Gründliche Unterschiede

Von Ahmad Ibesh · · 2024/Sep-Okt

Wer sich selbstständig macht, wird hier von Institutionen unterstützt, in Syrien von Freund:innen und Familie.

Endlich habe ich mit meinem Upcycling-Label „Herzgenäht“ mein eigenes Geschäft in Klagenfurt eröffnet – und viel dabei gelernt. Denn: in meinem Heimatland Syrien, wo ich das Schneiderhandwerk gelernt habe, läuft die Geschäftsgründung und Führung ganz anders ab.

In Österreich dauert es lange, bis man alle nötigen Voraussetzungen beisammen hat, um zu gründen: vor allem jede Menge Papierkram, Prüfungen, die Finanzierung, ein Businessplan, etc. Und dann schaut man, ob sich das Geschäft auf Dauer rentiert. Wenn nicht, muss man alles institutionell rückabwickeln, geht zum AMS und sucht sich wieder eine Anstellung.

Anders in Syrien: Man gründet mit der Unterstützung von Personen, die einem nahe stehen. Sie borgen dir Geld und geben gute Ratschläge. Schnell hast du dein Unternehmen, schaust, ob es sich rentiert und, wenn nicht – machst du weiter. Musst weiter machen. Denn das wird von deinen persönlichen Unterstützer:innen und auch deinen Angestellten erwartet. Wer aufgibt, muss mit der Scham leben, sie enttäuscht, versagt zu haben. Das wiegt schwerer als der finanzielle Verlust.

Der Vorteil in Syrien: man spart sich Papierkram. Klar gibt es auch bürokratische Hindernisse, aber die lassen sich mit wenigen Scheinen beseitigen. Nein, man muss sie beseitigen. Das ist der Unterschied zur hiesigen Freunderlwirtschaft, die auch hier eine Option ist. Zwar kannst du dadurch vielleicht Privilegien, Förderungen, den Zugang zu Wohnungen gewinnen, in Syrien aber verlierst du dein Geschäft oder das Dach über deinem Kopf, wenn du nicht mitspielst.

Diese Differenz zwischen institutionellen Beziehungen und persönlichen gibt es übrigens auch im Privaten. Etwa, wenn es um die Ehe oder die Fürsorge der Eltern geht. In Syrien bist du viel stärker an andere Menschen gebunden, an deren Erwartungen und Wünsche, ein Leben lang. In Österreich spricht man von der Institution Ehe und es gibt Altersheime.

Ich habe für mich gelernt möglichst nicht zu urteilen, was oder wer besser ist.

Ich freue mich auf mein Geschäft und auf alle, die ich dort willkommen heißen darf!

Ahmad Ibesh, 30, kommt aus Aleppo in Syrien. Als er in die Armee sollte, floh er in die Türkei und kam 2015 nach Österreich. Seither lebt er u. a. als Schneider, vor allem von Taschen von seinem Label „Herzgenäht“ (vgl. Rubrik Lokalaugenschein, Südwind-Magazin 7-8/2020) in Kärnten.

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