für Uran, Nigers wichtigstem Exportgut, den Handlungsspielraum der Regierung auf null. 95% der Investitionenen und 50-60% der laufenden Staatsausgaben werden von außen finanziert. Das ökonomische Überleben des Staates hängt von der Gunst der Weltbank – und damit von der Umsetzung eines rigiden Strukturanpassungsprogramms – ab. Dabei erhielten die Staatsbediensteten seit zwölf Monaten keinen Lohn, was zu wiederholten Streiks und im November sogar zu Soldatenunruhen führte.
So stehen dem neuen Regierungsteam wie auch der Bevölkerung keinesfalls fünf fette Jahre bevor. Daran kann auch der wohlwollend verkündete Kooperationswille von so wichtigen Partnern wie den USA, Frankreich und Nigeria wenig ändern. Ob es Niger diesmal schaffen wird, wenigstens politisch stabil zu bleiben, hängt vor allem von einer Frage ab: Haben die politischen Eliten aus ihrem alten Fehler gelernt, den eigenen Vorteil vor jenen des Landes zu stellen? Ali Bety, der nigerische Leiter eines großen deutschen Entwicklungsprojektes, hegt positive Hoffnungen: „Mit dieser starken Regierungsmehrheit und der konstruktiven sozialistischen Opposition kann es nur aufwärts gehen – nach dieser Vergangenheit!“
Mag. Harald A. Friedl (harald.friedl@kfunigraz.ac.at), leitender Redakteur des Internet-Magazins „zum Thema:“ (www.zum-thema.com), lebt derzeit in der Wüstenregionen Agadez der Republik Niger und untersucht die „Auswirkungen des Tourismus auf die Tuareg“.
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