Große Reden, bescheidene Ernte

Von Redaktion · · 2014/05

Boliviens Präsident Evo Morales gilt als Verfechter einer nachhaltigen Landwirtschaft. Die Realität in Bolivien zeigt allerdings ein anderes Bild. Eine Bestandsaufnahme von Felicitas Sager.

Es war der Beginn eines ambitionierten und revolutionären Gesellschaftsprojekts: Die Wahl von Evo Morales zum bolivianischen Präsidenten im Dezember 2005. Dazu gehörte die Zurückweisung  westlich dominierter Entwicklungsparadigmen und das Werben für ein neues Weltbild, geprägt vom Respekt vor „Mutter Erde“. Morales versprach eine Neuordnung des Landes und eine ökonomische, soziale und kulturelle Revolution, die auf der Partizipation der Bevölkerung, auf einem gerechteren Wirtschaftssystem und den Werten der indigenen Völker beruhen sollte. Im Regierungsprogramm 2010-2015 ist sogar von einem „neuen philosophischen und politischen Vorschlag“, einer „demokratischen und kulturellen Revolution“ die Rede, mit dem Bolivien vor dem Hintergrund der Krise auftaucht.

Auch die Förderung der kleinbäuerlichen indigenen und nachhaltigen Landwirtschaft ist Teil der Rhetorik. Mehr aber auch nicht, erklärt Geiza Chuqui, Bäuerin in der Comunidad Tarumán in den tropischen Tälern Boliviens, nahe der Stadt Rurrenabaque. Sie besitzt 16 Hektar Land und bewirtschaftet diese seit sieben Jahren nach den Prinzipien der Agroforstwirtschaft. Der Begriff steht für eine Form der nachhaltigen Landwirtschaft, in der landwirtschaftliche und forstwirtschaftliche Produkte auf ein und derselben Fläche kombiniert werden. Der Raum zwischen den mehrjährigen Hölzern kann so zum Anbau von einjährigen landwirtschaftlichen Nutzpflanzen (z.B. Kartoffeln, Getreide, Gemüse) genutzt werden. Der Einsatz von Pestiziden ist nicht notwendig, da die natürlichen Synergieeffekte der Natur genutzt werden können. Beim Umstieg auf diese Produktionsweise wurde Geiza Chuqui von einer NGO unterstützt. Von der Regierung erhielten die Kleinbauern und -bäuerinnen keine Hilfe, beklagt sie.

Auch Clemente Rojas aus der Comunidad La Maica in den andinen Täler von Cochabamba möchte auf Agroforstwirtschaft umsteigen: „Die Regierung lässt uns im Stich“, stellt er fest.

Während der politische Diskurs oft auf die Rechte der Mutter Erde, eine nachhaltige Entwicklung und die Bedeutung einer indigenen-kleinbäuerlichen Landwirtschaft Bezug nimmt, findet dies in der Praxis kaum Niederschlag. „Es gibt zwar punktuelle Maßnahmen, strukturell ändert sich jedoch nichts“, sagt Elizabeth Vargas von ­CIPCA (Centro de Investigación y Promoción del Campesinado). „Die rechtliche Basis ist gegeben, um mit öffentlichen Mitteln eine nachhaltige Entwicklung zu fördern.“ In der Praxis fehle es jedoch an finanzieller Unterstützung für Forschung, Bewerbung und Subventionierung der nachhaltigen Landwirtschaft. „80% der öffentlichen Investitionen sind auf nicht erneuerbare Ressourcen, Energie und Transport ausgerichtet“, so die Forscherin. Die wenigen politischen Maßnahmen für den landwirtschaftlichen Sektor kämen dabei vor allem der Agrarindustrie zu Gute. Diese profitiert zum Beispiel von den staatlich subventionierten Treibstoffen. Das Departement Santa Cruz im Osten des Landes konsumiert 40% des in Bolivien verkauften Diesels. Die hohe Nachfrage ist vor allem auf die Präsenz der Agrarindustrie mit ihren großen Maschinen zurückzuführen. Die Subvention der Treibstoffe kommt die Regierung teuer, gleichzeitig steigt mit dem hohen Bedarf der Agrarindustrie die Abhängigkeit von Treibstoffimporten.

Wieviel von seinen revolutionären Plänen hat Evo Morales umgesetzt? In vielen Aspekten steht die politische Praxis in krassem Gegensatz zum Diskurs und auch zu zahlreichen Gesetzen. Artikel 15/8 des Rahmengesetzes für Mutter Erde, integrale Entwicklung und für ein gutes Leben zum Beispiel ruft zur Vermeidung von Monokultur auf, die als eine die Erde degradierende Methode definiert wird. Die tatsächlich gesetzten Maßnahmen liefern ein anderes Bild. Birgit Knoblauch von der NGO PRISA berichtet, dass von der Regierung keine diversifizierten landwirtschaftlichen Systeme gefördert werden, sondern vielmehr die Produktion von Stevia, Mais, Reis und Zuckerrohr in Monokulturen. Knoblauch: „Diese entziehen dem Boden viele Nährstoffe und benötigen viele Pestizide, was wiederum zur Degradierung der Böden beiträgt. Die Gewinnung immer neuer landwirtschaftlicher Flächen verlangt die großflächige Abholzung von Wäldern.“ Die Regierung bevorzuge die kurzfristig produktive Landwirtschaft gegenüber nachhaltigen Formen, fasst Knoblauch zusammen.

Doch warum unterstützt die Regierung Morales ein Modell, das kurzfristig Gewinne bringt, jedoch langfristig Beeinträchtigungen mit sich bringt, durch steigende Treibstoffpreise sowie die beschriebene Degradierung der Böden? Die Regierung begründet ihre Unterstützung der Agrarindustrie vor allem mit deren Beitrag zur Nahrungsmittelsicherheit und Ernährungssouveränität Boliviens. Eines der zentralen Ziele der Regierung ist es, genügend Nahrung zu produzieren, um bei strategischen Lebensmitteln wie Mais, Getreide, Reis und Zucker nicht von Importen abhängig zu sein. Milton Malaga, Chef des staatlichen Ressourcenmanagementprogramms Sustentar, erklärt angesichts der wachsenden Bevölkerung Brasilien zum Vorbild: „Wer an den Magen der Menschen denkt, muss auch an die besten Produktionsmöglichkeiten denken. Brasilien hat in zwei Regierungsperioden 30 Millionen Brasilianer aus der extremen Armut befreit. Aber Brasilien hat auch mehr als eine Million Hektar des Amazonas abgeholzt. Vielleicht eine sehr heftige Maßnahme, aber man muss Kosten und Nutzen betrachten.“

Landwirtschaft in Bolivien

Anteil der Landwirtschaft am BIP: 9,83 %
Davon kleinbäuerliche Landwirtschaft: mehr als 80 % (2012)
Landverteilung: 20 % der Landbesitzer besitzen fast 70% der Flächen, 80 % der Bevölkerung 30 % (2008)

Hauptanbauprodukte: Zuckerrohr – 7,6 Millionen Tonnen (2011/12); Sojabohnen – 2,4 Millionen Tonnen (2011/12). Soja ist fünftwichtigstes Exportprodukt.
Exportprodukte allgemein: acht der zehn wichtigsten Exportprodukte sind nichterneuerbare Ressourcen, an erster Stelle Rohgas.
Wichtigste landwirtschaftliche Exportprodukte: Sojabohnen (1 Million t), Sojaöl (200.000 t)
Import von Nahrungsmitteln: 298.000 t (2010), 503.000 t (2011).
red

Quellen: FAO; INE (Institituto Nacional de Estadísticas), IBCE (Instituto Boliviano de Comercio Exterior)

„Rund die Hälfte der kultivierten Flächen in Bolivien dient der Sojaproduktion“, erklärt Alejandro Almaraz, von 2006-2009 Minister für Landfragen und heute einer der schärfsten Kritiker der Regierung Morales, „80 bis 90 Prozent der Soja-Produktion werden exportiert. Das Argument, dass Soja maßgeblich zur Nahrungsmittelsicherheit und Ernährungssouveränität Boliviens beiträgt, kann also nicht geltend gemacht werden.“ Vielmehr liege die Erklärung für die Unterstützung einer industriellen Landwirtschaft im Einfluss der Agrarindustrie. „Die Regierung interessiert sich mehr dafür, jetzt an der Macht zu bleiben als für langfristige Planung. Sie hat sich deshalb dazu entschieden, diejenigen zu unterstützen, die schon immer an der Macht waren: transnationale Konzerne, landwirtschaftliche Großunternehmer, Bergbaugenossenschaften etc.“, meint Almaraz.

Der Einfluss der Agrarindustrie hat Auswirkungen auf den Alltag der einzelnen LandwirtInnen. So erzählt Johannes Falch Rojas, Viehwirt aus San Ignacio de Velasco im Departement Santa Cruz de la Sierra, von Kampagnen großer Konzerne zur Einführung eines besonders schädlingsresistenten Saatguts: „Dass es sich dabei um so genanntes Terminator-Saatgut handelte, aus welchem zwar einmal eine Pflanze wird, aber deren Samen danach unfruchtbar sind, wurde verschwiegen.“ Auch von der illegalen doch tolerierten Produktion und dem Verkauf von gentechnisch verändertem Mais berichtet er.

Wunsch und Wirklichkeit klaffen in Bolivien weit auseinander. Die entscheidende Frage wird sein, ob die Regierung Morales noch rechtzeitig erkennt, dass einem Diskurs über die Rechte der Mutter Erde und ein gutes Leben für alle auch Taten folgen müssen. Sie wird beweisen müssen, dass sie willens ist, kurzfristige Ziele, wie die Erhöhung der Staatseinnahmen durch die Extraktion nicht-erneuerbarer Ressourcen und die Produktivitätssteigerung in der Landwirtschaft durch den Einsatz von Gentechnik und Pestiziden, mit dem langfristigen Ziel einer nachhaltigen Entwicklung in Einklang mit der Natur zu vereinbaren. Vorfälle wie in Tipnis, einem Nationalparkgebiet, wo Proteste gegen den Bau einer Straße gewaltsam niedergeschlagen wurden, zeigen, dass speziell die indigenen Völker Boliviens bereit sind, für die ökologische Integrität des Territoriums und die Wahrung ihrer Rechte zu kämpfen. Denn, wie der Chef des staatlichen Programmes Sustentar über die Gesellschaft Boliviens sagt: „Es ist kein stilles Volk, kein unterwürfiges Volk mehr. Die Menschen fordern ihre Rechte ein. Das ist der eigentliche Wandel. Das ist das, was niemand mehr rückgängig machen kann.“

Felicitas Sager hat Politikwissenschaft und  Internationale Entwicklung studiert. Im Rahmen ihrer Diplomarbeit „Bolivien zwischen nachhaltiger Entwicklung und Ausbeutung der Natur“ hat sie 2012 mehrere Monate in Bolivien geforscht.

Basic

Berichte aus aller Welt: Lesen Sie das Südwind-Magazin in Print und Online!

  • 6 Ausgaben pro Jahr als Print-Ausgabe und/oder E-Paper
  • 48 Seiten mit 12-seitigem Themenschwerpunkt pro Ausgabe
  • 12 x "Extrablatt" direkt in Ihr E-Mail-Postfach
  • voller Online-Zugang inkl. Archiv
ab € 25 /Jahr
Abo Abschließen
Förder

Mit einem Förder-Abo finanzieren Sie den ermäßigten Abo-Tarif und ermöglichen so den Zugang zum Südwind-Magazin für mehr Menschen.

Jedes Förder-Abo ist automatisch ein Kombi-Abo.

84 /Jahr
Abo Abschließen
Soli

Mit einem Solidaritäts-Abo unterstützen Sie unabhängigen Qualitätsjournalismus!

Jedes Soli-Abo ist automatisch ein Kombi-Abo.

168 /Jahr
Abo Abschließen