Es war im 13. Jahrhundert, im Reich von Mali unter der Herrschaft von Sundiata Keïta, als in Afrika erstmals Kasten entstanden. Berufe und gesellschaftliche Rollen wurden zu identitätsstiftenden Faktoren, und es bildete sich ein neues Herrschaftssystem, das auf der Unterteilung der Gesellschaft in Clans beruhte: Griots (traditionelle Musiker), SklavInnen und Handwerker (wie Schmiede, Schuhmacher, Tischler) auf der einen Seite, der herrschende „Adel“ auf der anderen. Es ging jedoch weniger darum, eine hierarchische Ordnung zu errichten, als vielmehr Rollen und Aufgaben aufzuteilen und dem Staat eine feste Organisation zu geben.
Tatsächlich existierte diese Rollenteilung bereits. Spezifische Fertigkeiten in einem bestimmten Beruf oder Gewerbe wurden innerhalb einer auserwählten Gruppe weitergegeben. Das Wissen wurde nur jenen vermittelt, die entsprechende Verdienste erworben hatten und fähig waren, es zu bewahren und geheim zu halten. Frauen und Mädchen waren oft ausgeschlossen, da sie durch eine Heirat den geschlossenen Zirkel des Clans verlassen konnten.
Dieses Erbe des Reichs von Mali, das über einen großen Teil Westafrikas herrschte, breitete sich durch Migrationsbewegungen über die Jahrhunderte im ganzen Sahelgebiet aus: Vom Senegal bis in den Niger hat die Realität der Kaste als gesellschaftliches Ordnungssystem tiefe Spuren im Bewusstsein hinterlassen. Zwar wurden die alten, tief verwurzelten Gewissheiten seither immer wieder durch neue Ideen erschüttert. Die Schranken sind jedoch nach wie vor wirksam und sorgen für die weitere Existenz einer Oberschicht, die Macht über Kastenangehörige und andere, als minderwertig geltende Gruppen wie Griots und „SklavInnen“ ausübt.
Mit der Monetarisierung der afrikanischen Gesellschaften änderten sich die Funktionen der Kasten – die Griots etwa engagieren sich nun verstärkt im Handel. Heiraten finden auch über Kastenschranken hinweg statt, insbesondere unter jungen Leuten, die solche „antiquierten Bräuche“ ablehnen. Selbst die Zuordnung von Kasten und Beruf löst sich auf: Mit Gold oder Leder zu arbeiten, Bildhauer oder Friseur zu sein ist nicht mehr Vorrecht einer bestimmten Kaste. Die entsprechenden Qualifikationen werden heute in Berufsschulen vermittelt, und auch in der Welt der Musik sind die Griots nicht mehr die einzigen „Meister der Rhythmen“.
Hinter diesem sozialen Wandel verbirgt sich jedoch eine komplexere Wirklichkeit. In den ländlichen Gebieten des Kontinents ist die Tradition nach wie vor wichtiger als das Gesetz. Mit der „Verländlichung“ der Städte, ein Ergebnis der Landflucht, entwickelten sich dort neue Formen der Solidarität auf Basis der Abstammung. Kasten, ein Bestandteil der Tradition, wurden ebenso zu einem Bestandteil des Neuen.
Das Kastensystem überlebt, meint der senegalesische Anthropologe Abdoulaye Bara Diop, weil es Leute gibt, die daran interessiert sind. Ob Griots oder andere Kastenangehörige, alle können von ihrer Rolle oder von ihrer Beziehung zum „Adel“ profitieren. Darüber hinaus werden aber Einstellungen, die das Kastendenken fördern, von Leuten verbreitet, die das mit der Notwendigkeit begründen, das „Gleichgewicht der Gesellschaft“ und gemeinsame Werte zu bewahren.
Zwar garantieren afrikanische Verfassungen Gleichbehandlung, doch spielt das Kastendenken bei politischen Entscheidungen und der Ausübung politischer Macht weiterhin eine Rolle. Von einer offenen Ausgrenzung kann keine Rede sein – Kastenangehörige sind WählerInnen, und sie können gewählt werden. Doch Menschen orientieren sich weiterhin an der Herkunft, um zu beurteilen, ob eine Person es verdient, eine bestimmte Aufgabe oder gesellschaftliche Position wahrzunehmen. Ein Griot etwa wird nur schwer als „würdig“ betrachtet werden, die Macht zu übernehmen. Und als Kastenangehöriger muss selbst ein Minister dann und wann mit dem versteckten Sarkasmus eines frustrierten Untergebenen rechnen, dem sein „blaues Blut“ in den Kopf gestiegen ist.
Quelle: Panos West Africa – Panos Info Nr. 5,
Les Castes en Afrique, 2002
Im Web:
www.panos-ao.org