Wie Klimaklagen unserer Demokratie auf die Sprünge helfen können.
Dass ausgerechnet die Schweizer Klimaseniorinnen den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) zu einem richtungsweisenden Urteil bewegen, kam für viele unerwartet. Die Schweiz wurde zu mehr Klimaschutzmaßnahmen angehalten und Klimaschutz als Menschenrecht anerkannt. Doch auch die Kritik folgte auf dem Fuß: Ist es nicht undemokratisch, wenn Gerichte Staaten zu mehr Klimaschutz verurteilen? Müsste man nicht besser die Wähler:innen überzeugen?
Recht einfordern. Das klingt auf den ersten Blick plausibel, denn Klimaklagen sind natürlich kein Ersatz für parlamentarische Prozesse. Sie können den demokratisch gewählten Entscheidungsträger:innen aber gehörig auf die Sprünge helfen. Klagen, Beschwerden und Einsprüche sind ohnehin an den jeweiligen Rechtsrahmen gebunden, der nach demokratischen Regeln geschaffen wurde. Klimaklagen sind somit genauso demokratisch wie der Rechtsstaat selbst. Unsere Gesetze haben aber teilweise Jahrzehnte und mehr auf dem Buckel. In dieser Zeit wurden wichtige internationale Beschlüsse gefasst, die die Rechtslage fundamental verändern.
So haben sich alle Staaten, die das Pariser Klimaschutzabkommen 2015 ratifiziert haben, völkerrechtlich zu Klimaschutz verpflichtet. Doch diese Verpflichtung wird leider allzu oft vergessen. Dass nun nach Wegen im bestehendem Rechtssystem gesucht wird, die Verantwortlichen an ihre Versprechen zu erinnern, ist daher nur logisch. Rechtsansprüche gegenüber den Regierenden geltend zu machen, gehört also selbstverständlich zu einer funktionierenden Demokratie dazu.
Österreich hat keinen Plan! Wir von Global 2000 waren vielleicht sogar etwas mehr erfreut über das Urteil als andere, weil auch eine Klimaklage von uns beim EGMR behandelt wird. Unsere Argumentation ist zudem ähnlich: Mit bestehenden Maßnahmen wird Österreich die EU-Mindestziele weit verfehlen und riskiert milliardenschwere Strafzahlungen.
Die Lage ist mehr als prekär: Politische Blockaden verhindern wichtige Gesetze, wie ein Klimaschutzgesetz. EU-Recht wird derzeit sogar offen gebrochen. So hat Österreich bis jetzt nicht einmal einen Entwurf für einen Klimafahrplan nach Brüssel schicken können. Dieser sollte zeigen, wie wir unsere Klimaziele erreichen wollen und musste nach einem Einspruch der Verfassungsministerin zurückgezogen werden. Mittlerweile sind wir das einzige Land in der EU, das keinen Plan hat und nirgendwo sonst läuft die Erstellung eines Klimaplans so schlecht.
Mit unserer Klimaklage wollen wir das ändern und erreichen, dass das Geschäft mit fossiler Energie zum Auslaufmodell wird. Dagegen sollen Betroffene zu ihrem Recht kommen, denn auch in Österreich ist die Klimakrise längst sichtbar. Mit uns klagen ein älterer Herr aus Wien, eine Biobäuerin aus Niederösterreich, eine junge aktivistische Person von Fridays for Future und eine Gemeinde aus der Steiermark. Sie alle wollen nicht Opfer einer Klimakatastrophe werden, sondern die politisch Verantwortlichen zum Handeln bringen, bevor es zu spät ist. Das ist lebendige Demokratie und Bürger:innen-Engagement. Und davon brauchen wir noch viel, viel mehr.
Siehe auch unser Dossier in dieser Ausgabe zu Klimainitiativen aus dem Globalen Süden, die u. a. der Natur ihr Recht geben wollen (ab S. 26)
Johannes Wahlmüller ist Klima- und Energie-Sprecher von Global 2000.
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